Dresden
Die geplante Brücke erhitzt die Gemüter. Ist der deutsche Ruf in Gefahr?
Noch steht die Frage im Raum, ob deutsche Bundesländer überhaupt an völkerrechtliche Verträge gebunden sind - wenn diese zwar von der Bundesrepublik ratifiziert, aber nicht in nationales Recht umgesetzt worden sind. Der Freistaat Sachsen, vertreten durch das Regierungspräsidium Dresden, argumentiert, eine Umsetzungspflicht der Länder für völkerrechtliche Verträge, die der Bund abgeschlossen hat, bestehe nicht, wenn der Vertragsgegenstand in die Gesetzgebungszu- ständigkeit der Länder falle. Aufgrund der Kulturhoheit der Länder erscheinen die Verpflichtungen der Welterbekonvention so als Einmischung in "innere Angelegenheiten".
Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat in dem "Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes" die prekäre Frage offen gelassen und dennoch ohne Abwägung des Schadenspotenzials den unverzüglichen Baubeginn der Welterbe gefährdenden Waldschlösschenbrücke angeordnet. Begründung: In der gegebenen "Konfliktsituation gebührt dem auch auf kommunaler Ebene zu verwirklichenden Demokratieprinzip… der Vorrang". Um zu untermauern, dass der Bürgerentscheid vom 27. Februar 2005 für den Bau der auf den Stimmzetteln abgebildeten Querung des Elbbogens bindend sei, führt der Senat aus: "Gerade vor dem Hintergrund der in der Präambel der Sächsischen Verfassung angesprochenen leidvollen Erfahrungen während der nationalsozialistischen und kommunistischen Gewaltherrschaft … kommt dem demokratische Mitwirkungsrecht entscheidende Bedeutung für die nunmehr verfasste demokratische Rechtsordnung zu." War es nicht bisher demokratischer und moralischer Konsens, dass wir aufgrund unserer unrechtsstaatlichen Vergangenheit dem Völkerrecht besonders verpflichtet sind? Steht nicht in Paragraf 25 unseres Grundgesetzes: "Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes"?
Die Situation ist absurd. Deutschland ist Weltmeister im Welterbe-Antragsmarathon. 32 Welterbestätten prahlen mit ihren "universellen" Werten und versuchen daraus touristisch Kapital zu schlagen. Weitere Kultur- und Naturgebiete streben den Titel an. Eifersüchtig handeln die Bundesländer die Vorschlagslisten aus. Weil Dresdens rekonstruierte Altstadt mangels Authentizität kaum Welterbe-Chancen hatte, wurde der wohlbegründete Antrag seinerzeit auf die gesamte Kulturlandschaft "Elbtal" von Übigau bis Pillnitz ausgeweitet. Vorsichtshalber haben die Verantwortlichen in Stadt und Land die 20 Kilometer Flussufer als "sich entwickelnde Kulturlandschaft" in die Welterbeliste eintragen lassen. Das lässt Gestaltungsspielraum. Dumm nur, dass die Unesco das überdimensionierte Brückenprojekt nach genauerer Prüfung für unvereinbar mit der Kulturlandschaft hält und eben nicht als verträgliche Weiterentwicklung akzeptiert.
Mit dem Casus Waldschlösschenbrücke steht die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland als internationaler Vertragspartner auf dem Spiel. Muss die Unesco nicht nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass die Konvention, wenn sie ratifiziert und im Bundesgesetzblatt veröffentlich wurde, in einem föderalen Staat Gültigkeit hat? Auch wenn das Sächsische Oberverwaltungsgericht nicht in der Sache entschieden hat, die seitenlangen Überlegungen des Senats fordern eine Reaktion von Seiten der Bundesrepublik.
