STANDPUNKT
Ulrich Walter glaubt nicht an ETIs
So mancher mag sich über die Berechtigung der Frage: "Sind wir allein?", wundern. Ist die Antwort: "Natürlich sind wir nicht allein!" nicht allzu offensichtlich, wo es doch über 100 Milliarden Sterne allein in unserer Milchstraße gibt? Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, sollten wir bei so vielen Sternen mit vermutlich noch weit mehr Planeten die einzige Zivilisation in unserer Milchstraße sein. Das jedenfalls ist die Meinung der meisten Menschen in unserem Kulturkreis.
Verfolgt man diesen Standpunkt etwas genauer, gelangt man jedoch zu Widersprüchen. Denn sollte es auch nur auf jedem tausendsten Planeten dort draußen eine hoch entwickelte Zivilisation geben, gäbe es allein in der Milchstraße mindestens 100 Millionen bewohnte Planeten. Warum aber tummeln sich dann auf unserer Erde keine Außerirdischen? Warum ist der Raum nicht ausgefüllt mit Nachrichten und Raumsonden anderer Kulturen?
Der berühmte Physiker und Nobelpreisträger Enrico Fermi drückte es einmal so aus, als er nach seiner Meinung zu Außerirdischen gefragt wurde: "Wenn es Außerirdische gibt, wo sind sie?"
Fermis berühmt gewordene Frage ist in der Tat das heute schlagendste Argument gegen die Existenz vieler außerirdischer Zivilisationen - in der Literatur gemeinhin als ETI (Extraterrestrial Intelligence) bezeichnet - in unserer Galaxis. Er sagt: Wenn es sie gibt, sollten sie interstellare Raumfahrt betreiben, so wie wir Menschen, sie sollten nach neuen bewohnbaren Planeten suchen.
Schließlich sollen sich erdähnliche Planeten, nach gegenwärtigem Stand der Erkenntnis, in etwa 32 Lichtjahren Abstand voneinander befinden - ein Flug zu solchen Planeten wäre mit vollständig autonomen Raumarchen innerhalb von etwa 300 Jahren möglich. Nur dann müssten ETIs nach spätestens drei bis vier Millionen Jahren auch auf der Erde auftauchen. Bisher jedoch war niemand da, obwohl die Milchstraße bereits seit 13 Milliarden Jahren existiert.
Nun gibt es manche, die glauben, dass ETIs bei 300 Jahren Reisezeit ganz einfach kein Interesse oder keine ausreichende Motivation für eine Kolonialisierung haben (Beschaulichkeits-Hypothese). Andere sind davon überzeugt, dass ETIs nicht lange existieren, weil sie sich vor den Auswanderungsbemühungen durch nukleare Kriege selbst zerstören (Selbstzerstörungs-Hyphothese). Und wieder andere glauben gar, ETIs wollen die Erde als Naturschutzgebiet oder als urtümliches "Freiwildgehege" erhalten (Zoo-Hypothese).
Doch es gibt eine Reihe von Einwänden gegen diese Hypothesen. Alle genannten Gründe sind temporäre Gründe. Sie können sich ständig verändern, auch über die Entwicklungsstadien der Außerirdischen, und sich genau ins Gegenteil verkehren. Und selbst wenn eine Kultur aus sozialen Gründen nie auswandert, erklärt das nicht, warum alle der vermuteten Millionen außerirdischer Kulturen zu allen Zeiten dieselben oder ähnliche soziale Gründe haben sollten. Es ist auch keine universell gültige soziologische Theorie vorstellbar, die solche Gründe ableiten könnte. Denn die müsste sich auf Erkenntnisse stützen - und die einzige Erkenntnis über kulturelles Verhalten kommt von uns selbst, die diese Verhaltensweisen bisher noch nicht zeigte.
Diese Theorien können also a priori keinen allgemeingültigen Charakter haben. Sollte man immer noch Zweifel daran haben, dass Außerirdische irgendwann auswandern würden, weil sie etwa unüberwindbare Furcht vor einem katastrophalen Ausgang der Reise haben könnten, wird man mit folgender Überlegung eines Besseren belehrt. Ben Zuckerman, Professor für Physik und Astronomie an der Universität von Kalifornien in Los Angeles, zeigte, dass für viele ETI-Kulturen die Motivation inzwischen hoch genug sein muss, ihren Heimatplaneten zu verlassen: Ihr Stern ist inzwischen verloschen. In mathematisch einfacher Form zeigte er, dass dies für 700 Millionen bewohnbare Sternensysteme unserer Milchstraße zutrifft. Sollte es 100 Millionen ETI-Kulturen in unserer Galaxis geben, dann müsste mehr als eine Million von ihnen dieses Schicksal inzwischen ereilt haben.
Konfrontiert mit dem Überleben der eigenen Rasse, werden alle genannten wie denkbaren sozialen Gründe einer Nichtkolonialisierung obsolet. Will eine solche ETI-Rasse überleben, bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich eine neue Sternenheimat zu suchen! Jedwede anderen Einwände wie Kosteneffektivität oder Missionsrisiko verblassen demgegenüber.
Oder sind sie bereits hier? Sind UFOs Außerirdische? Sicherlich nicht. Denn wenn eine Zivilisation die Bürde auf sich nimmt, über mehrere Generationen hinweg einen neuen Heimatplaneten zu suchen, dann wird sie sicherlich mit uns über Jahrzehnte Versteck spielen. Mit ihrer überlegenen Technologie würden sie ganz anders vorgehen.
Nach all diesen Überlegungen muss unsere Antwort auf die Anfangsfrage "Sind wir allein?" daher konsequenterweise lauten: "Wir sind allein in unserer Milchstraße! Wir allein und sonst keiner."
Der Autor ist ehemaliger Astronaut und leitet den Lehrstuhl für Raumfahrttechnik an der TU München. Sein Buch "Zivilisationen im All - Sind wir allein im Universum?" erschien 2001.