Literatur und Film
Geopolitik in fantastischen Welten
Gleich wird der einstige Hexenmeister von Angmar dem vor Angst schier gelähmten Hobbit den Ring abnehmen und ihn zu seinem Herrn nach Mordor bringen - als der Fluss Pferde und Reiter des Feindes in Aufruhr versetzt und hinwegreißt. Der Fluss Bruinen, so heißt es in J.R. Tolkiens "Der Herr der Ringe" weiter, unterscheide Freund vom Feind. Und ertränke nur letzteren. Eine solche Freund-Feind-Unterscheidung erinnert den Literatur- und Medienwissenschaftler Niels Werber ohne Umschweife an diejenige Carl Schmitts; dabei liest Werber Tolkien aus einem geo- und biopolitischen Blickwinkel. Er rekurriert an dieser Stelle seines neuen Buches auf Halford J. Mackinder und Friedrich Ratzel und verdeutlicht eine Verbindung des Politischen und der Natur, die auch in Bezug auf die mittelalterliche Lehre von den "Zwei Körpern des Königs" gesetzt werden kann. Er zeigt, wie Mittelerde, der Schauplatz der Tolkienschen Romantrilogie, mehrere solcher "aktiver" geopolitischer Grenzen wie den Bruinen aufweist.
Eine derartige Analyse "popkultureller" Ordnungs- und Weltentwürfe ist nicht nur erhellend und überraschend. Sie liest sich vor allem spannend wie die Texte selbst. "Die Geopolitik der Literatur" hat Werber seine Studie genannt, die neben dem "Ringkrieg" beispielsweise Mynonas "Graue Magie" oder Stanslaus Bialkowskis "Krieg im All" untersucht. Es geht um das, was wir verstehen können, wenn wir lesen. Zum Beispiel: eine "mediale Weltraumordnung".
Wer sich einmal gefragt hat, was denn all die Orks und Elben, Zwerge und Zauberer über das Fantastische hinaus zu sagen haben, dem gibt Werber Antworten. "Der Ork ist der rassisch andere. Die Rasse der Orks unterscheidet sich durch ihre Herkunft, ihr Aussehen, ihre Sprache und ihre Handlungsmaximen." Fremdheit und Alterität -zentrale Problemfelder der Gegenwart -können so nachvollzogen werden.
Tolkien, der die Andersheit des anderen inszeniere, um seine Ausrottung zu legitimieren, könne auf einen wohletablierten, eurozentrischen entwicklungsbiologischen Diskurs zurück greifen, der seit dem 18. Jahrhundert die Lehre vertritt, dass Depravation und Perversion der Grund für den Ursprung der farbigen Rassen der Menschheit seien. "Zum anderen wird man also durch Degeneration."
Wenn auch sowohl "postcolonial studies" wie poststrukturalistische Theorie das "Eigene" und das "Andere" bereits ausgiebig erforscht haben, erweisen sich die Perspektiven des Buches als erstaunlich Gewinn bringend. Es entwirft einen Kosmos oder besser: ein Kalendarium über das Paralleluniversum vielgelesener Belletristik und massenhaft konsumierte Blockbuster, welche aus der offiziellen Forschung oftmals ausgeklammert bleiben. Dabei vermitteln sie seit Jahrzehnten ein "Wissen über den Zusammenhang von Techniken und Medien, Raumordnungen und Macht". Das ist Werber hoch anzurechnen. Dass er nicht nur Kleist, Herder, Hegel, Melville, nicht allein Thomas Hobbes oder Michel Foucault konsultiert - was er gleichermaßen versiert wie einträglich vermag. Sondern auch den Blick weitet für populäre Geschichten und "unheimliche" Romane.
Werber beweist, wie hellsichtig und "modern" all diese "Medien" sind, erscheinen doch Genmutationen, Zombiekult und Massenvernichtungswaffen aufs Trefflichste ausfantasiert.
In seinen Abhandlungen über den "Begriff des Politischen" (1932) schreibt Carl Schmitt, dass es im Krieg oder Notstand, in dem ein politischer Feind die Existenz des Staates bedroht, dem Bürger zurecht zugemutet werden könne, andere zu töten und das eigene Leben zu gefährden, um dem Staat die Möglichkeit zu erkämpfen, wieder die Voraussetzungen für die Geltung von Normen zu schaffen. Werber nimmt solche Überlegungen zum Anlass, Gesellschaftsentwürfe und politisches Handeln in der Literatur zu reflektieren.
Schmitts oben angesprochene Position etwa sieht er in Georg Lucas' "Star-Wars-Saga" veranschaulicht: Die Episoden I und II des Sechsteilers würden das "Ende eines Staates" durch Handels- und Blockadekriege, Interventionen und Separatismus, Autoritätsverlust der Exekutive und dem Niedergang der Legislative schildern. Solche Textbeobachtungen verknüpft Werber geschickt mit neueren und neuesten ideengeschichtlichen Ansätzen, hier zurecht mit denjenigen Giorgio Agambens, der ausgeführt hat, wie im Zeitalter der Biopolitik der Ausnahmezustand zum Normalfall geworden ist.
Werber versteht es, solche Thesen, die derzeit zwar Konjunktur haben, jedoch nichtsdestoweniger wichtige Anhaltspunkte an den Schnittpunkten wissenschaftlicher Disziplinen versprechen, einerseits philologisch anzuwenden, andererseits aber für ein Laienpublikum verständlich zu bleiben. Was wir über unsere Welt wissen, meint Werber in Anlehnung an Niklas Luhman, füge sich nicht von selbst zu orientierenden Formeln: "Suggestive Narrative und Bilder nehmen Einfluss auf unsere Selbstbeschreibungen." In anderen Worten: Lesen hat selten jemanden geschadet.
Die Geopolitik der Literatur. Eine Vermessung der medialen Weltraumordnung.
Carl Hanser Verlag, München 2007; 334 S., 24,90 ¤