Terrorismus
Fünf Jahre recherchierte Lawrence Wright für sein Buch über den 11. September und die Terrorgruppe al-Qaida. Sein mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetes Buch ist das bislang wohl beste zum Thema.
Zu einem der bedeutendsten Standardwerke über den islamistischen Terrorismus gehört mit Fug und Recht die grandiose Studie "Der Tod wird Euch finden" des amerikanischen Journalisten Lawrence Wright. Für seine ausgezeichnete Arbeit wurde er in diesem Jahr mit dem Pulitzer-Preis belohnt, obwohl der Buchmarkt in den USA mit Titeln zum "11. September" geradezu überschwemmt wird.
Schlüssel für den Erfolg des Buches ist nicht etwa die lange Liste mit Sekundärliteratur oder die schier endlos erscheinende Übersicht der veröffentlichten Quellen. Beeindruckend ist das Register mit den knapp 600 Personen, die der Autor weltweit interviewte. Wright heftete sich an die Spur der Terroristen in Ägypten, Saudi-Arabien, Pakistan und im Sudan. Dort besuchte er die Orte, an denen Osama bin Laden und sein Vize, der ägyptische Arzt Ajman al-Zawahiri, gelebt und gearbeitet hatten. Er sprach mit Jugendfreunden, Schulkameraden und Familienmitgliedern der Terroristen, zudem mit Wissenschaftlern und Sicherheitsexperten. Natürlich reiste er auch nach Hamburg, wo Mohammed Atta den Terroranschlag geplant hatte, nach Spanien, Frankreich und London.
Sorgfältig wusste der Autor des "The New Yorker" dabei die Informations-Spreu vom Weizen zu trennen. Danach bleibt für einige Dutzend so genannte "Terrorismus-Experten" noch so viel Material übrig, dass sie es zwischen zwei Buchdeckel pressen können. Immerhin fünf Jahre seines Lebens steckte der Journalist in die Quellenanalyse, wie er in einer kurzen Anmerkung am Ende seiner Monographie deutlich macht. Zugleich erzählt Wright, wie er zu diesem Thema kam und welche Schwierigkeiten er hatte, der Wahrheit über al-Qaida möglichst nahe zu kommen.
Hindernisse gab es mehr als genug: So änderten wichtige Quellen, wie beispielsweise der saudi-arabische Geheimdienstchef und spätere Botschafter in den USA, Prinz Turkis, ihre Aussagen, oder Wright erhielt keinen Termin, um mit wichtigen Zeugen zu sprechen. CIA-Mitarbeiter wollten sich plötzlich nicht mehr mit ihm treffen, andere wiederum, die über al-Qaida gut informiert waren, saßen entweder in geheim gehaltenen oder in regulären amerikanischen Gefängnissen, wo sie von jedem Kontakt mit den Medien abgeschirmt wurden. "Eine umfassende Geschichte von al-Qaida wird erst geschrieben werden können, wenn diesen Männern erlaubt wird zu reden", unterstreicht der Autor denn auch.
Einer sicheren Quelle zufolge wurde al-Qaida bereits im Mai 1988 gegründet, ein erstes schriftliches Protokoll erwähnt hingegen den 11. August 1988 als Gründungstermin. Nach den Worten des Autors hörte die CIA die Bezeichnung "al-Qaida" zum ersten Mal im November 1996 während des Verhörs eines sudanesischen Informanten auf einem US-Militärstützpunkt in Deutschland. Das bedeutet, dass der angeblich mächtigste und bestinformierte Geheimdienst der Welt ganze acht Jahre nichts von der Gründung al-Qaidas wusste, einer international agierenden Terrorgruppe, die sich gegen die Vereinigten Staaten verschworen und sie zu ihrem Hauptfeind erklärt hatten. Damals gehörten ihr bereits 93 Mitglieder an.
