Uganda
Im Norden gibt es endlich eine Aussicht auf Stabilität und Wohlstand. Der Unruheherd Südsudan könnte sie zerstören.
Acikule Noeh hat die meiste Zeit seines Lebens eine Waffe getragen. In den 70er-Jahren war er Soldat in der Armee von Idi Amin. Als der ugandische Diktator 1979 gestürzt wurde, zog er sich mit 15.000 Gleichgesinnten in den Busch zurück und kämpfte als Rebell gegen die neuen Machthaber. Bis den Aufständischen nach 20 Jahren die Kraft ausging und ihre Frauen und Mütter sie aufforderten, nach Hause zu kommen und mit der Regierung zu verhandeln. 2002 schlossen beide Seiten Frieden, und heute ist Noeh Vorsitzender einer Spar- und Kreditgenossenschaft, die den ehemaligen Kämpfern bei der Rückkehr ins zivile Leben hilft.
Eine zerschossene Hausruine am Ortseingang von Yumbe im äußersten Nordwesten Ugandas zeugt noch vom Krieg. Die von kleinen Läden gesäumte rotbraune Staubpiste quer durch die 15.000-Einwohner-Gemeinde erinnert an ein trostloses Wildwest-Städtchen. Es gibt keinen Strom, kein fließend Wasser, und die letzte Asphaltstraße endet 60 Kilometer südlich. 30 Kilometer nördlich von Yumbe beginnt der Sudan und im Westen liegt Kongo. Im Osten fließt träge der Nil auf seinem langen Weg ins Mittelmeer. Er drängt die nach ihm benannte West-Nile-Region buchstäblich an den Rand - und so wurde sie von den Regierungen in der Hauptstadt Kampala auch von jeher behandelt.
Yumbe zählt zu den ärmsten Distrikten in Uganda. Die Menschen leben von dem, was der Boden hergibt, und das ist nicht allzu viel. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen beträgt keine 100 Euro. Der Zigarettenhersteller BAT lässt in der Gegend Tabak anbauen, aber viel springt dabei nicht heraus für die Bauern. Nach dem Ende der Rebellion hofften die Menschen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung - bislang vergeblich. Hinzu kommt das ungeklärte Schicksal von gut 60.000 sudanesischen Flüchtlingen, die in Siedlungen entlang des Nils leben und nicht so recht wissen, ob sie dem zerbrechlichen Frieden in Südsudan trauen und in ihre Heimat zurückkehren sollen.
In der Region fokussieren sich wie in einem Brennglas die Folgen der Bürgerkriege in Sudan und Uganda der vergangenen 30 Jahre. Idi Amin und seine Schergen waren hier zu Hause. Als der Diktator gestürzt war, rächten die neuen Machthaber seine Bluttaten an der Bevölkerung seiner Heimatprovinz. Viele flohen vor der Gewalt in den Sudan. Frühere Amin-Soldaten wie Acikule Noeh schlossen sich zur Uganda National Rescue Front (UNRF) zusammen und kämpften gegen die neue Regierung. Erst als der heute noch amtierende Präsident Yoweri Museveni 1986 Kampala erorberte, trauten sich die Menschen zurück. Zur gleichen Zeit aber eskalierte im Südsudan der Bürgerkrieg. Jetzt zogen umgekehrt zehntausende Sudanesen nach Uganda.
Auch die West-Nile-Rebellen kämpften nach Musevenis Machtergreifung zunächst weiter. "Die neue Regierung verhaftete unseren Anführer", erzählt Noeh. "Wir fühlten uns hintergangen und gründeten eine neue Organisation." Die UNRF II verstand sich nicht mehr nur als Bewegung geschasster Amin-Soldaten. Jetzt wollten die Rebellen auch die Aufmerksamkeit Kampalas auf ihre vernachlässigte Heimat lenken. Erst nach weiteren 16 Jahren Krieg einigten sich die Konfliktparteien. "Unsere Kräfte waren irgendwann am Ende", sagt Agotri Zubeira, der sich Mitte der 90er-Jahre der UNRF II anschloss. So wie Acikule Noeh gehörte er zur zehnköpfigen Delegation, die 2002 den Friedensvertrag mit der Regierung aushandelte.
