Venezuela
Chávez unterliegt im Referendum zur Verfassungsänderung. Sein Staatsmodell verliert damit weiter an Strahlkraft.
Die vergangenen Wochen waren keine guten für den erfolgsgewohnten venezolanischen Staatschef Hugo Chávez. Vom spanischen König auf dem Iberoamerika-Gipfel abgekanzelt, vom kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe in der Geisel-Krise vorgeführt und nun das, was in der Vorstellung des Narziss' von Caracas der größte anzunehmende Unfall sein muss. Eine Niederlage beim Referendum, mit dem er seinen vagen "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" in Gesetzeskraft gießen und so sein Land auf eine neue politische, soziale und wirtschaftliche Basis stellen wollte.
Chávez ist durch den überraschenden Ausgang des Verfassungsreferendums vor einer Woche auf den Boden der Realität zurückgeholt worden. Die Bodenhaftung hatte der Linksnationalist spätestens seit seinem klaren Sieg bei der Präsidentenwahl vor genau einem Jahr verloren. Die Zumutungen, die er jetzt in die Verfassung schreiben lassen wollte, wie die Möglichkeit der unbegrenzten Einschränkung der Grundrechte und die faktische Entmachtung der Provinzregierungen, sprechen eine deutliche Sprache.
Chávez ist nach neun Jahren, in denen er keine Wahl und keine Abstimmung verloren hatte, geerdet worden, und er hat dabei all diejenigen im In- und Ausland Lügen gestraft, die ihn wahlweise als "Diktator", "Hitler" oder "Stalin" beschimpft haben, jedenfalls ihn für einen Anti-Demokraten halten. Der Selbstdarsteller mit Neigung zur Hybris hat gezeigt, dass er bereit ist, demokratische Spielregeln zu akzeptieren.
Das unerwartete Ergebnis des Referendums hat weitreichende Auswirkungen. Zuhause sollte es dem Präsidenten vor allem als Hinweis dienen, dass er den Bogen überspannt hat. Drei Millionen Venezolaner, die vor einem Jahr noch für Chávez gestimmt hatten, votierten gegen ihn oder enthielten sich der Stimme. Das bedeutet zweierlei.
Zum einen sind selbst die Menschen in den Armenvierteln nicht bereit, ihrem Präsidenten ein Ewigkeitsmandat und die Machtfülle eines Monarchen zuzugestehen, wenn er auf der anderen Seite derzeit nur schwer in der Lage ist, die Versorgung mit Milch, Fleisch oder anderen Gütern des täglichen Bedarfs sicherzustellen. Versorgungsengpässe aufgrund staatlich festgesetzter Preise und sabotierender Produzenten sind mittlerweile gang und gäbe in Venezuela.
Zum anderen hat Chávez Kredit bei gemäßigten Linken und Intellektuellen verspielt. Ihnen ist sein Hunger nach immer mehr Macht längst suspekt. Zudem sind viele Venezolaner der Jahre aggressiver Rhetorik müde, in denen er seine Gegner wahlweise als "Faschisten", "Dreck" oder "Müttersöhnchen" bezeichnete.
Verbales und inhaltliches Abrüsten ist also das Gebot der Stunde. Die praktische Pattsituation bei der Abstimmung sollte sowohl Chávez als auch die Opposition dazu bringen, aufeinander zuzugehen. Die unmittelbaren Nachwirkungen des Referendums lassen nichts Gutes erahnen. Die venezolanische Zeitung "El Nacional", die zu den Chávez-kritischen Medien gehört, behauptete einen Tag nach der Abstimmung, die Streitkräfte hätten den Präsidenten zwingen müssen, den Ausgang des Referendums zu akzeptieren. Sowohl Chávez als auch das Oberkommando dementierten. Es ist nicht zu erwarten, dass sich Chávez' Gegner auf konstruktive Kritik besinnen. Seit er an der Macht ist, haben sie alles Legale und Illegale versucht, den verhassten Staatschef zu beseitigen. Die Opposition ist ein amorpher Haufen aus Putschisten, Demokraten, abgehalfterten Parteien und motivierten Studenten. Aber bisher sind sie zu keinem konstruktiv-organisierten Handeln fähig.
Nach außen hat das Modell Venezuela in letzter Konsequenz mit der Niederlage von Chávez an Strahlkraft verloren. Dies gilt vor allem für Ecuador und Bolivien. Beide Länder haben Verfassungsreformen in Gang gesetzt, die der von 1999 in Venezuela gleichen. Vor allem in Bolivien werden die Gegner der weit gediehenen Reform zusätzlichen Rückenwind verspüren. Sie laufen schon jetzt Sturm gegen das Projekt von Präsident Evo Morales. In Ecuador, wo Staatschef und Chávez-Freund Rafael Correa gerade die Verfassunggebende Versammlung einberufen hat, könnte das Ergebnis aus Caracas dazu führen, dass die Veränderungen weniger tiefgreifend ausfallen.