1968
Das anstehende Jubiläum des Protests bringt neue Bücher. Auch Daniel Cohn-Bendit hat eins verfasst.
Manche Bücher liefern die Hauptargumente für Kritik an ihnen gleich mit: Im ersten Aufsatz des Sammelbandes "1968. Die Revolte" heißt es: "Die 68er waren, kein Zweifel, Produzenten von eindrucksvollen Papierbergen." Da das Buch von einem der prominentesten 68er, Daniel Cohn-Bendit, herausgegeben wurde, darf man konstatieren: Daran hat sich bis heute nichts geändert. Allein in der ersten Jahreshälfte 2007 sind mehrere Bände erschienen, die sich dem Phänomen des nahezu weltweiten Jugendprotests widmen und für das Jubiläumsjahr 2008 steht eine Flut weiterer Erinnerungen, Aufarbeitungen, Analysen und Abrechnungen an.
Die Auswirkungen einer Bewegung, die zwar ihren Höhepunkt in Deutschland schon 1967 fand, aber hartnäckig unter "1968" firmiert, sind bis heute umstritten. Und es scheint, als sei nahezu jedes Argument sowohl dafür, dass der Studentenprotest befreiend und befördernd auf die politische Kultur in Deutschland wirkte, als auch dafür, dass sie den Weg für terroristische Gewalt und einen verantwortungslosen Lebensstil geebnet habe, benannt worden. Unter diesem Verdacht steht damit auch das neue Buch des "roten Dany", der erst in Frankreich Sprecher der Mai-Revolten und dann in Deutschland Aushängeschild der Außerparlamentarischen Opposition war. Tatsächlich befördert ein Blick ins Inhaltsverzeichnis diesen Eindruck. Dort finden sich die üblichen Verdächtigen: Reinhard Mohr schreibt über "die Liebe zur Revolution", Gerd Koenen über den "Muff von tausend Jahren. Ein Aufstand gegen die Kriegsgeneration" und Ulrike Edschmid und Bahman Nirumand sind mit den Aufsätzen "Ich gehöre nicht mehr dazu. Im Zeichen der Waffe" und "Sehnsuchtsträume. Warum die Revolution ausblieb" vertreten. Das alles erzeugt ein Déjà-vu, denn das alles wurde bereits mehrfach geschrieben und gedruckt. Und auch das Vorwort der beiden Herausgeber Cohn-Bendit und Rüdiger Dammann stellt zum x-ten Mal die Frage, warum "eine bis dahin politisch unauffällige junge Generation plötzlich weltweit aufbegehrte und die bestehenden Verhältnisse zum Tanzen brachte" - um festzustellen, und auch das ist nicht neu, der Ausbruch des Protests sei "nicht eindeutig zu markieren" und die Zielrichtungen der vielen Jugendproteste in der Welt seien "durchaus unterschiedlich" gewesen. 1968, so heißt es weiter, sei ein "schwieriger, ein schillerender, ein umstrittener Erinnerungsort". Aha.
Dass Leser das Buch an dieser Stelle angesichts der Banalität der ewigen Wiederholungen entnervt zur Seite legen könnten, ist verständlich - und doch wäre es zu früh. Denn neben den zum wiederholten Mal recycelten Texten finden sich darin auch drei wirklich lesenswerte und interessante Aufsätze.
Die Regisseurin Helke Sander, die 1968 gemeinsam mit anderen Frauen den "Aktionsrat zur Befreiung der Frauen" gründete, hat in einem bemerkenswert einfühlsamen Brief an Sani, wohl ihre Enkelin, beschrieben, wie die Frauenbewegung entstand und wie die Frauen, die ihr angehörten, sozialisiert worden waren. Mädchen mussten unterwürfig sein, adrett, demütig - und gehorsam. "Dass Männer das Sagen hatten, schien wie ein Naturgesetz, das man hinnahm und worüber nicht nachgedacht wurde." Ende der 60er-Jahre dann habe es in vielen Frauen gebrodelt und irgendwann sei es soweit gewesen, dass "alles hoch kam, überlief und der Deckel mit einem schrillen Pfeifen wegflog".
Bei aller Begeisterung über diesen Ausbruch verhehlt Sander anders als so viele Alt-68er, die allein die Tatsache, "dabei" gewesen zu sein, für einen bemerkenswerten Charakterzug halten, nicht, dass damit auch Schattenseiten einhergingen: "In jede Beziehung zieht bald der Dogmatismus ein und es bekommen die Leute das Sagen, die möglichst einfache Erklärungen anbieten und dann streng darauf achten, dass nur noch ihren Ansichten gefolgt wird."
Auch Gabriele Gillen räumt in ihrem Beitrag "Das Wunder der Liebe" ein, dass entgegen zahlreicher Mythen, die sich um die sexuelle Befreiung der 68er bis heute drehen, viele der "sexualemanzipatorischen Experimente" gescheitert seien: "Die Aktivisten mussten erkennen, dass grenzenlose Freiheit keinen glücklichen Nachwuchs garantiert; Protagonisten der freien Liebe unterschätzten das Bedürfnis nach Verlässlichkeit und Geborgenheit; Kommunen endeten mitunter als skurrile Sekten; sexuelle Freiheit mündete nicht selten in Beliebigkeit und Unverbindlichkeit." Dennoch habe man in dieser Zeit zum ersten Mal in der Geschichte versucht, die Gesellschaft und die Individuen gleichzeitig zu verändern und dabei einige wichtige Erfolge errungen - etwa die, dass junge Väter sich heute selbstverständlich um ihre Kinder kümmern. Gillen fordert dringend eine neue 68er-Bewegung, die "Trägheit und Anpassungsbereitschaft" in Frage stellt.
Von dieser Idee mag man halten, was man will - doch die Aussicht auf weitere Papierberge, deren Neuigkeitswert nicht größer ist als der dieses Buches, macht ein wenig Angst.
1968. Die Revolte.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2007; 368 S., 14,90 ¤