KRAFTWERKE
Immer mehr Energieversorger scheuen das Risiko und kippen ihre Neubaupläne in Deutschland
Nach den großen Worten bleiben die Taten aus. 30 Milliarden Euro wollte die deutsche Energiewirtschaft in den Neubau und die Modernisierung ihrer Kraftwerke stecken. Eine solche In- vestitionsoffensive hatten die Stromkonzerne der Bundesregierung zugesagt. Die versprochene Modernisierung des Kraftwerkparks indes ist ins Stocken geraten. Mehrere Großprojekte wurden sang und klanglos abgesagt. Die Unternehmen verweisen auf das schlechte Investitionsklima. Der Emissionshandel schafft unsichere Bedingungen. Die Kosten steigen und jetzt plant Bundesumweltminister Siegmar Gabriel (SPD) neue Grenzwerte für den Ausstoß von Stickoxiden und Staub. Ohne neue Kraftwerke aber bleibt das Stromangebot knapp und es drohen weiter steigende Preise.
"Der Neubau von Kohlekraftwerken wird zu einem ökonomisch kaum kalkulierbaren Investitionsrisiko", schimpft Ulrich Jobs, Chef der Kraftwerkssparte des RWE-Konzerns. Das Essener Unternehmen will allein in Deutschland über 7 Milliarden Euro in neue Kraftwerke investieren, doch hierfür fehlt nach den Worten Jobs "jegliche Planungssicherheit". Speziell die Bedingungen des Emissionshandels und die Zuteilung der CO2-Zertifikate sieht er als Investitionsbremse. Die bisherige großzügige Ausstattung von Neuanlagen mit Zertifikaten wurde gekippt. In der im kommenden Jahr beginnenden zweiten Handelsperiode erhalten neue Kraftwerke bis 2012 maximal Zertifikate auf der Basis der bestmöglichen Technik. "Was nach 2012 kommt, steht in den Sternen", sagt ein Kraftwerksbetreiber. Hinzu kommen Pläne des Umweltministeriums, die Bundes-Immissionsschutz-Verordnung zu verschärfen.
Kurzfristig hat Minister Gabriel für Mitte Oktober zu einer Anhörung geladen. Alle Kraftwerke, die bis 2013 an Netz gehen, müssen nach den Vorstellungen des Ministers strengere Emissionsgrenzwerte erfüllen. Kohlekraftwerke und Müllverbrennungsanlagen sollen ihren Ausstoß an Stickoxiden von derzeit 200 auf 100 Milligramm je Kubikmeter Luft senken. Für Gaskraftwerke ist ein Wert von 20 Milligramm in der Diskussion. Die neue Vorschrift trifft vornehmlich Braunkohlekraftwerke, die bisher ihren Stickoxidausstoß durch spezielle Feuerungsmaßnahmen niedrig hielten, künftig aber zum Einbau aufwändiger Katalysatoren gezwungen sind. Neue Grenzwerte für den Ausstoß von Stäuben sind nach Branchenangaben so streng gefasst, dass sie mit herkömmlicher elektrostatischer Filterung kaum mehr erreicht werden können. Sollte der Verordnungsentwurf verwirklicht werden, dürften noch weitere Kraftwerksplanungen kippen, heißt es in der Branche.
Er rechne ab 2012 nicht mehr mit dem Bau von neuen Steinkohlekraftwerken in Deutschland, sagt Alfred Tacke, beim neuen Evonik-Konzern in Essen als Vorstand zuständig für Strom und Kraftwerke und frühere Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Evonik war frühzeitig mit Neubauten am Markt. Am westlichen Rand des Ruhrgebietes, in Walsum, und mittendrin, in Herne, errichtet die frühere Steag zwei Steinkohle-Kraftwerksblöcke mit jeweils 750 Megawatt Leistung. In Walsum ist der EnBW-Konzern über eine österreichische Tochter als Partner mit dabei. In Herne beteiligen sich rund 40 Stadtwerke und werden die Hälfte der künftigen Stromproduktion abnehmen.
Eigentlich müssen in Deutschland rund 40.000 Megawatt Kraftwerkskapazität erneuert werden, rund ein Drittel des gesamten deutschen Kraftwerksparks. Doch daraus wird wohl nichts. Rolf-Martin Schmitz, Vorstandschef der Kölner Rhein-Energie, hat den Bau einer Anlage im Niehler Hafen der Domstadt kurzerhand abgesagt. Innerhalb eines Jahres seien die Investitionskosten um 20 bis 25 Prozent gestiegen. Auch den Stadtwerken Bielefeld wurde der Bau eines neuen Heizkraftwerks zu teuer. Statt 160 Millionen standen plötzlich 210 Millionen Euro als Investitionssumme im Raum. In Bremen entsteht anstelle eines großen Steinkohlekraftwerks für 800 Millionen Euro eine optimierte Müllverbrennungsanlage mit einer Leistung von lediglich 27,5 Megawatt, die hochtrabend Mittelkalorik-Kraftwerk genannt wird, weil hier Papier- und Kunststoffreste verbrannt werden. In Düsseldorf ziert sich der Vorstand der Stadtwerke noch. Doch um neue Kraftwerksplanungen im Rhein-Hafen der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt wird es immer stiller.
