Tumult im Bundestag: Applaus bei den einen, empörte Zwischenrufe bei den anderen. Schließlich verlässt ein Abgeordneter unter Protest den Plenarsaal. Die Medien melden am nächsten Tag "tiefe Risse" in der Großen Koalition aus CDU/ CSU und SPD. Auslöser für die Aufregung am 11. September dieses Jahres: Eine Rede zur Sicherheitspolitik des Abgeordneten Fritz Rudolf Körper. Der Vize-Fraktionsvorsitzende der SPD kritisierte darin scharf Äußerungen des Innenministers Wolfgang Schäuble, der in einem Zeitungsinterview vor terroristischen Anschlägen mit Nuklearmaterial gewarnt - aber gleichzeitig an die Gelassenheit der Bevölkerung appelliert hatte.
"Ich hatte mich sehr geärgert", gesteht der 52-Jährige später. "Man darf keine Ängste schüren, die der objektiven Sachlage nicht entsprechen!" Unbestritten ist für ihn, dass die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus gewachsen ist. Doch genauso klar ist auch, dass es für Sicherheitsmaßnahmen Grenzen gibt: "Wir können nicht das Rechtsstaatsprinzip an der Garderobe abgeben wie einen Mantel." Fritz Rudolf Körper wirkt gelassen, als er sich in seinem Berliner Büro im Sessel zurücklehnt. Dass seine Rede für Furore gesorgt hat, erstaunt ihn selbst: "Meine Worte haben wohl gesessen", sagt er und schmunzelt. Der gebürtige Pfälzer schätzt das offene Wort. Dazu gehört auch, Konflikte aushalten zu können. "Rückgrat ist wichtig", findet Körper und schaut ernst durch seine eckig-randlose Brille.
Fritz Rudolf Körpers Rückgrat ist sein Glaube. Schon als 13-Jähriger beginnt er sich in der evangelischen Jugendarbeit im heimatlichen Rehborn zu engagieren, einem kleinen Ort in der Nähe von Bad Kreuznach. Er organisiert Gottesdienste, Freizeitaktivitäten für Kinder und Jugendliche. Schnell erkennt Körper, wie man sie begeistern kann: wenn sie selbst aktiv werden und sich engagieren können. Zu einem Jugendtag kommen Anfang der 70er-Jahre mehr als 450 Jugendliche - trotz Sonntagsfahrverbot. Für Körper ein organisatorischer Erfolg: "Das war eine Herausforderung, wie ich sie mochte", erinnert er sich nicht ohne Stolz.
Die Zeit in der evangelischen Jugendarbeit prägte ihn: 1974 beginnt der 19-Jährige Theologie in Mainz zu studieren. Das Ziel: Gemeindepfarrer. Doch es kommt anders. 1973 war Körper, inspiriert von Willy Brandts Ostpolitik, der SPD beigetreten. Nur fünf Jahre später zieht er 1979 - als Nachrückkandidat - in den rheinland-pfälzischen Landtag ein. Damit ist Fritz Rudolf Körper der jüngste Abgeordnete Deutschlands - dem ZDF ist das damals sogar einen Beitrag im "Länderspiegel" wert.
Trotz seines Mandats studiert Körper weiter - auf dringendes Anraten seines damaligen Fraktionsvorsitzenden hin: "Der rief mich zu sich und sagte: 'In der Politik ist man nur gut, wenn man beruflich unabhängig ist'." Körper macht also seine Examina. Doch der Beruf des Gemeindepfarrers bleibt nur eine Option.
Politik ist seit fast 30 Jahren Körpers tägliche Arbeit: Bis zu seiner Wahl in den Bundestag 1990 bleibt er Abgeordneter im Landtag und nimmt zugleich Aufgaben als Mitglied im Gemeinderat von Rehborn wahr. Die Innenpolitik ist sein Métier: Im Bundestag wird Körper zunächst innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, später Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium unter Otto Schily. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist er dort maßgeblich an der Ausarbeitung eines Sicherheitspakets beteiligt. Keine einfache Aufgabe. Dennoch wertet Körper das Paket als Erfolg: "Es war schon erstaunlich, was wir in so kurzer Zeit geschafft haben." Anderes klappt dagegen weniger gut: "Dass wir so lange gebraucht haben, um ein Zuwanderungsgesetz zu bekommen...", darüber ärgert er sich noch heute.
Körper ist einer, der gern Entscheidungen vorbereitet. Ein "alter Strippenzieher", wie er sich humorvoll selbst bezeichnet. Er hat ein gesundes Gefühl für das Machbare. Sich am politisch Unmöglichen aufzureiben, ist nicht seine Sache. Wird ihm der Politikbetrieb aber doch einmal zuviel, kann er sich immer noch auf den Theologen in sich besinnen. Wie kürzlich, als er auf Luthers Spuren über Eisleben, Wittenberg und Eisenach durch Sachsen-Anhalt und Thüringen wanderte.