GENERALSEKRETÄRE
Wüst und Lindner sind jung und wissen über Politik Bescheid. Aber sie haben sonst wenig gemeinsam.
Natürlich lächelnd lösen sich die beiden jüngsten Generalsekretäre der Republik am Rednerpult im Düsseldorfer Landtag ab. Der eine, schlank, blond und im Maßanzug, redet über den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung. Der andere, ebenfalls schlank, brünett, mit silbern eingefasster Brille, über Gewalt von Jugendlichen. Christian Lindner (FDP) und Hendrik Wüst (CDU) gehören zu den wichtigsten Köpfen der schwarz-gelben Landesregierung. Die Koalition in der Regierung hört aber nach den Debatten im Plenarsaal schnell auf: Die beiden Jungpolitiker haben nur wenig Gemeinsamkeiten.
Für den 28-jährigen Christian Lindner ist der nordrhein-westfälische Landtag "eine interessante Station" - aber bei der Bundestagswahl 2009 will er am liebsten aus seinem rheinischen Heimatort Wermelskirchen nach Berlin wechseln. Es ist bestimmt kein Zufall, dass Lindner seine Ambitionen so offen ausspricht. Nichts in seinem Leben verlief bislang planlos. Sein Anzug sitzt stets perfekt, seine Initialen sind auf seine Hemdtasche genäht. Bei jeder Pressekonferenz schmückt er seine Rede mit historischen Zitaten und Parallelen, auf seinem Bücherbord steht ein Zitatelexikon. Trotzdem, Lindner selbst behauptet: "Meine Karriere entwickelt sich absolut zufällig." Auf einem FDP-Landesparteitag Ende der 90er habe er "spontan" seinen Sitznachbarn aufgefordert, ihn vorzuschlagen. Da war er neunzehn Jahre alt - und seine Rede war gewiss nicht spontan. Perfekt formulierte er seine These, die damals befürchtete Unterwanderung der FDP von Studenten als Chance nicht als Bedrohung zu sehen. Dieser Optimismus gefiel den Liberalen und der damals Unbekannte wurde aufgestellt und zog 2000, als die FDP einen Überraschungserfolg unter dem mittlerweile verstorbenen Jürgen W. Möllemann feierte, in den Landtag ein. "Nach neun Jahren habe ich nun Interesse an etwas Neuem", sagt er förmlich. Nie würde ihm eine unbedachte Äußerung über die Lippen gehen, der Jungpolitiker ist vollkommen kontrolliert.
"Anderer Lebenslauf" Das scheint schon immer so gewesen zu sein. Während seines Studiums hat Lindner "wenig Parties gefeiert". Er hatte eine kleine Firma und seine politische Karriere miteinander zu vereinbaren. "Während andere knutschten, saß ich im ICE", sagt er. Das sei nicht bedauerlich, sondern nur ein etwas "anderer" Lebenslauf. Heute ist ihm ein Job immer noch zu wenig - neben seinem Job als Generalsekretär schreibt er an einer Doktorarbeit über den Wettbewerbsförderalismus - auch das eine Empfehlung in einer Partei, die von Doktor Guido Westerwelle geführt wird.
Hendrik Wüst, sein 32 Jahre alter CDU-Kollege, hat hingegen "kein Interesse an Berlin". Für ihn sei ein Wechsel in die Bundespolitik kein Aufstieg. Überhaupt scheint dem großen Schlaks mit dem akkuraten Scheitel viel an seiner Heimat zu liegen: Jeden Abend fährt er mit seinem Auto 90 Kilometer von der Landeshauptstadt durch das Ruhrgebiet ins Münsterland, in die Kleinstadt Rhede. Dort zwischen all den rot geklinkerten Einfamilienhäusern ist er aufgewachsen, dort fühlt er sich auch heute wohl. Das Gymnasium besuchte er im benachbarten Bocholt und diskutierte bei jeder Gelegenheit - "die SPD hatte unter Schülern und Lehrern die Mehrheit". Schon seit 1992 war er für die Junge Union aktiv, später dann Stadtverordneter in Rhede. Heute als Generalsekretär unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers redet er donnernd und in einfachen Bildern, wie es wohl früher in den dörflichen Festzelten üblich war. Bundesweit bekannt wurde er durch eine Schlagzeile der Bild-Zeitung: "Ekel-Jobs für Arbeitslose?" titelte das Massenblatt und Wüst fragte: "Warum sollen Arbeitslose nicht Spielplätze sauber halten, die häufig mit Hundekot, Glasscherben und Drogenspritzen verschmutzt sind?"
