Mediengeschichte
Magenaus Buch über die taz ist Biografie und Sittengemälde zugleich
Am Ende landete der Tisch im Ofen einer WG, als Brennholz. Das bauchige Monstrum von Redaktionstisch, das elf Jahre lang treue Dienste leistete, ist Teil des Mythos um die linke "tageszeitung" (taz): Vom Erwerb bis zum Verschwinden verkörpert er die wesentlichen Elemente des einstigen "linken, lauten Projekts" und der heute "unabhängigen Qualitätszeitung und Institution der deutschen Presselandschaft", so die Selbst-Beschreibung. Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele hatte den Tisch 1969 auf einem Flohmarkt gekauft, mit einem Umweg über die Kommune I von Rainer Langhans landete er 1979 in der taz, Ende August 1990 entführten ihn Berliner Hausbesetzer aus den Redaktionsräumen. Was blieb, ist ein Schwarz-Weiß-Foto vom Tisch, umringt von den Entführern, bis auf die Gesichtsmasken sind sie splitterfasernackt. Heute füllt das Bild eine ganze Wand im taz-Café.
Nur konsequent, dass ein Foto jenes Redaktionstischs das Cover von Jörg Magenaus Buch "Die taz. Eine Zeitung als Lebensform" ziert. Genau genommen ist es die Biografie einer Zeitung. Ein vergleichbares Buch über den "Spiegel" hätte sich unweigerlich auf Rudolf Augstein und Stefan Aust konzentriert. Doch der Autor, selbst zwischen 1997 und 1999 Kulturredakteur des Blatts, stellt fest: "Das Kollektiv in seiner wandelbaren Gestalt ist das eigentliche Subjekt des Geschehens." Besser lässt sich das Phänomen taz kaum charakterisieren.
Magenau knöpft sich 14 handverlesene Daten als Kapitelaufhänger vor und dekliniert so die wesentlichen Aspekte der taz-Geschichte durch. So führt der Autor vom 27. September 1978, Erscheinungsdatum der Nullnummer, mitten in die grün-alternativ-bewegte Vorgeschichte der taz, zu Redakteuren der 1980er, die aus Frust über das "Spießbürger"-tum der Zeitung das Handtuch werfen, bis ins Jahr 2002, als die taz den langen Rechtsstreit um das Tatzen-Logo mit einem Outdoor-Ausrüster verlor: von den Anfängen der gelebten Utopie einer alternativen Zeitung also bis hin zum real existierenden Souvenirismus mit Tassen, Saunatüchern und Fahrrädern.
Die taz ist noch immer eine Kuriosität: Eine Abo-Zeitung aus Prinzip, weitgehend anzeigenfrei, Niedriglohn für alle und 200 Euro zusätzlich pro Kind. Im Juni 2007 wurde der NRW-Teil eingestellt, zeitgleich startete der neue Online-Auftritt. "Die taz existiert nach wie vor nicht deshalb, um damit Geld zu verdienen", bilanziert Magenau, "sondern um bestimmte Inhalte zu verbreiten". Dazu gehören die Ökologie als Weltanschauung, die Solidaritäts-"Briefe an Rushdie", die Frauenquote, das Binnen-I und die "Titten-taz", die Ära der Ost-taz oder der Kampf für die programmatische Umbenennung der Kochstraße - dem Sitz der Zeitung in Berlin - in Rudi-Dutschke-Straße.
Nur ein Ex-Insider konnte ein Buch über dieses Blatt und seine Macher schreiben. Einer, der weiß, was es heißt, in diesem notorisch basisdemokratisch orientierten Laden zu arbeiten. "Wer entscheidet, muss auch Verantwortung übernehmen. Und wer Verantwortung hat, muss auch entscheiden dürfen", zitiert Magenau den Geschäftsführer und Mann der ersten Stunde Karl-Heinz "Kalle" Ruch. Ein Satz aus dem Jahr 1991, als die taz sich als Genossenschaft in die Hände ihrer LeserInnen begab. 16 Jahre und eine weitere Generation JournalistInnen später ist diese simple Weisheit dennoch keine Selbstverständlichkeit im Haus.
Jörg Magenau hat eine akribisch recherchierte Geschichte geschrieben, die trotz aller Details immer die taz als Ausdruck einer Lebenseinstellung im Blick behält. LeserInnen wie RedakeurInnen sind gemeinsam älter geworden, sie sind noch immer Überzeugungstäter. Bis zum nächsten gut dotierten Angebot - die taz ist nach wie vor "Durchlauferhitzer" der Medienbranche. "Wie ein zerfallender Atomkern", kommentiert Magenau süffisant, "streut sie permanent ihre Substanz: alternatives Bürgertum."