Gewebegesetz
Von allen Seiten hagelt es Kritik. Zu Recht?
Gut gemeint, aber schlecht gemacht: In seltener Einigkeit kritisieren Ärzte, Kliniken, Krankenkassen, Behindertenverbände und Kirchen die Pläne der Bundesregierung zur Umsetzung einer EU-Richtlinie von 2004 über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für menschliche Gewebe und Zellen. Dabei geht es unter anderem um die Entnahme und Verwertung von Herzklappen, Augenhornhäuten, Knochen und Zellen, die die Regierung mit ihrem Gesetzentwurf ( 16/3146 ) sicherer und transparenter machen will. Ein hehres Ziel.
Bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss am 7. März kritisierten die Verbände aber unisono, dass künftig alle Gewebe unter das Arzneimittelgesetz (AMG) fallen sollen. Sie wären damit wie Tabletten am Markt handelbar, menschliche Ersatzteile würden zu einem kommerziellem Produkt. Der Handel mit Organen ist dagegen ausdrücklich verboten. Die Experten befürchteten, dass Gewebe- damit in Konkurrenz zur Organspende treten würde - mit verheerenden Auswirkungen für Patienten, die dringend auf eine Spenderniere oder -leber warten.
Schon heute sterben drei Menschen pro Tag, weil für sie nicht rechtzeitig ein geeignetes Spenderorgan zur Verfügung steht, hat die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) ermittelt. Nur rund zwölf Prozent der Bevölkerung haben einen Organspendeausweis. Nach Informationen der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) sind von den rund 400.000 jährlich in Krankenhäusern versterbenden Patienten lediglich etwa 1.200 Organspender. Die Spendenbereitschaft der Bevölkerung könnte nach Auffassung der Verbände zurückgehen, wenn Transplantate erst einmal generell in dem Ruf stünden, ein lukratives Geschäft zu sein, fürchteten die Sachverständigen in der Anhörung.
Auch die Krankenhäuser kämen möglicherweise in einen Interessenkonflikt, wenn die gewerbliche Organisation der Gewebetransplantation neben dem nicht gewerblichen Bereich der Organtransplantation stünde, erläuterte der Hämatologe Professor Gerhard Ehninger, Mitglied im Vorstand des wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer (BÄK). Das hieße beispielsweise: Eine Herzklappe wäre für eine Klinik Geld wert, ein zur Transplantation geeignetes Herz nicht.
Im Gesetzentwurf der Regierung komme zwar der Vorrang der Organspende vor der Entnahme von Geweben vor, allerdings nicht in einer verbindlichen Form, bemängelten die Experten weiter. Der Herzchirurg Professor Axel Haverich, Mitglied der Kommission für klinische Forschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), erläuterte, Organe könnten nur bei einem kleinen Teil der Verstorbenen entnommen werden. Sie müssten zudem "innerhalb von Stunden" nach dem Tod des Spenders transplantiert sein, Gewebe könne dagegen auch noch später entnommen werden. Sprich: Wenn etwa einem Verstorbenen sein Herz nicht sofort entnommen wird, ist es für die Transplantation verloren. Dies müsse verhindert werden, so die Referentin der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Renate Höchstetter.
Der auf Arzneimittel- und Medizinprodukterecht spezialisierte Jurist Arnd Pannenbecker fasste die Meinung der Mehrheit in der Anhörung zusammen: "Das Gesetz ist dringend überarbeitungsbedürftig." Er empfahl den Abgeordneten den Blick nach Österreich, wo die EU-Geweberichtlinie in einem eigenen Gesetz umgesetzt werde, das der Unterschiedlichkeit von Zellen, Geweben und Organen Rechnung trage. Die BÄK machte sich dafür stark, Gewebe, die nur entnommen und konserviert würden, um sie anderen Patienten einzupflanzen, in einem eigenen Gesetz oder wie Organe im Transplantationsgesetz zu fassen. Die Folge: Der Handel mit diesen menschlichen Ersatzteilen bliebe verboten.
Viele Experten erwarteten durch das Gesetz zudem mehr Bürokratie und höhere Kosten für Krankenhäuser. Für die Entnahme von Gewebe im OP etwa wäre eine Herstellungserlaubnis notwendig, weil sie bereits als Teil des Herstellungsprozesses für Arzneimittel angesehen würde, so die DKG. Sie rechnete vor, dass allein die baulichen Anforderungen mit bis zu 2 Millionen Euro pro Klinik zu Buche schlügen. Die Folge: Viele Einrichtungen könnten künftig auf Gewebeentnahmen verzichten.
Haverich unterstrich, eine Verknappung von Gewebespenden könne mit einer "Eins-zu-Eins-Umsetzung" der EU-Richtlinie vermieden werden. Dies sei die Voraussetzung dafür, dass Deutschland in diesem Bereich in der Forschung führend bleibe.
DSO-Vorstand Günter Kirste forderte, Organ- und die Gewebespenden müssten in einer Hand liegen. "Die Konkurrenz am Totenbett um Organ- und Gewebespende wäre fatal", betonte Kirste. Die DSO organisiert die Entnahme und meldet verfügbare Organe an die Institution Eurotransplant, die wiederum für eine Vielzahl von EU-Ländern die Vermittlung an geeignete Empfänger organisiert.
Gerhard Andersen, Geschäftsführer der Ärztekammer Berlin, vertrat hingegen die Auffassung, dass mit der Unterstellung der Gewebe unter das AMG nicht automatisch eine Kommerzialisierung einhergehe. Im Vordergrund müsse die Sicherheit der Patienten stehen. Dies sieht er mit dem Entwurf gewährleistet.
Deutschland ist spät dran mit der Umsetzung der EU-Richtlinie. Die Frist ist im April 2006 abgelaufen. Wann das Gewebegesetz verabschiedet wird, ist jedoch ungewiss. Die Unions-Gesundheitsexperten Annette Widmann-Mauz und Hubert Hüppe jedenfalls verdeutlichten nach der Anhörung, dass sie sich "keinem Zeitdruck" unterwerfen lassen wollten, "der zu Lasten der Qualität ginge". Gut möglich, dass das Gewebegesetz nicht in der Form des Bundesgesundheitsministeriums in Kraft treten wird. Die Forschungsexperten der SPD-Fraktion, René Röspel und Jörg Tauss, erklärten, die vorgebrachten Änderungsvorschläge würden "eingehend" geprüft. Unter anderem solle unter die Lupe genommen werden, wo das geplante Gesetz etwa Forschungsvorhaben des Tissue Engineerings (Gewebezüchtung) behindern könnte.