BIOGRAFIE
Peter Merseburger schreibt über Rudolf Augstein - sein eindrucksvolles Buch ist zugleich das Porträt einer Epoche
Der "Spiegel" hat noch in jedem Lebenslauf seiner Mitarbeiter einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Bei Peter Merseburger, der neben seiner Tätigkeit für das Nachrichtenmagazin auch "Panorama"-Redakteur und Auslandskor-respondent der ARD war, ist der offenbar besonders nachhaltig ausgefallen. Mit einer Biografie Rudolf Augsteins legt der 1928 geborene Merseburger die bisher beste Darstellung des Lebens des "Spiegel"-Gründers vor. Es ist die Arbeit des Journalisten als His-toriker.
Merseburger geht es nicht um Enthüllungen. Den latent reißerischen Duktus, der Otto Köhlers Biografie "Rudolf Augstein. Ein Leben für Deutschland" vor fünf Jahren begleitete, hat er nicht nötig. Schließlich ist ohnehin das meiste über Augstein bekannt. Ja, Augstein schrieb in jungen Jahren einen Artikel für das Nazi-Vorzeigeblatt "Das Reich" und hatte sich mit den Umständen im Regime offenbar arrangiert, ohne dabei auch nur im Entferntesten ein überzeugter Parteigänger der Nazis gewesen zu sein. Ja, Augstein war ein Nationalist, aber eben auch durch und durch ein Liberaler. Und ja, in frühen Jahren beschäftigte der "Spiegel" ehemalige Nationalsozialisten. Diese Tatsache könne "den nicht wundern, der die Grundstimmung der Zeit in Rechnung stellt", schreibt Augsteins Biograf, keineswegs apologetisch. Denn in den Anfangsjahren habe es zwar vereinzelt "rassistische Klischees" im Blatt gegeben, doch Merseburger, dessen Quellensicherheit durch jeden Satz des knapp 450 Seiten umfassenden Werkes scheint, stellt fest: "Für einen durchgängig offenen oder auch nur subkutanen Antisemitismus im frühen ,Spiegel' finden sich (...) keine Beweise, im Gegenteil." Damit stellt sich Merseburger dezidiert gegen die These, das Blatt habe erst mit der "Spiegel-Affäre" 1962 seine Rolle als aufklärerisches Magazin gefunden.
Die Dinge, die wir über Augstein nicht wissen und wohl auch nie letztgültig erfahren werden, gehen tief hinein in die Psyche des "positiven Zynikers", als den er sich einmal selbst bzeichnete. So kann auch der Biograf nicht beantworten, warum Augstein in späteren Jahren immer öfter zur Flasche griff. Auch werden wir nie erfahren, ob er ernsthaft plante, die Hälfte am Spiegel Verlag, die er Ende der 60er-Jahre seinen Mitarbeitern schenkte, wieder zurückzukaufen und einige Jahre später, seine Kinder Franziska und Jakob als Nachfolger zu installieren.
Die Stärke der Biografie ist das Resultat einer gelungenen Gratwanderung: Merseburger gelingt es, sich in den Menschen Augstein hineinzuversetzen und ihn zugleich aus der Ferne zu betrachten. Immer wieder stellt er Fragen: Woher kam seine nationale Grundhaltung? Warum unternahm der Magazin-Gründer so viele Ausbruchversuche vom "Spiegel", von dem er sich zusehends entfremdete - als Verfasser eines von der Kritik verrissenen Theaterstücks, als Autor zahlreicher Sachbücher, nicht zuletzt als Bundestagskandidat für die FDP? Seine Antworten findet Merseburger im ausgiebigen Studium seiner Primärquelle, des "Spiegel", aber auch in Gesprächen mit Wegbegleitern Augsteins. Die Danksagungen am Ende des Buches belegen eindrucksvoll, wie umfassend die Vorbereitungen zu dieser Biografie gewesen sein müssen.
Ein Großteil der Biografie widmet sich den "Spiegel"-Jahren bis etwa Mitte der 70er. Jenen Jahren, in denen sich deutsche Geschichte, der Aufstieg des Nachrichtenmagazins zu dem bestimmenden bundesrepublikanischen Medium und die Lebensgeschichte Augsteins auf untrennbare Weise bedingten. Wie andere Autoren vor ihm stellt Merseburger die "Spiegel-Affäre" um den damaligen Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß als "entscheidende Zäsur" für die Entwicklung der Bundesrepublik dar. Auch wenn Augstein zu Beginn seiner Verhaftung Ende Oktober 1962 wegen angeblichen Geheimnisverrats versucht habe, "alle Schuld von sich zu weisen und sich rauszuwursteln", am Ende stand der Magazin-Gründer als "Figur von nationaler Bedeutung" da. Sein Blatt hatte an Macht gewonnen, die Demokratie im Land eine große Bewährungsprobe bestanden.
Augstein selbst, so Merseburger, habe indes immer um die Defizite seiner Schöpfung gewusst - wirksam als "politische Waffe", aber dem "eigenen, besonders hohen Anspruch eines seriösen Journalismus" nicht genügend. Vom Erfolg habe sich Augstein nie blenden lassen. Wie Promotheus an den Kaukasus sei er an sein Geschöpf gefesselt gewesen - irgendwie ging es für ihn nicht ohne den "Spiegel", aber mit ihm wurde Augstein auch nicht glücklich.
Das klingt etwas pathetisch für den sonst nüchternen, aber niemals anteilslosen Stil Merseburgers. Seinem komplexen und komplizierten Protagonisten Augstein gegenüber wirkt diese Formulierung dennoch nicht aufgesetzt. Wer wie Augstein schon zu Lebzeiten in den Pantheon gehoben wurde, hat sich seinen Platz dort verdient. Auch wenn er selbst mitunter daran gezweifelt haben mag.
Rudolf Augstein. Biografie.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007; 576 S., 29,95 ¤