China
Nicht einmal jeder fünfte Chinese über 60 Jahre hat Anspruch auf eine staatliche Rente. Und die Probleme wachsen.
Die Alterssicherung in China steht vor großen Herausforderungen: Im Zuge der erfolgreichen ökonomischen und sozialen Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten ist die durchschnittliche Lebenserwartung rasant angestiegen. Während heute geborene Mädchen durchschnittlich 75 Jahre leben werden, betrug dieser Wert für die 1950 geborenen nur 43 Jahre. Bis 2050 wird das Durchschnittsalter in China von heute 33 Jahren auf 45 Jahre ansteigen - und höher als das Durchschnittsalter in den USA liegen. Mehr als 300 Millionen Chinesen werden dann älter als 65 Jahre alt sein. Beschleunigt wird die Alterung von der Ein-Kind-Politik seit 1979. Zwar hat sie das hohe Pro-Kopf-Wachstum begünstigt, zugleich hat sie aber zu einem Rückgang der Geburtenraten geführt. Dennoch: Seit Jahren liegt die Geburtenrate in China nach Schätzung der UN konstant bei 1,8 pro Frau und damit deutlich oberhalb der Geburtenziffern in Europa. Offenbar ist das chinesische Regime nicht willens oder nicht in der Lage, die eigene Zielsetzung der Ein-Kind-Politik konsequent umzusetzen.
In der Alterssicherungspolitik scheint der Einfluss der chinesischen Regierung ebenfalls begrenzt: Da nur rund zehn Prozent der ländlichen Bevölkerung in China Ansprüche aus staatlichen Rentensystemen besitzen und Altersarmut weit verbreitet ist, hatte das Regime bereits Anfang der 1990er-Jahre versucht, in den ländlichen Regionen eine einheitliche Alterssicherung einzuführen. Dieses Vorhaben scheiterte vor allem an der Korruptheit der lokalen Behörden, die die Rentenbeiträge der Menschen häufig in die eigenen Taschen steckten und die staatliche Alterssicherungspolitik diskreditierten. Das wichtigste Entwicklungshemmnis in China für den Aufbau eines funktionierenden staatlichen Alterssicherungssystems ist das fehlende Vertrauen der Menschen in die staatlichen Behörden, wie die OECD in einer aktuellen Studie schreibt. Dies erklärt auch die harte Reaktion der politischen Führung auf die im August 2006 aufgeflogene Veruntreuung von Vorsorgegeldern in Schanghai.
Immerhin ist mittlerweile knapp die Hälfte der städtischen Bevölkerung in China von staatlichen Alterssicherungssystemen erfasst. Immer mehr junge Menschen ziehen allerdings auf der Suche nach Arbeit vom Land in die Stadt. Dies verschärft die Altersarmut auf dem Land und lässt den Bedarf an staatlichen Sozialleistungen weiter anwachsen. Die staatliche Alterssicherung in China basiert auf zwei Elementen: individuelle und staatlich bezuschusste Sparkonten und beitragsfinanzierte Umlagesysteme mit regional unterschiedlichen Beiträgen. Aus beiden Systemen zusammen soll der langjährig Beschäftigte eine Rente in Höhe von 60 Prozent des lokalen Arbeiterdurchschnittslohns erhalten. Für die rund 40 Millionen Militärangehörigen und Staatsbediensteten gibt es eine eigene, staatlich finanzierte großzügige Altersversorgung.
Der 11. Fünf-Jahresplan (2006-2011) beinhaltet das Ziel einer "harmonischen Gesellschaft". Bis heute bleibt ein arbeitsfreier Ruhestand für die meisten Menschen in China eine unvorstellbare Angelegenheit, und derzeit hat nicht einmal jeder fünfte Chinese über 60 Jahre Anspruch auf eine staatliche Rentenzahlung.
Dr. Tim Köhler-Rama ist Leiter des Forschungsnetzwerks Alterssicherung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund.