Buchmesse
Peter Weidhaas hat seine Erinnerungen an ein Leben im Dienst von Literaten und deren Bücher veröffentlicht
Man muss sich Peter Weidhaas als einen belesenen Menschen vorstellen. Mal wirkt sein Leben derart getrieben, als wäre es einem Roman von Peter Handke entsprungen, mal fatal romantisch, fast wie aus einer tragischen Liebelei von Max Frisch. Und dann - dies sind im Leben des Peter Weidhaas die vermutlich eintönigeren Stunden -, dann erscheint das ganze Dasein derart trist, als käme es aus einer muffigen Essaysammlung Marshall McLuhans oder Theodor Adornos gekrochen. All diese großen narrativen Schablonen indes, man kann sie dem gelernten Buchhändler aus dem Berliner Wedding nicht wirklich verübeln. Mehr als 25 Jahre nämlich lebte Weidhaas mitten unter den großen "hommes de lettre". Und dennoch: nie war er wirklich einer von ihnen.
In gewisser Weise kann man gar sagen, Weidhaas bekleidete im Maschinenraum des Wahren, Schönen und Guten den vielleicht begehrtesten, letztlich aber auch profansten und dreckigsten Job. Er war der, der auf möglichst diskrete Weise aus Wort Fleisch zu zaubern hatte. Oder anders ausgedrückt: er musste Geist in Kapital verwandeln. Nach einer Lehre als Buchhändler und einem kurzen Studium in der Schweiz trat er im Jahr 1968 dem Organisationsteam der Buchmesse in Frankfurt bei. Für sieben harte Jahre organisierte er im Dienste des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Ausstellungen in der ganzen Welt. Im Sommer 1973, erfolgte für den Handlungsreisenden der unverhoffte Aufstieg an die Spitze: Weidhaas, der für einen Karrieristen stets zu grüblerisch und für einen Denker zu hausbacken war, wurde 1975 nach langen Diskussionen zum Direktor der Frankfurter Buchmesse gewählt.
In dieser Zeit wurde aus einer Veranstaltung für Insider ein Event für eine breite und kulturinteressierte Öffentlichkeit; aus einer nationalen Bücherschau ein global beschleunigter Kultur-Jahrmarkt. Unter dem etwas geschraubten Titel "Und kam in die Welt der Büchermenschen" legt Weidhaas Rechenschaft über seine Zeit im Dienste der größten und ältesten Buchmesse der Welt ab.
In nackte Zahlen ist es eine Erfolgsbilanz: In einem Vierteljahrhundert konnte Peter Weidhaas die Anzahl der Messebesucher um 193 Prozent steigern, die der Aussteller gar um 245 Prozent. Kamen 1974 lediglich 3.903 Verlage nach Frankfurt, so waren es 1998 bereits 9.545. Dabei stieg die Zahl der teilnehmenden Länder von anfangs 60 auf 105. Doch das, was die Ära Weidhaas bis heute auszeichnet, sind die im Jahr 1977 erstmals verwirklichten Messeschwerpunkte: Sechs fachliche Schwerpunkte und elf so genannte Länderschwerpunkte mit insgesamt 2.340 Einzelveranstaltung hat Weidhaas in seiner Zeit als Messedirektor organisiert. Dabei lagen ihm besonders abseitige Themen am Herzen: Die Literatur Indiens oder Lateinamerikas oder die intellektuellen Diskurse im einstigen Ostblock . Mit seinem unermüdlichen Engagement für die "informationellen Habenichtse" hat er diese aus dem toten Winkel der Wahrnehmung gezerrt.
Wäre Peter Weidhaas also nur der Direktor einer Messe für Autos oder Kühlschränke gewesen, er könnte seinen Lebensabend genüsslich mit edlem Cognac und Zigarrenqualm krönen. Doch Peter Weidhaas Welt war die Literatur - die deutsche allzumal. So umgibt seine Lebenserinnerungen ein schwüler Hauch Melancholie und Wehmut Und just mit diesem geht er dem Leser leider allzu oft schwer auf die Nerven. Je mehr sich Weidhaas in seiner dicken Lebensbilanz dem Abschluss seiner unbestrittenen Erfolge nähert, je mehr nutzt der Sozialromantiker aus dem Frankfurter Messeturm das noch unbeschriebene Papier, um darauf im großen Stile "rumzuspenglern". "Die Buchmessen", so schreibt er etwa mit schwer getrübten Sinnen, "sind kein Medium der Zukunft, sie werden bald verschwinden". Mit diesen selbstverständlich auch die vom Direktor i. R. so geliebten "Buchmenschen", die "Aufgeklärtheit", die "Vernunft" höchst selbst. So spricht nicht nur einer, der im Buch stets die Einheit von Ware und Geist erblickt hat; so spricht einer, der sich selbst zu wichtig nimmt. Diese Hybris spiegelt sich leider auch in den akrobatischen Sprachschrauben, die Weidhaas, Dealer inmitten von Denkern, durch seine abgekupferten Sätze dreht.
Da ist etwa seine Liebe zur einstigen Kollegin Frau K. Diese war "wie ein Brunnen, aus dem es unaufhörlich und aus tiefem Urgrund sprudelte. Sie stand wie ein Baum mit tiefen Wurzeln im Urgestein des Lebens". Ein Satz, bei dem jedem Leser Herz und Atem stockt. Man hört noch die Vokabeln scheppern, nachdem sie dem Autor mit großem Knall um die Ohren geflogen sein müssen. Wenigstens einen guten Lektor hätte man da dem eigentlich grundsympathischen Weidhaas an die Seite gewünscht. Still und heimlich beneidet man gar die großen Direktoren der Automobil- und Kühlschrankmessen. Nie nämlich wären die auf die Idee gekommen, als Pensionäre nun selbst einmal einen City-Flitzer oder wenigstens einmal eine kleine Kühlbox zusammenzuschrauben.
Und kam in die Welt der Büchermenschen.
Ch. Links Verlag, Berlin 2007; 408 S., 24,90 ¤