Die Zahl erscheint wie aus einer anderen Bundesrepublik: 390.250 Männer und Frauen waren im Juli 1957 in Westdeutschland ohne Arbeit.
Die Zahl der Arbeitslosen, deren Höhe heute bei der allmonatlichen Bekanntgabe den Politikern tiefe Sorgenfalten ins Gesicht zieht, erreichte vor einem halben Jahrhundert ihren historischen Nachkriegstiefststand. Ursache war damals der Aufschwung im Baugewerbe und der Sommerschlussverkauf - für den man mehr Mitarbeiterinnen brauchte. Das hatte die Arbeitslosenzahl um 63 000 schrumpfen lassen.
Bei einem jährlichen Wirtschaftswachstum von rund acht Prozent versprach auch der Blick in die Zukunft nur Positives, dem Wirtschaftswunder sei Dank. "Die außerordentliche Leistungsfähigkeit der Wirtschaft" und eine "kluge Arbeitsmarktpolitik" lobte die Frankfurter Allgemeine am 7. August 1957.
Allerdings hielt die ungetrübte Freude nicht lange an, schon geisterte das Problem des Arbeitskräftemangels durch die Medien. "Haben wir noch Reserven?", sorgte sich die Rheinische Post am 14. August 1957. Und auf 237 400 unbesetzte, offene Stellen verwies die Frankfurter Allgemeine bereits am 24. Juli 1957.
Die Wirtschaft aber wuchs kräftig weiter und schnell tauchten Diskussionen auf, die dennoch den derzeitigen Themen verblüffend ähneln: Die weitere Öffnung des Arbeitsmarktes für ausländische Arbeitnehmer. Rund 100 000 vor allem Holländer, Italiener und Österreicher standen in Deutschland 1957 ohnehin in Lohn und Brot.
"Aus exportwirtschaftlichen, allgemein politischen und psychologischen Gründen wäre eine größere Aufgeschlossenheit mancher Industriebetriebe zur zeitweiligen Beschäftigung der ausländischen Praktikanten sehr zu begrüßen", schrieb die Rheinische Post in ihrer Ausgabe vom 14. August 1957.
Diese "Generation Praktikum der 50er Jahre" kam damals hauptsächlich aus Entwicklungsländern und blieb nur für kurze Zeit - im Gegensatz zu den Gastarbeitern, die oft über Jahre in der Bundesrepublik weilten.
Noch bis 1973 hielten sich die Arbeitslosenzahlen auf diesem niedrigen Niveau, bis dann im Oktober der erste Ölpreisschock den konjunkturellen Höhenflügen jäh ein Ende setze.