EUROPARAT
Die Mehrheit des Gremiums stimmt für EU-weiten Gedenktag. Polen will aber einen Tag zum Schutz des Lebens.
In dieser Frage schaffte der Europarat einfach Fakten: Das Gremium erklärte den 10. Oktober in der vergangenen Woche offiziell zum Europäischen Tag gegen die Todesstrafe. Das Ministerkomitee stimmte der Maßnahme am 26. September mehrheitlich zu. Gleichzeitig äußerten die Mitglieder des Gremiums, das entweder auf Minister- oder auf Botschafterebene tagt, die Hoffnung, dass sich die Europäische Union dem Schritt anschließen werde. Eine Forderung, die momentan nicht ohne Brisanz ist, denn Polen hat mit seinem Veto eine entsprechende Entscheidung des EU-Ministerrates für einen Einführung eines solchen Gedenktages bislang auf EU-Ebene verhindert. Warschau argumentiert dabei, dass man den geplanten Gedenktag eher dem Schutz des Lebens widmen solle. Dies würde allerdings bedeuten, dass auch Abtreibung und Sterbehilfe verurteilt würden.
Das Abstimmungsverhalten der einzelnen Europaratsländer wurde daher diplomatisch nicht erwähnt. Im Ministerkomitee des Europarates, dem 47 Staaten angehören, werden Beschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst. Dazu reichen 24 Ja-Stimmen. Auch die Abgeordneten des Europaparlamens hatten sich in der vergangenen Woche für einen EU-weiten Tag gegen die Todesstrafe ausgesprochen. Zur Begründung hieß es, ein EU-Tag gegen die Todesstrafe spiegele die Grundwerte der Europäischen Union. Die Parlamentarier forderten die EU auf, noch in diesem Herbst eine gemeinsame Entschließung für ein Moratorium bei Hinrichtungen bei den Vereinten Nationen einzubringen.
Im übertragenen Sinne um Leben und Tod geht es auch bei einem anderen Thema, das in dieser Woche auf der Plenartagung des Europarates diskutiert wird: Der Kulturausschuss, der im Sommer mit einem Vorstoß zur Veurteilung des Kreationismus gescheitert war, präsentiert dem Plenum einen Antrag mit der gleichen Zielsetzung. Berichterstatterin Anne Brasseur aus Luxemburg stellt die Resolution demonstrativ unter den Titel "Die Gefahren des Kreationismus". Die Liberale appelliert an die Mitgliedsländer, "sich im Bildungswesen einer Behandlung des Kreationismus als wissenschaftliches Fach außerhalb des Religionsunterrichts entschlossen zu widersetzen".
Der von US-Evangelikalen ausgehende Kreationismus bekämpft die Evolutionstheorie und propagiert den Schöpfungsglauben in der modernen Variante des "Intelligent Design" als "Wissenschaft". Diese Fundamentalisten versuchen nach Recherchen der Straßburger Kulturkommission auch in Europa, die Unterrichtung ihrer religiösen Lehre an Schulen gleichberechtigt mit Biologie durchzusetzen. Brasseur ist überzeugt: "Kreationisten besitzen eine reale politische Macht." Im Juni hatte eine knappe Mehrheit auf Antrag des EVP-Fraktionschefs Luc Van den Brande die aus seiner Sicht "unausgewogene" Resolution kurzerhand von der Tagesordnung abgesetzt. Dieser Vorgang provozierte einen Eklat, die Kulturpolitiker protestierten scharf. Der Ausschussvorsitzende Jacques Legendre ist jetzt aber "fest entschlossen", die Herausforderung zu suchen. Dieses Mal dürfte sich Van den Brande der inhaltlichen Auseinandersetzung wohl nicht entziehen können.
Brisanz birgt auch eine Debatte über Meinungsfreiheit in sich. So fordert der Rechtsausschuss eine "Entkriminalisierung" der "Verleumdung" und appelliert an Staaten wie Russland, Azerbaidschan, Albanien oder die Türkei, diesen interpretierbaren Tatbestand nicht mehr für die strafrechtliche Verfolgung kritischer Journalisten zu nutzen.
Andererseits fordert die Kommission Strafen etwa für "Hassreden", "Leugnung von Völkermord" oder Aufrufe zu "Diskriminierung" und "Rassismus". Doch auch solche dehnbaren Begriffe lassen sich politisch instrumentalisieren. So protestierten vor Jahresfrist hunderte französische Historiker gegen ein von der Nationalversammlung verabschiedetes Gesetz, das Massaker an Armeniern in der Türkei während des Ersten Weltkriegs als Völkermord einstuft und dessen Leugnung unter Strafe stellt: Es sei mit der Meinungsfreiheit nicht vereinbar, so die Kritiker, dass "Staatswahrheiten" dekretiert und über das Strafrecht durchgesetzt würden. Damals urteilte auch René van der Linden aus den Niederlanden als Präsident des Europarats-Parlaments, Geschichtsinterpretation dürfe kein Thema für die Gesetzgebung sein.