WALDBEWIRTSCHAFTUNG
Das Prinzip Nachhaltigkeit existiert schon seit
Jahrhunderten. In der Praxis ist es aber bis heute nur schwer umzusetzen. Die Frage, wie viel Wild der Wald verträgt, entzweit Jäger und Baumschützer immer wieder.
Eigentlich ist es ganz einfach und lässt sich in einem Satz beschreiben: das Prinzip der Nachhaltigkeit. So wie es bereits 1661 ein Verwalter der bayerischen Salzstadt Reichenhall tat: "Also solle der Mensch es halten: Ehe der alte (Wald) ausgehet, der junge bereits wieder zum verhackhen hergewaxen ist." Er sprach damals noch nicht von "Nachhaltigkeit", sondern vom "Ewigen Wald". Damit wollte er langfristig dem drohenden Brennholzmangel vorbeugen, denn der hätte das Sieden der Sole zur Gewinnung von Salz - dem "weißen Gold" - in- frage gestellt.
Heute, fast 350 Jahre später, ist eine nachhaltige Bewirtschaftung unsere Wälder wichtiger denn je. Den Klimawandel vor Augen, brauchen wir den Wald nicht nur als Holzlieferanten, sondern vor allem als Trinkwasserbereiter und Hochwasserbremser sowie zum Schutz vor Muren, Lawinen und Steinschlag. Diese gewaltigen Aufgaben können nur naturnahe Mischwälder bewerkstelligen, die in der Lage sind, sich selbst zu erneuern.
Doch etwa die Hälfte unserer Wälder sind Forste, in denen Fichten und Kiefern vorherrschen. Sie sind diesen Aufgaben nicht gewachsen. Viele brechen beim nächsten Sturm zusammen, werden vom Borkenkäfer zerfressen oder gehen in Flammen auf. Außerdem: "Ein Großteil unserer Wälder leidet unter stark erhöhten Wildbeständen", sagt Heiner Grub, promovierter Förster und langjähriger Jagdreferent der Forstdirektion Tübingen. Im Klartext: Es gibt zu viele Rehe und Hirsche, die die nachwachsenden Bäumchen schlichtweg auffressen. Dieses "Waldsterben von unten" schwächt die natürliche Regenerationskraft des Waldes - und ist auch in finanzieller Hinsicht verheerend: "Die tatsächlich eingetretenen Schäden können mit mindestens 150 Millionen Euro im Jahr veranschlagt werden", heißt es in einer Broschüre des unabhängigen "aid infodienst Verbraucherschutz, Ernährung, Landwirtschaft e. V." zum Thema Wildschäden am Wald. Laut Grub gibt es zwei verschiedene Arten von Förstern: Waldförster und Jagdförster. Die einen stellen den Wald vors Wild, die anderen halten es umgekehrt. "Die Zahl der Waldförster hat in den letzten 20 Jahren im Zuge der Umweltbewegung zugenommen", sagt Grub, der deren Einfluss aber noch immer für zu gering hält. Dabei hat die Frage, wie der Wald am besten zu bewirtschaften sei, eine sehr lange Vorgeschichte.
Seit Menschen nach der letzten Eiszeit vor 10.000 Jahren in Europa siedelten, wurde der Wald immer vielfältig genutzt - oft auch übernutzt. Bis Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Wald in vielen Landesteilen immer lichter, weil zu viel Holz geschlagen wurde. Wo allzu viele Ziegen und Pferde in ihm weideten und man ihm Laub wegnahm, um Brennmaterial zu gewinnen, wurde seine natürliche Regenerationskraft gestört. Doch insgesamt wurde sein Gleichgewicht noch nicht tiefgreifend verändert und der Wald behielt weitgehend seine natürliche Baumartenzusammensetzung und konnte sich dementsprechend selbst erneuern - sogar in den bayerischen Salinenwäldern, wo man über Jahrhunderte große Mengen Holz schlug. Im 19. Jahrhundert ersetzte die Kohle das Holz als Energiequelle. Dadurch verloren die Wälder ihre überragende Bedeutung für die Industrie und damit das unmittelbare Überleben der Bevölkerung.
