Frau Bruns, sind Sie eine Wichtigtuerin?
Von Berufs wegen.
Wer sind denn die Wichtigtuer der Republik, über die Sie - wie es der Titel Ihres Buches verspricht - schreiben?
Die Wichtigtuer, die ich meine, entstammen meinem Milieu. Es sind die Mitglieder der politisch-publizistischen Kaste, die Berlin-Mitte bevölkern, also Politiker und Journalisten. Dazu gesellt sich - anders als in Bonn - die neue Kaste der PR-Berater, die in der Hauptstadt eine sichtbarere Rolle spielen als früher. Aber der Begriff gilt im weiteren Sinne auch für die Medienwelt insgesamt, die sich sehr schillernd, wie ein radschlagender Pfau präsentiert.
Sie sind Redakteurin des "Tagesspiegel" und haben Ihr Buch aus der Sicht einer Zeitungsjournalistin geschrieben. Blicken Printjournalisten immer ein wenig neidisch auf ihre Kollegen von den elektronischen Medien, die Sie sehr kritisch unter die Lupe genommen haben?
Wenn wir ehrlich sind, dann sind wir neidisch. Und es gibt sachliche Gründe dafür, neidisch zu sein. Um noch einmal auf den Begriff "Wichtigtuer" zurückzukommen: Politiker und politische Journalisten gehören zu den Verlierern der Mediengesellschaft. Die Politiker leiden unter einem Verlust an Gestaltungskraft - etwa wegen der Globalisierung. Wir politischen Journalisten sind Absteiger in der Medienwelt gegenüber dem Boulevard, dem Fernsehen und den noch schnelleren Online-Medien. Und das Kompensieren wir durch den berühmten Hauptstadthype. Wir blicken deswegen mit Neid auf das Fernsehen, weil der Ort für das Politische heute sehr flüchtig geworden ist. Ich finde, zu Lasten der Demokratie.
Ihr Buch reiht sich in eine Reihe von aktuellen Publikationen zum Verhältnis von Politik und Medien ein. So schrieb Lutz Hachmeister über die "Nervöse Zone", Gerhard Hofmann über die "Verschwörung der Journaille zu Berlin" und kürzlich erschien der Titel "Die Alpha-Journalisten". Ist das Thema nur ein kurzfristiger Medienhype, eine weitere "Sau, die durchs Dorf getrieben wird"?
Ich glaube, es ist ein Thema, das überfällig war. Und ich hoffe, dass es eben keine "Sau ist, die durchs Dorf getrieben" wird. Mein Optimismus ist, dass das Unbehagen bei Journalisten und Politikern über die Entwicklungen in der Mediengesellschaft ein vernünftiger Ausgangspunkt ist, damit die immer schneller drehende Medienwelt einmal einen Moment der Reflexion findet. Noch sehe ich das zwar nicht. Aber ich hoffe, dass diese Bücher eine längerfristige Diskussion auslösen.
Hat die Medienschelte Gerhard Schröders am Abend der letzten Bundestagswahl auch einen Beitrag dazu geleistet?
Ja, aber der war eher kontraproduktiv. Wenn Journalisten beschimpft werden, dann rü-cken sie zusammen. Wir pflegen ein romantisches Selbstbild: Wir sehen uns immer noch als die Journalisten des 19. Jahrhunderts in einer Unterdrückungsgesellschaft, die gegen die Obrigkeit zusammenhalten. Das ist natürlich ein kindischer Mechanismus. Wir leben schließlich nicht mehr in einer Unterdrückungsgesellschaft, sondern in einer entwickelten Demokratie. Es ist heute für einen Journalisten einfacher, einen Minister oder Kanzler in Grund und Boden zu schreiben, als dem eigenen Chefredakteur Widerworte zu geben.
Schröders Medienschelte war durchaus bedenkenswert. Nicht wegen seines Vorwurfs einer schwarz-gelben Kampagne; Medien machen heute keine Kampagnen für irgendetwas. Aber seine ständige Mahnung auf den Wahlkampfveranstaltungen "Glaubt den Medien nicht" hat sich bewahrheitet. Der Souverän, der Wähler, steht immer noch über uns. Und er mag es nicht, wenn wir ihm erzählen, wie die Wahlentscheidung ausfallen wird. Das haben wir versucht - und das war nicht richtig.
In den "Alpha-Journalisten" schreiben Sie: "Die Alpha-Journalisten sind öffentliche Akteure, die keine vierte Gewalt über sich haben und keiner Wiederwahl ins Auge sehen müssen. Deshalb müssen sie Gegenstand öffentlicher Kritik werden." Wer soll diese Kritik üben?
Letztlich können das wieder nur die Medien selbst machen. Das ist das Vertrakte an der vierten Gewalt: Wir kontrollieren die Mächtigen, haben aber niemanden, der uns strukturell kontrolliert. Deswegen appelliere ich an unsere Selbstregulierung, an unsere Berufsethik, an unsere öffentliche Verantwortung. Unsere Verfassungsprivilegien binden uns an diese Verantwortung. Es ist ein moralischer Appell, keiner, der eine rechtliche Bindung hat. Damit ist es natürlich ein schwacher Appell.
Sie beschreiben die Irrwege der Medien: Skandalisierung, ständige Beschleunigung in der Berichterstattung und die Vermischung von Information und Unterhaltung sind einige Stichworte. Sie diskutieren auch die Frage von Jürgen Habermas, ob die Zeitungslandschaft das duale System des Fernsehens übernehmen müsste, um den Qualitätsjournalismus zu retten. Sie nennen das eine "erschreckende Vorstellung". Warum eigentlich? Die Öffentlich-Rechtlichen gelten doch als Garant für einen Qualitätsjournalismus ...
