Rente mit 67
Wer 45 Jahre einzahlt, soll weiter mit 65 Jahren gehen dürfen. Experten fürchten Unrecht.
Das Schild sprach Bände: "Rente 67" stand darauf, darum ein roter Kreis und ein dicker roter Strich durch die Zahl. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte am 26. Februar zu Protesten gegen die Pläne der Regierung aufgerufen, die Altersgrenze für den Renteneintritt auf 67 Jahre anzuheben. Ein 600-Meter-langes Banner mit 50.000 Unterschriften gegen das Vorhaben trugen die Gewerkschaftler mit sich. Anlass war eine Experten-Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Bundestag. In der Sitzung machten aber auch die meisten Sachverständigen deutlich, dass sie zwar die Idee, das Renteneintrittsalter anzuheben, unterstützen, einzelne Abschnitte des Gesetzentwurfs aber für bedenklich halten. Auch der Entwurf für die "Initiative 50plus", Thema der zweiten Anhörung am selben Tag, traf nicht auf ungeteilte Zustimmung.
Mit ihrem Gesetzentwurf zur schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters ( 16/4372 ) will die Bundesregierung erreichen, dass der Beitragssatz der Renten bis 2020 nicht über 20 Prozent steigt. Deswegen soll von 2012 an das Alter, mit dem Arbeitnehmer in Rente gehen können, schrittweise angehoben werden. 2029 soll es bei 67 Jahren liegen. Wer 45 Jahre eingezahlt hat, darf nach den Plänen der Regierung auch weiterhin mit 65 Jahren aufhören zu arbeiten, ohne geringere Bezüge zu erhalten. Insbesondere an dieser Regel übten die Experten Kritik.
"Ein Dachdecker geht wegen der Körperbelastung im Schnitt mit 58 Jahren in Rente, dazu kommen immer wieder Phasen der Arbeitslosigkeit", sagte Marlene Schubert vom Zentralverband des Deutschen Handwerks. Die anvisierte Zielgruppe - in der Regel schwer arbeitende Handwerker und Arbeiter - profitiere davon nicht. Das Teil-äquivalenzprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung werde durch diese Regel durchbrochen, meinte Bert Rürup, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Ähnliche Beitragszahlungen führten dann zu verschiedenen Ansprüchen wegen unterschiedlich langer Beitragszeiten. "Diese Privilegierung öffnet der Willkür Tür und Tor", so Rürup.
Die Regelung diskriminiere außerdem Frauen, bemängelten viele Sachverständige. Nach einer Stichprobenauswertung der Deutschen Rentenversicherung Bund für den Rentenzugang 2004 seien rund 85 Prozent derjenigen, die von der Regel hätten profitieren können, Männer gewesen, hieß es in der Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Helge Sodan, Präsident des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin hielt das Vorhaben für verfassungsrechtlich bedenklich. Zwar unterstelle er der Regierung keine gewollte Diskriminierung, so Svoboda, doch gehe er davon aus, dass Frauen benachteiligt würden.
Um die Altersgrenze von 67 Jahren zu erreichen, müssen die Beschäftigen aber auch im fortgeschrittenen Alter einen Job haben. Das zu fördern, ist die Intention des zweiten Gesetzentwurfes, den die Regierung vergangene Woche in den Bundestag einbrachte ( 16/4371 ). Die Experten waren sich bei der zweiten Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vor allem darin einig, dass sich die Beschäftigungschancen älterer Menschen verbessern müssen. Der Gesetzentwurf der Regierung sieht unter anderem einen Kombilohn vor. Ältere Arbeitslose, die eine Beschäftigung mit einem niedrigeren Nettoentgelt als vor ihrer Arbeitslosigkeit aufnehmen, sollen danach einen teilweisen Ausgleich für die Einkommenseinbußen erhalten.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lehnte insbesondere die geplanten Regelungen zur befristeten Einstellung von älteren Arbeitnehmern ab. Sie könnten weder planen noch ihrer Situation sicher sein. Das Kombilohnmodell hingegen könne durchaus die Arbeitslosigkeit Älterer verkürzen, beinhalte jedoch auch das Risiko von Mitnahmeeffekten. Für ein flexibles Befris-tungsrecht plädierte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Der Gesetzentwurf bleibe bedauerlicherweise jedoch hinter dem rechtlich Möglichen und arbeitsmarktpolitisch Nötigen zurück. Außerdem sei zu befürchten, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung durch die Maßnahmen anstiegen. Dadurch würden jedoch Arbeitsplätze vernichtet. Beseitigt werden müssten auf jeden Fall die Anreize zur Frührente. Viele Unternehmen seien über die bisher geltenden gesetzlichen Möglichkeiten nicht informiert, kritisierte das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB). Man habe festgestellt, dass die Möglichkeit der weitergehenden Befristung von Arbeitsverträgen mit älteren Arbeitnehmern kaum bekannt sei und daher auch wenig genutzt werde. Auch die Weiterbildungsmöglichkeiten würden nur wenig in Anspruch genommen. In diesen Bereichen gelte es Aufklärungsarbeit zu leisten. Die bisher schwache Inanspruchnahme der Entgeltsicherung hingegen sei auf Mängel in der gesetzlichen Ausgestaltung zurückzuführen. Die vorgesehen Ausweitung des Kombilohns auf zwei Jahre dürfte dies verbessern.