Samir Bange Zubeir steht in einer Wolke aus feinem weißen Staub und stopft kleine Brocken Kassava-Wurzeln in einen Metalltrichter. Der Dieselmotor der Mühle rattert ohrenbetäubend laut. Am anderen Ende der Maschine hält ein Mann einen Sack unter einen Schlauch, aus dem das fertige Kassavamehl geblasen wird. Die Mühle gehört der Drajini-Bauernkooperative, die ein paar Kilometer außerhalb von Yumbe auf zehn Hektar Land Erdnüsse, Reis, etwas Gemüse und vor allem Kassava anbaut. Das Mehl verkaufen die Bauern auf dem Markt. Die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, die in West Nile ein Projekt zur Erährungssicherung und Konfliktprävention durchführt, unterstützt die Kooperative.
Zubair schaltet die Mühle aus und nimmt den Atemschutz vom Gesicht. 1997 habe er sich der UNRF II angeschlossen, sagt der schüchterne Mann leise. Da war er 20 Jahre alt. Mit dem Startgeld, das die Regierung den Ex-Rebellen nach dem Krieg für den Wiedereinstieg ins zivile Leben zahlte, kaufte er sich zwei Kühe. Heute hat er sechs. Zubair ist einer von vier ehemaligen Kämpfern, die in der Drajini-Kooperative mitarbeiten. "Mit meiner Vergangenheit als Rebell will ich nichts mehr zu tun haben", sagt er und blickt zu Boden. Am Anfang hätten einige Mitglieder Bedenken gehabt, frühere Rebellen aufzunehmen, sagt Maturi Guma, der Chef der Kooperative. Aber die Dorfältesten appellierten an die Gemeinschaften, auf die Männer zuzugehen.
Die West-Nile-Rebellion hatte bis zum Ende Rückhalt in der Bevölkerung. Dennoch gibt es bis heute auch Verbitterung. Denn je aussichtsloser der Kampf wurde, desto stärker litten die Bewohner der Region. Die Übergriffe der Rebellen häuften sich. Wer sie nicht unterstützte, wurde als Kollaborateur der Regierung bestraft. Und wer ihnen half, und sei es nur aus Furcht, der geriet ins Visier der Armee.
"Die Rebellen kamen aus ihren Rückzugsgebieten im Sudan genau durch unser Dorf", sagt Ahmed Fala und weist nach Norden in Richtung einiger grüner Hügel, hinter denen die sudanesische Grenze liegt. Falas Heimat, die Gemeinde Midigo, besteht aus einem kleinen Ortskern und einigen im Busch veteilten Siedlungen von jeweils vier oder fünf Lehmhütten. "Ich habe aus Angst vor den Rebellen zwei Jahre lang nicht im Haus geschlafen, sondern jede Nacht irgendwo anders im Busch", sagt der kräftige Mann mit einer Stimme, die viel unterdrückte Wut enthält. "Männer wurden getötet, verstümmelt und entführt. Unser Vieh wurde gestohlen. Unsere Kinder konnten nicht zur Schule gehen. Die Regierung will, dass wir den Rebellen vergeben. Aber das kann ich nicht. Ich akzeptiere sie heute, aber ich verzeihe ihnen nicht."
Auch mancher Ex-Kämpfer tut sich schwer, ins zivile Leben zurückzufinden. Viele haben nie etwas anderes gelernt als zu schießen. Von den 84 Ex-Rebellen, die sich nach dem Krieg der Bauernkooperative anschlossen, sind nur vier geblieben. Insgesamt hat die Regierung in Kampala 4,2 Milliarden ugandische Schilling (1,7 Millionen Euro) Starthilfe an die knapp 3.000 UNRF-II-Kämpfer gezahlt. Agotri Zubeira schätzt, dass lediglich 20 bis 30 Prozent dieser Summe "sinnvoll investiert" wurden. Das meiste sei einfach ausgegeben worden. "Durch die Jahre im Exil hat sich bei den Rebellen ein Abhängigkeitssyndrom entwickelt. Die Leute müssen erst wieder aktiv werden", sagt der Geschäftsführer der Bidibidi-Spar- und Kreditgenossenschaft. Dabei habe West Nile durchaus wirtschaftliches Potenzial. "Durch Yumbe fahren täglich Lastwagen, vollbeladen mit Gütern für Südsudan. Sogar Kassava ist dabei. Warum liefern wir nichts?"
