Nigeria
Der Sieger der Präsidentschaftswahl steht fest, obwohl keine echte Wahl stattgefunden hat
Als Präsident Olusegun Obasanjo vor acht Jahren gewählt wurde, versprach er nicht nur Frieden, Entwicklung und Demokratie für Nigeria, sondern wollte mit dem Neuanfang in der gesamten Region ein Zeichen setzen. Doch seit dem 70-Jährigen klar wurde, dass er kein drittes Mal antreten kann, ging es wieder bergab. Die Abstimmungen in den Gouverneurswahlen am 14. April und den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen eine Woche später wurden von Manipulationen und Gewalt überschattet. Gewonnen haben Obsanajo's Regierungspartei People's Democratic Party (PDP) und sein Spitzenkandidat Umaru Musa Yar'Adua, verloren haben die Demokratie und die Hoffnung.
"Ich habe den ganzen Tag vor dem Wahlbüro gewartet", berichtet Chukwuma Odelugo aus der bedeutenden Handelsmetropole Enugu im Zentrum Nigerias. Der 45-jährige Anwalt war von Anfang an skeptisch. Seiner Mutter zuliebe war er schließlich zur Stimmabgabe gegangen. "Jedoch ohne Erfolg. In unserem Bezirk trafen die Wahlunterlagen nicht ein, und am Abend sind wir alle enttäuscht nach Hause zurückgekehrt." Dem Mathematikstudenten Donaman Atezan ging es ähnlich. In seiner Heimat Gboko, etwa 300 Kilometer von Enugu entfernt, öffneten die Wahllokale nach vier Stunden. Gerade als er die Hoffnung aufgegeben wollte, trafen die Stimmzettel ein und der 25-Jährige machte rasch seine Kreuzchen. Bis ihm Halbstarke die ausgefüllten Papiere wieder aus der Hand schlugen. "Ich hatte für die Opposition gestimmt", sagt er, "das gefiel den Spitzeln der Regierung nicht."
Die Wahlen in Nigeria verkamen zur Farce. In vielen Teilen des Landes hatte die Abstimmung nur mit großer Verspätung oder gar nicht stattgefunden. Denn die Wahlunterlagen mussten in letzter Minute neu gedruckt werden, nachdem Vizepräsident Atiku Abubakar nach Korruptionsvorwürfen doch noch zur Wahl zugelassen worden war. Und wo tatsächlich gewählt werden konnte, kam es häufig zu Einschüchterungsversuchen. Augenzeugen berichteten von bereits markierten Wahlzetteln und gestohlenen Urnen. Dabei wäre Nigeria als Musterland der Demokratie sehr wichtig. Der westafrikanische Staat ist mit etwa 140 Millionen Einwohnern nicht nur der bevölkerungsreichste des Kontinents, sondern verfügt auch über die sechstgrößten Ölvorkommen der Welt. In einer krisengerüttelten Region hätte Nigeria genügend Potenzial, durch vorbildliches Verhalten nicht nur selber voranzukommen, sondern Frieden, Stabilität und Demokratie auch den Nachbarn näherzubringen. Lange Zeit zeigte sich Präsident Obasanjo daher als Motor der "Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung", die das Vertrauen der Welt in den armen Kontinent stärken sollte. Doch die vergangenen Monate entlarvten den Machtpolitiker, der Demokratie vor allem als Instrument für die eigenen Zwecke versteht. Die unregelmäßig verlaufenden Wahlen mit mehr als 200 Toten - Politikern, Sicherheitskräften und Wählern - bildeten den traurigen Höhepunkt.
"Die Hoffnungen der Nigerianer wurden bitterst enttäuscht", so Max van den Berg, Leiter der Wahlbeobachter der Europäischen Union. "Wir sind Zeugen von unrechtmäßigen Stimmabgaben, Bestechungen und Fälschungen geworden." Seit der Unabhängigkeit 1960 ist es in Nigeria noch nie zu einer demokratischen Machtübergabe aus zivilen in zivile Hände gekommen. Der Segen des Öls verwandelte sich in einen Fluch: 70 Prozent der Bevölkerung leben in Armut, Korruption beherrscht flächendeckend das Land. Der nigerianische Literatur-Nobelpreisträger Wole Soyinka sieht das Problem vor allem in der Machtversessenheit der nigerianischen Politiker. "Auch Obasanjo wird zunehmend autokratisch, irrational." Und Obasanjo's Kandidat, der lange Zeit unbekannte Chemieprofessor Umaru Musa Yar'Adua, der seit 1999 Gouverneur der muslimischen Provinz Katsina im Norden des Landes ist, konnte nun angeblich über 70 Prozent der Stimmen für sich gewinnen und liegt damit ungewöhnliche 18 Millionen Stimmen vor dem nächsten Kandidaten. Für ihn gehörten "die Wahlen mit zu den besten" , die Nigeria je erlebt habe. Opposition und Medien hingegen haben zu Protesten aufgerufen und wollen das Ergebnis anfechten. Doch brächte eine Verzögerung ebenfalls große Probleme, und es ist nicht davon auszugehen, dass Neuwahlen besser verlaufen würden.
Der noch amtierende Präsident versuchte in dieser Situation die Flucht nach vorne und gab sogar in einer überraschenden Ansprache an das Volk Verzögerungen bei der Stimmabgabe, Gewalt und Betrug zu. "Es ist mein inniger Wunsch, dass die Nigerianer diese Erfahrung als einen notwendigen Schritt auf unserem Weg zur Festigung unserer Demokratie betrachten", sagte Obasanjo. In vier Jahren werde es eine neue Chance auf eine Wahl ohne Missstände geben.
Literaturprofessor Wole Soyinka hält seine Heimat mittlerweile für fast unregierbar. "Die Gefahr, dass Nigeria auseinanderbricht, ist groß. Die Menschen müssen sich darauf einstellen, dass sie sich gegen alle Versuche wehren müssen, Politiker aufoktroyiert zu bekommen, die sie nicht gewählt haben." Präsident Obasanjo hat sein Erbe verspielt, er hofft nun auf eine Verlängerung seiner Amtszeit wegen Überprüfung der Wahlen oder auf seinen Nachfolger, den er nach eigenen Angaben "24 Stunden am Tag unterstützen will".