RomaNtik
Abseits von Vernunft und Realitätssinn
Am Ende, nach 400 Seiten, fasst Rüdiger Safranski noch einmal zusammen: Romantik und Politik gehören nicht zusammen. "Das Romantische sucht die Intensität bis zu Leiden und Tragik. Das Romantische liebt das Extreme. Mit alledem ist es nicht sonderlich für die Politik geeignet."
Ein Blick in die aktuelle Tagespolitik scheint ihm Recht zu geben. Der "Romantik"-Begriff wird ausschließlich benutzt, um dem politischen Gegner Unfähigkeit zu attestieren, oder um sich selber von diesem Verdacht freizusprechen. Da deklassierte die CDU die rot-grüne Integrationspolitik als "naive Vorstellung von multi-kultureller Romantik", während der ehemalige Arbeits- und Sozialminister Franz Müntefering beteuerte, sein Kampf für den Mindestlohn sei nicht "irgendeine Romantik". Romantik bedeutet in dieser Lesart Realitätsferne, die sich niemand anheften will.
"Andererseits", so schreibt Safranski, "darf uns Romantik nicht verlorengehen, denn politische Vernunft und Realitätssinn ist zu wenig zum Leben." Diese Forderung ist ehrenwert. Aber das von ihm beschworene Nebeneinander von Kultur, die romantisch sein und träumen darf, und Politik, die es nicht darf, zementiert das "Wir-haben-keine-Alternative"-Denken einer Gesellschaft eher, als dass es etwas daran ändert.
An diesem Konflikt arbeiteten sich auch die Romantiker in Deutschland um 1800 ab, die Safranski im ersten Teil seinen Buches zu Wort kommen lässt: Fichte, Schlegel, Eichendorff und schließlich Novalis mit seiner Definition: "Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, (...) gebe, so romantisiere ich es." Das Bedürfnis war, nachdem Aufklärung und Französische Revolution die Welt in den Augen der Romantiker "entzaubert" hatten, offenbar vorhanden. Allerdings konnte oder sollte sie die Suche nach neuer Innerlichkeit nicht vor den Niederungen des Politischen bewahren. Sie stellten sich im Zuge der Befreiungskriege in den Dienst des Patriotismus, indem sie romantische Naturbilder mobilisierten - das Waldesrauschen, die Bäume, die wie "Recken" stehen. Oder sie liefen wie Heine gar zum Feind über und nutzten den "lyrischen Zauber" für eine Kritik an Nationalismus und deutschem Untertanengeist.
Weil "das Romantische" nach 1820 nicht untergegangen war, fahndet Safranski im zweiten Teil nach diesen Spuren und landet am Ende bei den 68ern. Seitdem ist das Romantische offenbar verschwunden.
Romantik.
Eine deutsche Affäre.
Carl Hanser Verlag,
München 2007; 415 S., 24,90 ¤