EINWANDERUNG
Europaparlament unterstützt Schaffung einer EU-weiten Arbeitserlaubnis
Die Zahlen sprechen eine eigene Sprache: 2050 werden in der EU zwei Arbeitnehmer für einen Rentner sorgen müssen - heute sind es noch vier. Auf diese düsteren Vorhersagen hat EU-Innenkommissar Franco Frattini jetzt eine kurze Antwort: "Blue Card" heißt das neue Zauberwort, mit dem die EU im Wettbewerb um hochqualifizierte Arbeitskräfte punkten will. Dabei ist die Frage der Migration weitaus umfangreicher: Arbeitsmöglichkeiten für Wirtschaftsflüchtlinge, faire Handelsbeziehungen mit den Herkunftsländern und eine strikte Bekämpfung illegaler Einwanderung und Beschäftigung seien gleichberechtigte Aspekte der Migrationspolitik, so das Ergebis der Debatte zu diesem Thema am 26. September im Europaparlament. Ein Großteil der Parlamentarier sprach sich dabei auch für die in Deutschland bislang umstrittene Schaffung einer EU-weiten Arbeitserlaubnis aus.
So sollen für hochqualifizierte Bewerber aus Drittländern unter bestimmten Voraussetzungen vereinfachte Einreisebestimmungen gelten. Sie müssen ihre Fachkompetenz, einen Arbeitsvertrag und ein deutlich über dem Mindesteinkommen liegendes Gehalt nachweisen können. Eine solche "Blue Card", die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis in einem sein soll, sei im Interesse der Europäer, sagte Frattini. Denn bislang kämen von den Flüchtlingen ohne Fachausbildung 85 Prozent nach Europa und nur fünf Prozent in die USA. Bei den Hochqualifizierten sei es genau umgekehrt: 55 Prozent landeten in den USA, nur fünf Prozent in der Europäischen Union. Im Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte, so Frattini, hätten Australien, Kanada, die USA und die asiatischen "Tigerstaaten" die Nase vorn.
In der Öffentlichkeit sei das Konzept der "Blue Card" verzerrt dargestellt worden. Dass in den nächsten Jahren 20 Millionen Stellen in der EU nicht besetzt werden könnten, bedeute nicht, dass die Kommission Einwanderung im gleichen Umfang fordere. Auch respektiere Brüssel, dass nur die Mitgliedstaaten Einwanderungsquoten festlegen könnten. "Wir schränken die Souveränität der Mitgliedstaaten in der Arbeitsmarktpolitik nicht ein", erklärte Frattini als Reaktion auf kritische Töne aus Berlin.
Am 23. Oktober will die Kommission in Sachen Migration zwei Richtlinienvorschläge vorlegen. Neben der Rechtsstellung von Arbeitsmigranten soll die Zulassung von Hochqualifizierten neu geregelt werden. Allerdings sei es Aufgabe der Kommission, einheitliche Mindeststandards für die Gesundheitsversorgung, die sozialen Rechte und den Zugang zu Bildung für Einwanderer festzulegen. 2008 will die Kommission Vorschläge vorlegen, nach welchen Regeln Saisonarbeiter aus Drittländern in der EU beschäftigt werden könnten, wie Schulungen organisiert und finanziert werden können und wie Arbeiter ohne europäischen Pass leichter von einer Filiale eines europäischen Unternehmens an einen Standort in einem anderen Mitgliedsland wechseln können. Solche Modelle könnten nur funktionieren, wenn die Herkunftsländer einbezogen würden. In Mali, so Frattini, habe die EU-Kommission als Pilotprojekt ein Rekrutierungs- und Ausbildungszentrum für Saisonarbeiter gegründet. Das Gipfeltreffen mit den Mittelmeer-Anrainern und der EU-Afrika-Gipfel ermöglichten es, die Zusammenarbeit auf andere Länder auszudehnen. Gleichzeitig müsse illegale Einwanderung konsequent unterbunden werden. "Es kann nicht sein, dass ein Mitgliedstaat illegale Migration duldet und legale Wege versperrt."
Auch die für den Parlamentsbericht über legale Einwanderung verantwortliche italienische Abgeordnete Lilli Gruber von der sozialistischen Fraktion betonte, dass die Bekämpfung illegaler Einwanderung im Zusammenhang mit legaler Migration gesehen werden müsse. 2050 sei jeder dritte Europäer älter als sechzig. "Ohne den Beitrag von Migranten wird unser Sozialstaat zusammenbrechen." Deshalb müsse künftig das Europaparlament in diesem Bereich mitentscheiden, der Rat solle, wie bei der Gesetzgebung zur illegalen Einwanderung, nicht länger einstimmig sondern mit qualifizierter Mehrheit entscheiden. Dieser Forderung schloss sich auch der französische Abgeordnete Jean-Marie Cavada von der liberalen Fraktion an.
Der innenpolitische Sprecher der deutschen Konservativen, der CSU-Abgeordnete Manfred Weber, zeigte sich erleichtert über Frattinis Zusage, Einwanderungsquoten den Mitgliedstaaten zu überlassen. "Wir werden nur Verständnis für legale Zuwanderung bekommen, wenn wir klar sagen: Illegale müssen Europa wieder verlassen!" Mit der sogenannten zirkulären Migration, also Arbeitsverträgen auf Zeit, habe Deutschland schlechte Erfahrungen gemacht. "Das hat in Deutschland bei den Türken nicht funktioniert und in unserem Nachbarland Tschechien bei den Vietnamesen auch nicht", erinnerte Weber.