Ein erschreckender Gedanke ist es deswegen, weil es der Markt war, wie Habermas ganz richtig analysiert, auf dem eine sich entwickelnde bürgerliche Öffentlichkeit dem Obrigkeitsstaat Meinungs- und Pressefreiheit abgetrotzt hat. Erst die wirtschaftliche Unabhängigkeit hat das möglich gemacht. Insofern erschreckt die Vorstellung einer vom Staat abhängigen Presse. Und deswegen bin ich weit davon entfernt, Habermas Recht geben zu wollen. Aber ich muss ihm bescheinigen, dass seine Frage berechtigt ist, nämlich die, ob der Markt heute noch geeignet ist, diese Freiheiten zu gewährleisten. Die Entwicklungen, die ich in meinem Buch beklage, sind ja nicht das Ergebnis von unethisch und unmoralisch handelnden Menschen, sondern das Produkt von Entwicklungen, die wir nicht mehr in der Hand haben. Wir erleben eine Entkopplung der Verbindung von Medien und Politik. Ein klassischer Verleger hat früher sein Ego dadurch bedient, dass er in der Öffentlichkeit politisch präsent war. Heute erscheint es attraktiver, backstage bei Madonna dabei zu sein als im Hintergrundgespräch bei Angela Merkel. Und ob dieser neue Markt dafür sorgen kann, dass die res publica in der öffentlichen Wahrnehmung noch ihren angemessen Platz findet, muss man leider in Frage stellen.
Nun schafft der Markt aber auch neue Abhängigkeiten. Als in den vergangenen Jahren das Anzeigengeschäft einbrach, haben die Medien dies schmerzlich lernen müssen. Wie unabhängig kann eine Lokalzeitung noch sein, wenn das ortsansässige Unternehmen im Fall von unliebsamer Berichterstattung mit Anzeigenboykott droht?
Das sind traditionelle Abhängigkeiten und ein Grundproblem unserer Branche. Wenn es so ist, dass wir mit Hilfe des Marktes unsere Unabhängigkeit gegenüber Staat und Politik verteidigen, dann sind wir zu einem gewissen Grad vom Markt abhängig. Es gibt eine klassische Antwort darauf: Die klare Trennung zwischen Redaktion und verlegerischer Tätigkeit in Medienbetrieben. Aber es wird sicherlich immer wieder vorkommen, dass Zeitungen vor dem örtlichen Großunternehmer einknicken, wenn der mit Anzeigenboykott droht. Aber es wird auch weiterhin vorkommen, dass sie nicht zurückweichen und damit auf lange Sicht sogar das bessere Geschäft machen.
Ich glaube aber, dass das eigentliche Problem heute woanders liegt: Unsere Befürchtung ist ja, dass die Anzeigen, die in der großen Krise in den Jahren 2001/2002 weggebrochen sind, nicht wieder zurückkommen, weil ein großer Teil des klassischen Anzeigenmarktes ins Internet abwandert. Das ist auch ein Grund, warum viele Verleger derzeit so laut "Online" rufen..
Die "tageszeitung" (taz), zeigte sich unbeeindruckt von der Medienkrise, da sie eh noch nie viel Geld über das Anzeigengeschäft erwirtschaftete und die Besitzverhältnisse über ein Genossenschaftsmodell geregelt sind. Wäre dies auch für andere Zeitungen ein Konzept?
Ich war ja selbst früher bei der taz und habe drei ihrer Existenzkrisen in dieser Zeit erlebt. Ich bin der festen Überzeugung, dass die taz alles überleben wird - aus dem genannten Grund. Aber ich halte sie für einen Ausnahmefall, nicht für ein Modell für Zeitungen wie den "Tagespiegel" oder die "Süddeutsche Zeitung". Die müssen sich schon im Auf und Ab des Marktes behaupten. Abgesehen davon stellt es für einen Journalisten, jedenfalls mit Familie, schon eine Zumutung dar, für die niedrigen Gehälter bei der taz zu arbeiten.
Medien und Parteien durchlaufen eine ähnliche Entwicklung: Sie gleichen sich immer stärker aneinander an. Brauchen wir wieder eine stärke Polarisierung in den Medien?
Es wäre wünschenswert, dass es wieder mehr ernsthafte Kontroversen über die wichtigen Themen gäbe. Auch in den Medien macht sich ein fader Konformismus breit. Es gelingt nur noch wenigen Journalisten, einen ernsthaften Meinungsstreit zu entfachen. Wir schreiben dauern über Streit und Zank in der Politik, aber an den wirklich wichtigen Themen plappern wir vorbei. Wir reden jede kleine Frage groß, und jede große Frage zerlegen wir in kleine Münze.
Grund genug, auch einen Blick auf den journalistischen Nachwuchs zu werfen. Der fällt bei Ihnen pessimistisch aus: schlecht ausgebildet, schlecht bezahlt, auf die eigene Karriere schielend ...
Es gibt eine neue Klassengesellschaft im Journalismus. Einerseits die dauerpräsenten Berühmtheiten und anderseits ein Medienproletariat. Viele junge Journalisten arbeiten wie mediale Fließbandarbeiter, die keine Zeit mehr für gründliche Recherchen haben. Die Schuld daran liegt aber nicht bei diesen jungen Journalisten, sondern bei denen, die sie ausbilden, also bei meiner Generation. Das führt auf Dauer zu einem erheblichen Qualitätsverlust.
Das Interview führte Alexander Weinlein
Republik der Wichtigtuer. Ein Bericht aus Berlin.
Herder Verlag,
Freiburg/Brsg. 2007; 224 S., 19,90 ¤