In Zeiten einer deutlichen Regierungsmehrheit ist die parlamentarische Arbeit für die Opposition nicht einfach. Da sie gemeinsam nur 27 Prozent der Abgeordneten stellt, ist derzeit weder eine Normenkontrollklage zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen, noch die Einberufung einer Sondersitzung des Bundestages möglich. Um dies zu ändern, hatten alle Oppositionsfraktionen Vorschläge ( 16/126 , 16/4119 , 16/581 ) gemacht, die während einer öffentlichen Anhörung im Geschäftsordnungsausschuss am 10. Mai von den geladenen Sachverständigen allerdings nur zum Teil befürwortet wurden.
Professor Edzard Schmidt-Jortzig von der Universität Kiel bezeichnete die Vorschläge zur Änderung der Normenkontrolle als "durchaus interessant". Unter den derzeitigen Bedingungen sei es der Opposition nicht möglich durchzusetzen, dass verfassungsändernde Gesetze dem Bundesverfassungsgericht zur Kontrolle vorzulegen seien. Das für die Klagebefugnis erforderliche Drittel der Bundestagsmitglieder werde bei den aktuellen Mehrheitsverhältnissen nicht erreicht. Dieses grundsätzliche Manko des Systems, so Schmidt-Jortzig, sollte verändert werden.
Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Professor Hans H. Klein, hält eine Anpassung von Grundgesetz und Geschäftsordnung an die jeweils aktuellen Mehrheitsverhältnisse für nicht ratsam und dem Ansehen des Parlaments nicht dienlich. Es seien allenfalls solche Änderungen zu erwägen, die in allen vorstellbaren Lagen sinnvoll erscheinen. Derartige Vorschläge könne er in den Vorlagen jedoch nicht erkennen.
Florian Havemann, Verfassungsrichter im Land Brandenburg, sieht keine verfassungsrechtlichen Gründe, die gegen die Umsetzung der Vorlagen sprächen. Es sei durchaus sinnvoll, die Hürden für die Inkraftsetzung eines Normenkontrollverfahrens abzusenken. Der immer wieder dagegen eingebrachte Vorwand, dies würde zu einer Überlastung des Bundesverfassungsgerichts führen, sei verfassungsrechtlich nicht haltbar. Vielmehr könne man dadurch dem Parlament zu mehr Lebendigkeit verhelfen und gegen die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung ankämpfen.
Auch Professor Wolfgang Zeh, ehemaliger Direktor des Deutschen Bundestages, sieht keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die vorgeschlagene Absenkung des erforderlichen Quorums. Es sei allerdings auch im Interesse von Minderheiten wichtig, langfristige Stabilität für das parlamentarische Verfahren zu sichern.
Die Verfassung, so Professor Ulrich K. Preuß von der Hertie School of Governance in Berlin, billigte der Bundestagsmehrheit eine Art "Zusatzprämie" zu. Sie etabliere auch gegen den Widerspruch der Opposition einen staatlichen Gesamtwillen. Allerdings müsse der Machtsteigerung der Mehrheit ein balancierendes Gegengewicht hinzugefügt werden. Minderheitenrechte als Machtbegrenzung dienten daher der Steigerung der Leistungsfähigkeit des politischen Systems insgesamt.
Gerald Kretschmer, Ministerialrat a. D., sprach sich nach Abwägung von Vor- und Nachteilen gegen die vorgeschlagenen Änderungen aus. Insbesondere von der Absenkung der geltenden Quoren von einem Drittel auf ein Viertel oder gar auf Fraktionsstärke rate er ab.
Es gelte vielmehr, langfristig Stabilität zu wahren. Im Übrigen seien die deutschen Regelungen der Minderheitenrechte im internationalen Vergleich sehr ausgeprägt.
Auch Professor Joachim Wieland von der Universität Frankfurt am Main sprach sich für die Beibehaltung der Kontinuität im parlamentarischen Verfahren aus. Man habe Spielregeln aufgestellt, an denen man unabhängig von den aktuellen Mehrheitsverhältnissen festhalten müsse.
In einer Demokratie herrsche nun einmal die Mehrheit, so Wieland. Wenn Wahlen eine Rolle spielen sollten, müsse auch gewährleistet sein, dass die sich daraus ergebenden Mehrheiten die Politik bestimmen dürfen.