Der Bestseller "Der Tod wird Euch finden" folgt einer ähnlichen Dramaturgie wie "Die Iden des März" des dreifachen Pulitzer-Preisträgers Thornton Wilder. Geschichte und Gegenwart werden parallel erzählt und am Ende führen die Ereignisse zahlreiche Unbekannte an einem Ort zusammen. In diesem Fall steht ein bestimmtes Datum im Mittelpunkt, der 11. September 2001. Wright, der auch Drehbücher verfasst, reihte seine teilweise sensationellen Informationen nicht einfach aneinander, sondern konstruierte einen politischen "Krieg und Frieden" in Zeiten des globalen Terrors. Der Autor will wissen "warum sie uns wirklich hassen" und wie es zum "11. September" kommen konnte.
Deswegen findet sich der Leser in einer Kabine der ersten Klasse auf einem Kreuzfahrtschiff wieder, das im November 1948 einen islamischen Fundamentalisten mit dem Namen Sajid Qutb vom ägyptischen Alexandria nach New York befördert, übrigens auf Kosten der amerikanischen Steuerzahler. Nach seinem Studium kehrte Qutb in seine Heimat zurück, voller Hass auf die gastfreundlichen Amerikaner. Später sollten seine Werke eine ganze Generation islamistischer Fundmentalisten prägen, denen er als Märtyrer gilt.
Lawrence Wright definiert verschiedene islamische Bewegungen und erklärt die Entstehung einer neuen Generation von Sektierern, die den Endsieg des Islams gewaltsam herbeizwingen wollen. Der Autor beschreibt das Lebenswerk von Terroristen-Führer Zawahiri und erstellt eines der besten Psychogramme von Osama bin Laden. Meisterhaft zeichnet er nach, wie es zu der Legende von bin Ladens angeblicher "Tapferkeit" im Kampf gegen die Sowjetunion in Afghanistan kam. Dabei war der Terroristen-Chef nur bei einem Schusswechsel wohl eher zufällig zugegen.
Kabarettreif ist die Szene, in der Wright die gescheiterte militärische Zusammenarbeit zwischen den "Arabern" und den afghanischen Mudschaheddin aufleben lässt, die mit diesem Haufen von Suizidbegeisterten in ihrem alltäglichen Überlebenskampf gegen die Sowjettruppen nichts zu tun haben wollten. Detailliert und so nirgendwo nachzulesen sind auch die Schilderungen über die Gründung al-Qaidas, die Vorgehensweise und die internen Strukturen der Organisation.
Nachdrücklich stellt Lawrence Wright die Frage: Wieso konnten die Vereinigten Staaten die Terror-Gefahr nicht abwehren? Wer ist dafür verantwortlich? In diesem Zusammenhang rekonstruiert er das Leben des legendären FBI-Agenten John O'Neill, der für den Geschmack einiger Verantwortlicher in den USA zu "besessen" davon war, Osama bin Laden dingfest zu machen. Vor allem die CIA und die damalige Sicherheitsberaterin von Präsident George W. Bush, Condoleezza Rice, verhinderten die Ermittlungen gegen al-Qaida. Das Leben des FBI-Agenten, der am 22. August 2001 seinen Dienst quittierte, endete tragisch: Als Sicherheitschef des World Trade Center befand er sich am 11. September 2001 unter den Opfern des Anschlags.
Die USA versagten, weil sich die CIA weigerte, dem FBI die entscheidenden Informationen über die ihnen bekannten al-Qaida-Terroristen weiterzugeben. Trotz des Widerstandes der US-Botschafterin gelang es dem FBI im Zuge der Ermittlungen wegen des Anschlags vom 12. Oktober 2000 auf das Kriegsschiff "USS Cole" im Jemen, einige Terroristen festnehmen zu lassen. Einer von ihnen wusste genau Bescheid über die Attentäter, die die Anschläge vom 11. September 2001 gegen die USA vorbereiteten.
Der Tod wird Euch finden. Al-Qaida und der Weg zum 11. September.
Deutsche Verlags Anstalt, München 2007, 543 S., 24,95 ¤