Kultur-Pessimismus
Abschalten als einzig wahrer Umgang mit den Medien
Ausgerechnet mit einem Kerl namens "Otto Medienkonsument" und dessen medienkonsumierenden Gang durch den Tag beginnt Hektor Haarkötter sein "Anti-Medienbuch". Statistiken über Radiowecker-Nutzung über Frühstücksfernsehen bis hin zu Sexfotos aus dem Internet bilden die Grundlage. Tagesabläufe wie diesen, die die Omnipräsenz von Medien geißeln sollen, kennt jeder. Es ist dröge, tausendmal eingesetzt - man will sofort weiterzappen.
"Abschalten", das ist der Titel dieses selbst ernannten "Anti-Medienbuchs". Zufall wohl, dass Haarkötters anderes Buch ausgerechnet "Nicht-endende Enden" heißt. Er will eine Zustandsbeschreibung der Medien leisten, die Medientheorien von Neil Postman und Pierre Bourdieu neu auseinandernehmen, er bemüht Ludwig Wittgenstein und Platon.
Und verharrt dennoch erst einmal bei Plattitüden. "Der Berufswunsch ,in die Medien' zu gehen", schreibt Haarkötter, "ist, neben ,in die Wirtschaft' und ,in die Politik' zu gehen, der Ausdruck eines unbestimmten Willens zur Elitebildung. An die Stelle des Wunschs nach einer bestimmten Tätigkeit, einer erfüllenden Arbeit oder einem echten Beruf als Berufung tritt hier die Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu einer bestimmten Clique, die Renommee, Einfluss und Reichtum zu versprechen scheint". So weit, so differenziert.
Haarkötter konzentriert sich auf die verschiedenen Erscheinungsformen, nacheinander nimmt er Buch, Zeitung, Fernsehen und Computer unter die Lupe. Er zitiert Bourdieus These vom "Wegwerfdenken" bei der Medienproduktion - kaum entstanden, schon überholt, versendet. Aktuelle deutsche Literatur - also alles nach Thomas Mann: nur Stuss - und Zeitungen lassen sich pauschal "absichtsvoll zu Handlangern" von PR machen, und die längst zum Reflex geronnene Tirade auf Computerspiele darf da nicht fehlen. Die berühmte These des kanadischen Theoretikers Marshall McLuhan, "The Medium is the message", findet Haarkötter, "ist auch in dem Punkt zu korrigieren, dass die meisten Medienprodukte keine ,message' besitzen." Ach herrje.
Alles in allem changiert Haarkötters Text zwischen fundiertem Wissen einschlägiger Medientheorien, Statistiken und haarsträubend vereinfachenden Feststellungen. Eine bizarre Mischung. Knallharte Empirie und geisteswissenschaftlicher Hardcore vertragen sich selten, zeigt sich hier einmal mehr. Wer sich überlegt, "in die Medien zu gehen", kann dennoch sicher einiges lernen. Von Platon über Kierkegaard bis Postman, von der Erfindung der Schrift über die "Bild"-Kolumne "Post von Wagner" bis zu RFID-Chips steckt schließlich alles drin.
Als Nachgeschmack bleibt: Das Buch erinnert stark an die späten 1980er-Jahre, als das Privatfernsehen aufkam, und an die späten 90er-Jahre, als das Internet auftauchte. Als die Bildungsbürger aufschrieen und um ihre Kulturgüter besorgt waren, die Welt in Verwahrlosung und Analphabetentum versinken sahen. Indem Haarkötter Buch, Zeitung, Fernsehen und Computer - aber nicht das Radio - aufführt, wiederholt er quasi auch die Unkenrufe der Kultur-Apokalyptiker aller Zeiten. Und das in einer Zeit, in der Medien etwa in Form verschiedenster Web2.0-Produkte auch dafür sorgen, alternative Informationen zugänglich zu machen. Es ist so reaktionär, dass man sich fragt: Meint er das ernst? Lohnenswerter wäre, einmal dem größer werdenden Wunsch nach Authentizität von Medien nachzugehen, dem Verlangen nach Dokumentarfilmen, Autobiographien und Blogs. Den Umgang mit Medien aller Couleur lernen wir heute sowieso von klein auf - leider mal besser, mal schlechter.
In ihrer Neujahrsansprache regte die bekannte SMS-Schreiberin und Bundeskanzlerin Angela Merkel an, im kommenden Jahr doch öfter einmal das Handy auszuschalten. Auch so kann man Mediennutzung üben. Bücherlesen taugt laut Haarkötter schließlich auch nicht.
Abschalten. Das Anti-Medien-buch.
Primus-Verlag, Darmstadt 2007; 160 S.,19,90 ¤