Eine ganz andere Art der Waldnutzung wurde damals immer populärer: die "waidgerechte Hegejagd", die in Kaiser Wilhelm II. ihren prominentesten Anhänger fand. Bei dieser Sonderform der Jagd ging es nicht allein um das Fleisch des Wildes als Nahrungsmittel, sondern darum, möglichst viele und große Trophäen in Form von Geweihen zu erzielen. Noch heute gelten solche Jagdtrophäen in weiten Kreisen als angesehene Statussymbole; ihre Präsentation in Trophäenschauen - einst vom Kaiser eingeführt - wird bis heute beibehalten.
Mit dem Beginn der Hegejagd begann ein bis heute währender Interessenkonflikt: Der Wald sollte zugleich Holz und Trophäen bringen. Vielerorts ließ man die Wildbestände anwachsen, fütterte sie durch den Winter und bekämpfte ihre natürlichen Feinde Wolf, Luchs und Fuchs.
Die wachsende Zahl von Rehen und Hirschen machte sich über das für sie leichter verdauliche Laubwerk her und ließ in vielen Wäldern nur noch die mit spitzen Nadeln bewachsenen Fichten und Kiefern wachsen. Ein Grund für das Entstehen von Monokulturen aus Kiefern und Fichten - ganz im Stil einer intensiven Landwirtschaft. Das brachte sowohl die erwünschten Erträge an Holz als auch an Jagdtrophäen. Doch schon nach wenigen Jahrzehnten zeigten sich die verheerenden Folgen dieser am kurzfristigem Gewinn orientierten Waldbewirtschaftung: Die künstlich hingestellten Holzplantagen aus Bäumen gleicher Art und gleichen Alters wurden von Stürmen und Insektenplagen stark in Mitleidenschaft gezogen.
Der Münchner Waldbauprofessor Karl Gayer schrieb 1880 über diese Forste: "Sehen aus wie Wald, sind's aber nicht" und beklagt: "Ihr innerer Zustand hat sich vielfach nachtheilig verändert."Deshalb forderte er aus wirtschaftlichen Gründen die Rückkehr zu naturnahen Mischwäldern. Im Hochgebirge, wo verstärkte Bodenerosion, Muren und Lawinen besonders große Schäden anrichteten, galt daher schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Erhaltung oder der Wiederaufbau naturnaher Wälder als oberstes Ziel der Staatsförster.
Doch diese Meinung konnte sich nicht überall durchsetzen. Viele Förster sprachen lieber weiter von "Naturkatastrophen" als die Ursachen beim Namen zu nennen. Ein Großteil hielt an der "waidgerechten Hegejagd" fest, und immer mehr Laubmischwälder wurden weiter in Nadelforste umgewandelt. Die Allianz dieser Jäger und Förster fand im Dritten Reich in der Person Hermann Görings einen hochrangigen Protegé. Als Reichsjägermeister und Reichsforstmeister in Personalunion erließ er 1934 das Reichsjagdgesetz, das von einer strengen Jagdbürokratie überwacht wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten erneut Reparationszahlungen in Holz abgeführt werden, die oftmals zu einer schnellen Wiederaufforstung führten.
Die heutige Wald- oder Forstwirtschaft muss zwei Aufgaben miteinander vereinen: Neben der Rohstofferzeugung gilt es den Wald als Natur- und Erholungsraum zu erhalten. In Deutschland werden schätzungsweise neun Millionen Hektar Wald von rund 28.000 Forstbetrieben bewirtschaftet, nochmals 1,5 Millionen Hektar durch die Landwirtschaft. Auch in der Forstwirtschaft hat die Diskussion um das "Waldsterben" in den 1980er-Jahren zu verstärkten Anstrengungen zum Wiederaufbau naturnaher Wälder geführt. Viele Kritiker bemängeln, dass weiter ein Ungleichgewicht zwischen Pflanzen und Pflanzenfressern besteht. Der Konflikt, wie viel Wild der Wald verträgt, bleibt bestehen. Und er zeigt exemplarisch, dass wegen der widersprüchlichen Interessen im Wald das Prinzip der Nachhaltigkeit doch nicht so leicht umzusetzen ist.