Europäische union
Niedrige Geburtenraten und steigende Lebenserwartung gibt es auch anderswo. Der Umgang mit den
rentenpolitischen Herausforderungen offenbart freilich interessante Unterschiede. Ein Blick über die Grenzen.
Spanien, hast du es besser? Das Rentensystem des Landes stand noch nie so gut da wie zurzeit. Obwohl das Altersruhegeld seit 1997 jedes Jahr um mehr als die Inflationsrate stieg - in manchen Jahren sogar um mehr als fünf Prozent - weist die Rentenkasse ein dickes Plus auf. Von Januar bis Mai waren es nach Angaben des zuständigen Arbeits- und Sozialministeriums knapp 10 Milliarden Euro. Bis zum Ende des Jahres wird der Reservefonds der staatlichen Rentenversicherung auf rund 46 Milliarden Euro anschwellen.
Während die Debatte um die "sicheren Renten" in Deutschland seit Jahren Anlass heftigster Auseinandersetzungen ist, spielt das Thema in der spanischen Öffentlichkeit eine untergeordnete Rolle. Dennoch hat die sozialdemokratische Regierung unter Mi- nisterpräsident José Luis Rodríguez Zapatero eine Reihe von Reformen in die Wege geleitet, die das System absichern sollen. Denn auch Spanien wird - wenngleich mit zeitlicher Verzögerung - ein Rentenproblem bekommen. Spätestens 2015 werden mehr Renten ausbezahlt werden als Beiträge eingehen.
Das derzeitige Plus erklärt sich einerseits damit, dass die Einnahmen stärker stiegen als erwartet. Der Wirtschaftsboom ließ in den vergangenen zehn Jahren sieben Millionen neue Arbeitsplätze entstehen. "Das ist ein Drittel aller Arbeitsplätze, die in dieser Zeit in ganz Europa hinzu kamen", sagt Rafael Pampillón, Professor an der Madrider Wirtschaftshochschule Instituto de Empresa (IE). Seit 1997 stieg die Zahl der berufstätigen und damit Beiträge zahlenden Frauen um gut drei auf nunmehr acht Millionen. Zudem erhielten fast 1,5 Millionen Einwanderer aus Nicht-EU-Ländern Arbeitsgenehmigungen und zahlen nun ebenfalls in die Sozialversicherung ein, nachdem sie vorher illegal gearbeitet hatten.
So stieg die Zahl der Beitragszahler auf 19,2 Millionen an. Das sind so viele wie nie zuvor in Spaniens Geschichte. Andererseits ist die Zahl der Spanier, die in Pension gehen, relativ gering. Derzeit sind es nämlich die schwachen Jahrgänge der Bürgerkriegszeit (1936 - 1939), die das Rentenalter erreichen. Auf jeden Rentner kommen somit derzeit rein rechnerisch 2,7 Beitragszahler.
"Aber nicht mehr lange", warnt Pampillón. "Ab 2025 geht die Generation der Babyboomer in Rente. Die Lebenserwartung der Spanier ist um fünf Jahre höher als im europäischen Durchschnitt; und die Geburtenrate mit 1,2 eine der niedrigsten." Schon 2020 wird der Reservefonds auf 2,5 Milliarden Euro geschmolzen sein. Das Renteneinstiegsalter müsste sich auf 70 Jahre erhöhen, fordert der Professor.
Gesetzlich festschreiben will das wenige Monate vor der nächsten Parlamentswahl im März 2008 niemand in der Regierung. Auch eine Erhöhung der Beitragssätze steht nicht zur Debatte. Bisher bezahlen abhängig Beschäftigte in Spanien 4,7 Prozent ihres Bruttolohns. Die Unternehmen steuern 23,6 Prozent hinzu. Allerdings "wäre es unverantwortlich, den Anstieg der Zahl der Rentner und ihre höhere Lebenserwartung außer Acht zu lassen", sagt Sozialstaatssekretär José Octavio Granado Martínez. Der derzeitige Wirtschaftsboom müsse deshalb zu Reformen genutzt werden. Bis zu zehn Prozent des Reservefonds sollen an der Börse investiert werden dürfen, beschloss das Kabinett im Juni.
In den Gesetzentwürfen, die derzeit im Parlament debattiert und spätestens zum 1. Januar 2008 in Kraft treten sollen, setzt die Regierung zudem auf finanzielle Anreize für all diejenigen, die über das 65. Lebensjahr hinaus arbeiten - und zum Teil auf empfindliche Einbußen für alle, die früher in Rente gehen.
Ein Durchschnittsverdiener mit 65 Jahren und 35 Beitragsjahren kann heute mit einer Rente rechnen, die 95 Prozent seines Verdienstes der letzten acht Berufsjahre beträgt. Bei 25 Beitragsjahren reduziert sich die Summe auf 76 Prozent. Wer im Beruf bleibt, kann seine Rente jährlich um zwei Prozent anheben. Die Quote erhöht sich auf drei Prozent, wenn der Betroffene bereits 40 Jahre eingezahlt hat. Das Parlament beschloss dazu Ende Juni, dass der Arbeitnehmer und seine Firma von der Pflicht zur Beitragszahlung ausgenommen werden.
Ein Durchschnittsverdiener, der nach 35 Beitragsjahren bereits mit 60 in den Ruhestand gehen will, erhält dagegen lediglich 57 Prozent seines Einkommens der vergangenen acht Jahre. Bei 25 Beitragsjahren verringert sich die Summe auf 45,65 Prozent. Neu ist auch, dass für einen Rentenanspruch mindestens 15 Beitragsjahre nachgewiesen werden müssen. "Wir müssen sehen, wie sich diese Maßnahmen auswirken, und ob weitere hinzu kommen müssen", sagt Staatssekretär Granado Martínez. Schließlich liegen die Leistungen der der spanischen Rentenversicherung erheblich unter dem Niveau der Staaten Mittel- und Nordeuropas. Die monatlich ausbezahlte Summe beträgt durchschnittlich nur 759,48 Euro. Gut 20 Prozent der spanischen Rentner müssen mit gerade einmal 500 Euro auskommen - oder 606 Euro, wenn sie mit einem nicht anspruchsberechtigten Partner zusammen leben.
Dennoch fürchten einer aktuellen Studie zufolge nur 25 Prozent aller heute über 55-Jährigen, dass sie mit ihrer Rente nicht auskommen werden. Überraschend ist dies nicht, haben doch 87 Prozent aller Befragten eine Wohnimmobilie und 28 Prozent zusätzlich eine Ferienwohnung. Die Immobilienpreise stiegen in Spanien seit 1998 jedes Jahr um durchschnittlich zehn Prozent. Damit lässt sich eine Weile ganz gut leben.
Die Autorin ist Korrespondentin der "Financial Times Deutschland" in Madrid.