Dabei wollten gerade kommunale Energieversorger und Stadtwerke mehr eigenen Strom erzeugen und sich damit von den vier Großen der Branche, RWE, Eon, EnBW und Vattenfall, unabhängiger machen. Mit dem Bau von Gas- und Kohlekraftwerken sollte den großen Stromkonzernen die Stirn geboten werden. "Wir müssen die Macht der Konzerne an der Strombörse brechen", klang es noch vor kurzem von einem der Stadtwerke-Chefs. "Wir sind zu spät gekommen. Die Kapazitäten sind vor allem durch die Großen schon ausgelastet", sagt Rolf-Martin Schmitz von der Kölner Rhein-Energie heute.
In der Tat scheint der Bau von Großkraftwerken fest in Händen des Oligopols zu bleiben, auf das heute schon rund 80 Prozent der gesamten deutschen Stromerzeugung entfällt. Die vier Energieriesen modernisieren im Inland ihren Kraftwerkspark, investieren verstärkt aber auch im Ausland. So hat der größte deutsche Energiekonzern Eon den Einstieg in den russischen Strommarkt durch die Übernahme des Versorgers OGK-4 angekündigt. Das Unternehmen steht vor einem umfangreichen Programm zur Erneuerung seiner Kraftwerke.
RWE als zweitgrößtes Energieunternehmen investiert 5 Milliarden Euro in neue Kraftwerke in Großbritannien und den Niederlanden. Auch die frühere Steag, die in Deutschland acht Steinkohlekraftwerke betreibt und in Kolumbien, auf den Philippinen und in der Türkei engagiert ist, will ab dem Jahr 2012 speziell ihr Auslandsengagement noch forcieren. Dann soll das 2003 ans Netz genommene Großkraftwerk im türkischen Iskenderun erweitert werden.
In Deutschland haben die großen Konzerne bei den Kessel- und Turbinenbauern frühzeitig und oft mehrere Bauteile "im Konvoi" bestellt und sich damit gegenüber den kleineren Konkurrenten eine vorteilhafte Ausgangslage gesichert. RWE Power-Chef Jobs sieht indessen vielfältige Investitionsrisiken. "Nicht nur steigende Preise bei der Anlagentechnik erhöhen das Risiko, sondern auch die Preisrisiken bei den Brennstoffen", sagt er. Damit seien kleinere Unternehmen oft überfordert. Große Stromerzeuger haben nach Ansicht von Jobs nämlich die Möglichkeit, je nach Preisentwicklung verschiedene Brennstoffe einzusetzen. "Ein kleineres Unternehmen muss sich für einen Energieträger entscheiden. Hat es auf das falsche Pferd gesetzt, sind Verluste kaum zu vermeiden", sagt der RWE-Manager.
Doch selbst, wer all diese Schwierigkeiten ignoriert oder bewältigt hat, steht vor enormen Problemen. "Der massive Investitionsstau bei den Stromerzeugern in den vergangenen zehn Jahren hat zu Anpassungen bei den Anlagenbauern und zu einem Mangel an Nachwuchskräften geführt", stellt Gert Riemenschneider von Fisia Babcock Environmental in Gummersbach fest. Das auf den Bau von kompletten Müllverbrennungs- und Rauchgasreinigungsanlagen für Kraftwerke spezialisierte Unternehmen empfiehlt den Energieversorgern, nicht vorschnell Investitionen zu kippen, sondern "sich auf längere Abwicklungszeiten bei Neubauprojekten einzulassen" und so die Beschaffung von Bauteilen zu optimieren.
Der weltweite Kraftwerks- und Anlagenboom sorgt für steigende Preise bei Rohstoffen und Halbfabrikaten. "Die Preise für Rohre, Bleche und Stahl sind in den vergangenen vier Jahren um 40 bis 100 Prozent gestiegen", konstatiert Riemenschneider. "Wir begegnen der Entwicklung durch feste Vereinbarungen mit unseren Lieferanten, Absicherung der Kosten- und Terminrisiken und neue Mitarbeiter". Viele der überwiegend mittelständischen Unternehmen klagen zudem über akuten Fachkräfte-Mangel, vor allem im Ingenieurbereich. Im Kraftwerksbau werden Aufträge abgelehnt, weil Forschungs- und Entwicklungskapazitäten fehlen, so der Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI).
Wegen der jahrzehntelangen Dürre im Kraftwerksbau haben die Hersteller in Deutschland bis vor kurzem ihre Kapazitäten reduziert und Stellen gestrichen. Viele Anlagenhersteller haben die Fertigung in Deutschland komplett eingestellt und beschränken sich auf das Engineering. Als Generalunternehmer fungieren derzeit praktisch nur Siemens, Alstom und Babcock Hitachi. Diese Entwicklung blieb nicht auf Deutschland beschränkt. Auch in anderen europäischen Industrieländern schrumpften die Kapazitäten. Und auch in anderen Ländern verschwinden deswegen Pläne zum Neubau von Kraftwerken in den Schubladen. RWE-Kraftwerkschef Jobs schätzt, dass von den bis zum Jahr 2012 geplanten neuen Kraftwerken mit einer Gesamtkapazität von über 130.000 Megawatt nur 60 Prozent realisiert werden.
www. VGB.org und www. BMU.de