Ähnlich emotional aufgeladen verlief sein Zugang zur politischen Bühne: Eine Fernsehreportage über Kinderheime in Rumänien fand er mit 14 Jahren "so furchtbar", dass er seitdem gegen alles ankämpfen möchte, was sich "Sozialismus" nennt.
Hobbyjäger Wüst ist einer der vier jungen Christdemokraten, die im Sommer eine Rückbesinnung der CDU auf ihre konservative Herkunft forderten. "Moderner bürgerlicher Konservativismus. Warum die Union wieder mehr an ihre Zukunft denken muss", lautete der Titel der umfangreichen Schrift, die bundesweit für Schlagzeilen sorgen sollte. Darin begrüßen die vier Autoren zwar den Ausbau von Krippenplätzen, erkennen den Klimawandel an und kritisieren einen vorschnellen Einstieg in die grüne Gentechnik.
Der Haupttenor des Aufsatzes ist aber durchaus rechtskonservativ: So fordern sie zum Beispiel eine "deutsche Leitkultur", einen besonderen "Schutz von ungeborenem Leben" und einen Platz für das Kruzifix im öffentlichen Raum. Zuwanderung, die die Sozialsysteme belaste, wird darin abgelehnt.
Was treibt einen Mann im besten attac-Alter dazu, CSU-nahe Forderungen aufzustellen? "Ich habe kein Problem damit, mit attac zu sprechen", sagt Wüst. Er wolle aber nicht Politik-Manager sein, sondern in großen Linien denken, nicht Pragmatiker, sondern Ideologe sein. "Die jungen Menschen tendieren doch heute zu bürgerlichen Lebensentwürfen", glaubt Wüst. Sie wollten Partnerschaft, ein eigenes Haus, Kinder. "Unsere Partei ist gut beraten, diese Lebensentwürfe als konservativ zu bezeichnen."
Neue Wählergruppen Auch Christian Lindner versucht, die FDP vom marktradikalen Image zu befreien, neue Wählergruppen zu erschließen. So hält er Reden auf Parteitagen für ein neues Sozialprogramm, fordert im Kinder- und Jugendausschuss mehr Betreuungsplätze. Eine Woche vom Jahresurlaub opfert er für ein Praktikum im Kindergarten. "Ich hatte eine gewisse Nähe zu den Grünen", sagt er. Aber sie seien ihm zu etatistisch, ihr Menschenbild sei zu pessimistisch. "In der FDP regiert der gesunde Menschenverstand." Und der private Christian Lindner ist kein gelb angestrichener Grüner, sondern ein Liberaler nicht weit von den meist besser verdienenden Wählern und Wählerinnen der FDP entfernt: Sein Hobby sind alte Autos. Einmal im Jahr schlüpft Lindner in die Uniform der Luftwaffe: Er ist Stabsdienstoffizier und führt dort zum Beispiel das Einsatztagebuch für die Auslandsaufträge vom militärischen Stützpunkt Porz-Wahn aus. Für ihn ist das ein Ehrenamt, weil es unentgeltlich ist. "Andere machen Urlaub, ich leiste ein politisches Statement", sagt er. Beide Jungpolitiker kommen aus der freien Wirtschaft. Christian Lindner hat eine typische New-Economy-Auf- und Abstiegskarriere hinter sich. Noch während der Schulzeit gründete er eine Firma, die virtuelle Personen auf Internetseiten entwickelte, die Hilfen zur Nutzung von Internetportalen ein Gesicht geben sollten. Heute leben viele Firmen von dieser Idee - damals ging Lindners Firma bankrott. Mit dem rapide abfallenden Dax waren auch die potenziellen Geldgeber verschwunden. Er sagt heute: "Wir waren zu früh, zu schnell." Außerdem habe er von dem Misserfolg auch profitiert: "Ich musste mich persönlich in Frage stellen, mich weiterentwickeln." Er hat sich analysiert und zwei Kraftquellen ausfindig gemacht: Seine ideelle Motivation und individuellen Ehrgeiz. Wie im Lehrbuch fügt er an: "Wenn der Ehrgeiz zu groß wird, werden die Menschen zu Zynikern und Karrieristen." Eine gewisse Distanz sei wichtig. Hendrik Wüst wirkt dagegen eher wie ein politischer Handwerker. Er hat schon inBerlin gearbeitet, "unter den Linden 38", war die illustre Adresse seiner Anwaltskanzlei. Als Jurist war er spezialisiert auf Wettbewerbs- und Kartellrecht". Aber, wie gesagt, nach Berlin möchte er nicht mehr. "Dort wäre ich Nummer 158, hier in Düsseldorf bin ich ganz vorne." Welche Nummer Lindner in der Hauptstadt tragen wird, ist zumindest der Öffentlichkeit noch nicht bekannt. Annika Joeresz