DDR-OPPOSITION
Jürgen Fuchs wurde eingesperrt, von der Stasi terrorisiert und abgeschoben. Einschüchtern ließ er sich nie.
Dieser Ort war auf keiner Karte in der DDR verzeichnet: die Stasi-Haftanstalt in Berlin Hohenschönhausen. Seit einiger Zeit ist sie zum Symbol für den Schrecken der SED-Diktatur geworden. Wer dort eingeschlossen war, blieb für die Außenwelt wie vom Erdboden verschluckt. Weder der Verhaftete noch seine Angehörigen wussten, wo er sich befand und seine Peiniger sagten es ihm nicht.
Vor mehr als 30 Jahren war dort einer der wichtigsten Oppositionellen des SED-Staates, Jürgen Fuchs, eingesperrt. Sein Protest gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann war der Anlass, ihn zu inhaftieren. Doch den Willen, er selbst zu sein, ließ sich der Schriftsteller und Menschenrechtler auch durch tägliche, stundenlange Verhöre nicht austreiben. In dieser Situation verzweifelter Ausweglosigkeit hatte er die Kraft, die psychologisch ausgefeilten Zermürbungstechniken während der Verhöre zu analysieren und sich einzuprägen.
Schon relativ kurze Zeit nach seiner Zwangsabschiebung 1977 in den Westteil Berlins veröffentlichte er eine "Spiegel"- Serie und ein Buch, in dem er die hinterhältigen und subtilen Methode der Unter- drückung in seinem charakteristischen dokumentarischen Stil darstellte.
Fuchs gehörte zu den ersten, die darauf aufmerksam machten, dass die Gewalt in der SED-Diktatur in eine neues Gewand geschlüpft war. Diese zielte bei der ideologisch motivierten Säuberung der Gesellschaft vor allem auf das unschädlich Machen des denkenden und wollenden Ichs, um gefügige Menschen herzustellen.
Knapp zehn Jahre nach seinem rätselhaften Tod im Jahr 1999 erinnert nun erstmals eine Biografie an diesen zu wenig bekannten Mann, der das Zeug dazu hat, eine Leitfigur der Zivilgesellschaft zu werden: "Jürgen Fuchs - Ein literarischer Weg in die Opposition". Ihr Verfasser, der Thüringer Autor Udo Scheer, gehörte einst selbst zu den Dissidenten-Kreisen in der DDR und war mit dem Porträtierten persönlich bekannt.
1950 im vogtländischen Reichenbach geboren war Fuchs schon als Schüler wegen kritischer Meinungsäußerungen bei der Schulleitung aufgefallen. Nach dem Wehrdienst bei der NVA wurde er 1971 überraschend zum Studium der Sozialpsychologie an der Universität Jena zugelassen.
Erste Publikationen des Lyrikers und Prosaautors fielen in diese Zeit, das meiste blieb jedoch unveröffentlicht. Allerdings erregte Fuchs mit seinen oppositionellen Texten den entschiedenen Zorn der SED-Obrigkeit. Kurz vor dem Examen wurde er deshalb 1975 "wegen Schädigung des Ansehens der Universität in der Öffentlichkeit" exmatrikuliert. Aufnahme fanden seine Familie und er bei dem bekannten DDR-Dissidenten Robert Havemann in Grünheide. Dort wurde er verhaftet und nach neun Monaten nach West-Berlin abgeschoben. Die Stasi gab ihm die Worte mit auf den Weg: "Legen Sie sich später nicht mit uns an. Wir finden Sie überall. Auch im Westen. Autounfälle gibt es überall."
Doch ließ er sich davon nicht einschüchtern und veröffentlichte in der Bundesrepublik bald darauf seine Bücher "Gedächtnisprotokolle" und "Vernehmungsprotokolle", in denen er in bewusst klarer Diktion Innenansichten der Macht im SED-Staat und ihrer Zwangssozialisation lieferte. Zudem hielt er Kontakt zu oppositionellen Gruppen im Ostblock. Auch aus diesem Grund stand er weiterhin unter der Beobachtung durch die Staatssicherheit, die versuchte, ihn mit Hilfe von ausgeklügeltem Psychoterror zu "zersetzen". So explodierte vor seinem Haus eine Bombe, ein anderes Mal wurden die Bremsschläuche seines Autos durchgeschnitten.
Nach dem Fall der Mauer bemühte sich Jürgen Fuchs besonders um die Aufklärung der Verbrechen des MfS. Ab 1991 arbeitete er in der Gauck-Behörde, wo ihm wieder ehemalige Mitarbeiter der Stasi begegneten, die nun ebenfalls bei der Behörde beschäftigt waren. Aus Protest dagegen legte er 1997 seine Arbeit nieder.
Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass er an Leukämie erkrankt war. In ihm keimte der Verdacht, dass die Krankheit durch versteckte Anwendung von Röntgenstrahlen während seiner Haftzeit verursacht wurde. Dafür sprechen Indizien wie die Entde-ckung eines Röntgengerätes im Fotoraum der Untersuchungshaftanstalt in Gera sowie Aufzeichungen der Stasi, die sich damit beschäftigen, wie man politische Gegner unbemerkt durch Verstrahlung zu Tode bringen kann. 1999 starb Fuchs an Krebs.
Der Autor Scheer versteht es, seine Leser auf der Reise durch die einzelnen Stationen dieses ungewöhnlichen Lebens mitzunehmen, konfrontiert sie mit dem hartnäckigen Machtanspruch der Diktatur, dem niemand ausweichen konnte - und den Antworten, die Jürgen Fuchs darauf gab. Zeitzeugen kommen zu Wort und immer wieder Fuchs selbst. In seiner Darstellung erreicht Scheer auf diese Weise eine existentielle Unmittelbarkeit der Lebensbeschreibung, die nebenbei die diffusen und auch konkreten Bedrohungen der Menschen im SED-Staat fühlbar werden läßt. Kurz: Ein lesenswertes Stück Zeitgeschichte über einen aufrechten Demokraten.
Jürgen Fuchs - ein literarischer Weg in die Opposition.
Jaron Verlag,
Berlin 2007; 320 S., 14,90 ¤