Führungsaufsicht
Wie viel Kontrolle brauchen entlassene Straftäter?
Alle Experten begrüßen grundsätzlich den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Reform der so genannten Führungsaufsicht ( 16/1993 ). Dies machten sie bei einer Anhörung des Rechtsausschusses am 7. März deutlich.
Die Führungsaufsicht wurde 1975 eingeführt und löste die rechtsstaatlich als bedenklich angesehene Polizeiaufsicht ab. Der Bewährungshilfe verwandt, soll sie dem Gedanken der Resozialisierung Rechnung tragen, aber mit ihren erweiterten Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten Straftaten verhindern und insbesondere negative Sozialentwicklung rechtzeitig feststellen zu können. Der Erfolg der Führungsaufsicht hängt ganz wesentlich von der inhaltlichen Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen Bewährungshilfe und Führungsaufsichtsstelle, aber auch mit dem aufsichtsführenden Gericht ab.
Die Führungsaufsichtsstellen sind dem jeweiligen Landgericht zugeordnet. Die Leitung der Aufsichtsstelle hat die Befähigung zum Richteramt, die Aufgaben der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Aufsichtsstelle werden von staatlich anerkannten Sozialarbeitern wahrgenommen.
Unter anderem beabsichtigt die Regierung in ihrer Gesetzesinitiative die Einführung einer Meldepflicht gegenüber dem Bewährungshelfer in das Strafgesetzbuch. Die Führungsaufsicht müsse auch die Möglichkeit erhalten, die Weisung zu erteilen, keine alkoholischen Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, wenn Gründe dafür bestehen, dass der Konsum dazu führt, weitere Straftaten zu begehen. Darüber müsse die Aufsicht führende Person den ehemaligen Straftäter anweisen dürfen, sich zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Abständen bei einem Arzt oder Psychotherapeuten vorzustellen.
Der Strafrechtsprofessor Franz Streng von der Universität Erlangen-Nürnberg meinte, man sei "eigentlich schon viel zu spät dran mit diesem Vorhaben". Er begrüßte vor allem die Instrumente der therapeutischen Nachsorge in einer forensischen Ambulanz und die vorübergehende erneute Unterbringung zum Zwecke der Krisenintervention.
Eine erforderliche nachfolgende therapeutische Betreuung sei allerdings oft wenig vorbereitet und bleibe ohne Rückbindung zum Vollstreckungssystem. Markante Rückfälle von entlassenen Sexualstraftätern, die zu lange ohne nachsorgende Therapie blieben, hätten diese Lücken mehr als deutlich gemacht.
Nachsorge und Krisenintervention seien zudem unverzichtbar für eine Bewährung in der Freiheit. Streng monierte, dass viele Straftäter wieder rückfällig würden. Ohne eine erhebliche Aufstockung bei den Bewährungshelfern und insbesondere im therapeutischen Bereich könne man nicht zu Erfolgen gelangen. "Kostenneutral läuft hier überhaupt nichts", so der Sachverständige.
Der Göttinger Richter am Landgericht, Matthias Koller, machte deutlich, der vorliegende Entwurf sei "unbedingt zu begrüßen", weil er wichtige Verbesserungen brächte. So sei beispielsweise die Neuerung wichtig, dass die Führungsaufsicht auf Fälle erweitert werde, wo das Ende der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erreicht sei. Er könne aus seiner Erfahrung bestätigen, dass gerade diese Menschen vielfach in besonderem Maße auf eine kontrollierende Unterstützung angewiesen seien. Insgesamt werde das Gesetz wesentlich dazu beitragen, die Maßregel der Führungsaufsicht deutlicher als ein Instrument der Kontrolle für solche Täter hervorzuheben, deren Resozialisierung in besonderem Maße gefährdet erscheint. Der Sachverständige Rüdiger Müller-Isberner nannte den Entwurf "sinnvoll und wünschenswert", weil er eine Ausweitung der Möglichkeiten der Führungsaufsicht und deren Anpassung an heutige Kenntnisse und Erfahrungen darstelle. Geradezu unverzichtbar sei die Möglichkeit der unbefristeten Führungsaufsicht. Mehrere Experten, unter anderem die Kölner Sachverständigen Gabriele Jansen und Peter Reckling plädierten gegen eine lebenslange Führungsüberwachung. Reckling stellte in Frage, ob die Ausweitung der Möglichkeit, eine unbefristete Führungsaufsicht anzuordnen, wirklich gut sei. Dies lasse sich ohne Erprobung schwer vorhersagen. Müller-Isberner widersprach: Er sei für die Möglichkeit einer unbefristeten Führungsaufsicht. Die Alternative lautete: Wegsperren für immer. Dies könne niemand wollen.
Privatdozent Axel Dessecker erklärte, das Ziel, "die Führungsaufsicht effektiver zu gestalten" und zu vereinfachen, sei nachdrücklich zu begrüßen. Allerdings sollte der Anwendungsbereich der Führungsaufsicht enger begrenzt werden als der Entwurf dies vorschlage. Es dürfe keine gesetzgeberischen "Schnellschüsse" geben, sondern eine gründlich vorbereitete Reform.
Die Regierung beabsichtigt, die Strafe bei einem Verstoß gegen Weisungen auf drei Jahre zu erhöhen. Mehrere Experten waren anderer Meinung. Die entsprechende Vorschrift im Strafgesetzbuch sollte ganz gestrichen werden. Der Vorsitzende am Landgericht Marburg, Thomas Wolf, widersprach vehement: Das sei die einzige Möglichkeit, auf die entlassenen Strafgefangenen einzuwirken. Sonst laufe man Gefahr, dass sich die Leute "einfach das Papier auf die Toilette hängen".