Kuriose Karriere
Geschwätziges und Gescheites über Ernst Hanfstaengl
Er war ein netter Mensch, auch wenn viele Leute ihn für etwas verrückt hielten. Jedenfalls betrachtete er den ganzen Nazitumult als Theaterdonner." Die Rede ist von "Putzi" alias Ernst Hanfstaengl, Hitlers abtrünnigem Auslandspressechef und persönlichen Stimmungsmacher. Beschrieben von Louis Ferdinand von Preußen, der den 1,90 Meter-Mann mit den perfekten Manieren und dem markanten Kinn vor allem als geselligen Salonlöwen kennen und schätzen gelernt hat.
In der Tat war der gebürtige Bayer mit amerikanischen Wurzeln ein gänzlich untypischer Vertreter der braunen Elite. Sowohl was seine Herkunft, sein Auftreten, aber auch seine kritische Distanz zu Hitlers Führungsclique betraf. Gleichwohl war er zeitlebens ein leidenschaftlicher Juden- und Bolschewistenhasser, der sich von seinem "Herrn Hitler" nur schwer trennen konnte.
Aus seinen Memoiren wird in Hitler- und Goebbels-Biografien öfter zitiert, zeichnet er darin die charakterlichen Eigenheiten dieser Nazi-Größen doch besonders pointiert und plastisch heraus.
Hanfstaengl selbst hingegen ist bislang so gut wie nie ins Visier eines Biografen geraten. Aus gutem Grund: Sein Wirken als nationalsozialistischer Öffentlichkeitsarbeiter und sein Einfluss auf den eigensinnigen Diktator waren schlichtweg marginal. Dass der Großbürger Hanfstaengl den Kleinbürger Hitler in die bessere Münchener Gesellschaft einführte, ihm nach dem missglückten Novemberputsch 1923 Unterschlupf gewährte, den "Völkischen Beobachter" sponserte oder auf Befehl des Führers in die Tasten haute, machte ihn zwar zu einem Vertrauten des Diktators, aber lange nicht zu einer einflussreichen Nazi-Größe.
Allein sein exzentrischer Charakter und seine verschlungenen Lebenspfade machen ihn heute noch interessant. Kein Wunder also, dass ein englischer Journalist den Spuren dieses Außenseiters mit Harvard-Diplom und Doktorhut gefolgt ist. Peter Conradi, Herausgeber des Inlandsteils der "Sunday Times", hat sich die lustvolle Mühe gemacht, diese kuriose Karriere aus "Putzis" Memoiren, bislang unberührten Akten und seltenen Zeitzeugenaussagen zu rekonstruieren. Das Ergebnis kann sich lesen lassen. Denn Conradi schreibt in englisch-eleganter Sachbuchmanier: flüssig und lebendig, gespickt mit dramatischen Dialogen und amüsanten Anekdoten.
Auch wenn die wissenschaftliche Genauigkeit in dem eher romanhaften Lebensbild zu kurz kommt, kommt der Autor mit psychologischem Einfühlungsvermögen dem "Menschen" Hanfstaengel nahe. Er entdeckt hinter der faschistischen Fassade eine ebenso naive wie scharfsinnige Persönlichkeit, die mit ihren stramm konservativen Ratschlägen wirklich glaubte, Hitler zur Vernunft bringen und dessen ideologisch verbohrte Entourage ausschalten zu können. Hanfstaengls ungewöhnlich offen vorgetragene Kritik kostete ihn denn auch die Karriere und zwang ihn 1937 zur Flucht über die Schweiz nach England. Dass er selbst in britisch-amerikanischer Internierungshaft und als propagandistischer Berater des US-Präsidenten Roosevelt keine geistig-moralische Kehrtwendung vollzogen hat, sondern seinen konservativ-elitären Grundsätzen bis zum Tode treu blieb, bildet die zentrale Erkenntnis dieser Charakterstudie.
Im Grunde blieb der zeitlebens bei seinem bayerischen Kosenamen gerufene Hüne eben doch nur "Hitlers Klavierspieler" und kein ernst zu nehmender Propagandist und Antipode: ein exotisches Tier im nazistischen Bestiarium, das in Conradis Biografie nun eindrücklich besichtigt werden darf.
Hitlers Klavierspieler.
Scherz Verlag, Frankfurt/M. 2007; 448 S.,19,90 ¤