Tatsächlich hat der Anfang 2005 geschlossene Friedensvertrag für Südsudan einen neuen Markt geschaffen, auf dem sich viel Geld verdienen lässt. In der südsudanesischen Hauptstadt Juba wird alles gebraucht und es gibt fast nichts - ein Eldorado für Händler aus den Nachbarländern Uganda, Kenia und Äthiopien. Meterhoch beladen quälen sich altersschwache LKW über die hügeligen Lehmpisten in West Nile. Die Vereinten Nationen appellierten im September an die Verantwortlichen, die Landwirtschaft zu fördern. Sie würden gern bei den Bauern der Region einkaufen, um Südsudan mit Lebensmitteln zu versorgen. Nach Jahrzehnten Krieg und Konflikt hat die Provinz im Nordwesten Ugandas erstmals Aussicht auf länger anhaltende Stabilität und auf ein wenig mehr Wohlstand.
Eine Voraussetzung dafür ist, dass der Frieden im Südsudan hält. Das wird seit einiger Zeit allerdings immer fraglicher. Die Verwirklichung des Friedensabkommens zwischen Khartum und den ehemaligen Befreiungskämpfern, die jetzt im teilautonomen Süden regieren, gerät zunehmend ins Stocken. Streitpunkte sind vor allem die Ölfelder im Grenzgebiet zwischen Nord- und Südsudan. Juba wirft Khartum vor, es ziehe seine Soldaten nicht wie verabredet aus dem Süden zurück, weil es seinen Zugriff auf das Öl nicht aufgeben wolle. Im Oktober spitzte sich der Streit zu, als die Vertreter Südsudans aus Protest die Regierung der Nationalen Einheit in Khartum verließen.
Viele der südsudanesischen Flüchtlinge, die seit Jahren in West Nile leben, sind deshalb skeptisch - nicht nur angesichts der angespannten Sicherheitslage. "Viele von uns haben Heimweh und wollen eigentlich zurück. Aber wovon sollen wir leben? Es gibt keine Arbeit in Südsudan. Und die Versorgung ist schlecht", sagt Alfred Makur, der seit 1999 in einer Flüchtlingssiedlung am Nil lebt. "Sogar Mitglieder der südsudanesischen Regierung in Juba lassen ihre Familien in Uganda, damit ihre Kinder hier zur Schule gehen können."
Für einen Aufschwung in West Nile ist aber nicht nur die Lage im Nachbarland Sudan von Bedeutung. Die ugandische Regierung müsste die Infrastruktur ausbauen und in die wirtschaftliche Entwicklung investieren - so wie sie es im Abkommen mit den UNRF-Rebellen zugesagt hat. Das ist bisher allerdings kaum geschehen, und die Frus-tration darüber wächst. In den vergangenen Monaten gab es Gerüchte über neue Rebellenaktivitäten in Yumbe. Es gibt nach wie vor viele Waffen in der Region. Ein Aufkaufprogramm wurde eingestellt, nachdem Händler Gewehre aus dem Sudan und Kongo schmuggelten und gewinnbringend an die Regierung verkauften. Aber dass es wieder zu Kämpfen kommt, hält kaum jemand für möglich. Die Menschen haben genug vom Krieg. "Es gibt ein paar Unzufriedene, die Ärger machen wollen. Aber wir lassen das nicht zu", sagt Rebellenveteran Acikule Noeh.
Bislang hat die Regierung solches Wohlverhalten wenig honoriert. Yumbe wird wohl noch länger auf eine asphaltierte Straße, Strom und fließend Wasser warten müssen. Und an ein trostloses Wildwest-Städtchen am Rande der Welt erinnern.