Zu beantworten sind unter anderem folgende Fragen: Wie steht es um das angeblich höherrangige Recht auf unmittelbare Demokratie in Kommunalangelegenheiten? Handelt es sich bei einem Votum, das ein Gebiet von anerkannt "universellem" Wert betrifft, noch um eine kommunale Angelegenheit? Ist ein Brückenbau, der nur deswegen wirtschaftlich maßvoll erscheint, weil der Bund ihn mit 96 Millionen Euro fördert, wirklich eine lokale Entscheidungssache? Nach einem Bericht der "Sächsischen Zeitung" stellt die Bundesregierung ihre Fördermittel für die Brücke inzwischen in Frage, sollte Dresden weiter an dem umstrittenen Entwurf festhalten. Er habe erhebliche Zweifel, ob der Bund zulassen könne, dass die Waldschlösschenbrücke in der vom Welterbekomitee abgelehnten Form mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt finanziert werden könne, schrieb Bundesminister Wolfgang Tiefensee (SPD) dem Blatt zufolge in einem Brief an Sachsens Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU). Zugleich stellte Tiefensee demnach eine Beteiligung des Bundes an möglichen Mehrkosten für eine mit der Unesco abgestimmten anderen Brückenvariante in Aussicht.
Unbeantwortet ist bislang auch, ob der Schutz von Kulturlandschaften und -denkmälern erst Berücksichtigung in allen relevanten Bundesgesetzen finden muss, wie bereits vom Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz beantragt. Zumal die Kluft zwischen den in völkerrechtlichen Verträgen vereinbarten Schutzpflichten und den in den einzelnen Bundesländern geltenden Denkmalschutzgesetzen immer größer wird. So ist in keinem deutschen Denkmalschutzgesetz etwas von der "Integrität" einer Kulturlandschaft zu lesen. Auch historische urbane Landschaften sind mit dem Begriff "Ensemble" bei weitem nicht erfasst.
Als die Bundesrepublik Deutschland 1976 die Welterbekonvention unterschrieb, erkannte sie an, dass es ihre eigene Aufgabe sei, "Erfassung, Schutz, Erhaltung in Bestand und Wertigkeit" des Kultur- und Naturerbes "sowie seine Weitergabe an künftige Generationen sicher zu stellen". Im Vertrauen auf die damals vorbildlichen Denkmalschutzgesetze der Länder konnte die Unterschrift mit bes-tem Wissen und Gewissen geleistet werden. Inzwischen mussten die meisten Landesdenkmalämter drastische Kompetenzverluste hinnehmen. Manche der unabhängigen Fachbehörden existieren nicht mehr, sondern sind weisungsgebunden in Verwaltungen integriert. Jetzt plant auch Sachsen, sein Landesamt in der Landesdirektion Dresden aufgehen zu lassen. Die meisten Denkmalschutzgesetze wurden im Zuge solcher "Verwaltungsreformen" zum Teil deutlich abgeschwächt, auch um Bauvorhaben zu beschleunigen. So sehr die Länder auf Kulturhoheit pochen, ihr kulturstaatliches Selbstverständnis verlieren sie zunehmend.
Doch auch auf internationaler Seite bestehen Unklarheiten. So stellt sich etwa die Frage, ob die Unesco nun eine Welterbeverträglichkeitsprüfung erarbeiten muss, um ihre Maßstäbe zu präzisieren. Sollten vom Welterbekomitee beauftragte Architektur- und Landschafts-Experten bei der Formulierung von Entwicklungsplänen und Ausschreibungen genauso beteiligt werden wie bei den Wettbewerbsjurys? Welche Richtlinienkompetenz wird der internationalen Instanz überhaupt zugebilligt? Das Sächsische Oberverwaltungsgericht vertritt die Auffassung, "dass das Welterbekomitee keine verbindlichen Entscheidungen gegenüber den Vertragsstaaten treffen kann, sondern … nur die Welterbeliste und die sog. Rote Liste des gefährdeten Welterbes zu führen hat". Ein Papiertiger also? Es besteht dringend Klärungsbedarf.
Die Autorin ist freie Journalistin in Bayern.