EU-INITIATIVE
Rund 800 Satelliten umkreisen die Erde. Bisher tritt die Europäische Union im All nicht als Gemeinschaft auf. Das soll sich ändern.
Ein Szenario: Das Sommerparadies steht in Flammen, in Griechenland brennen die Wälder. Ein kleines Dorf ist eingeschlossen von den lodernden Feuern, hunderte Menschen warten auf Rettung. Für sie kommt Hilfe aus dem Weltall: Mittels Satellitentechnik kann die Regierung die exakte Position der Eingekesselten ausloten, den Brand zielgerichtet löschen und Rettungswege erschließen. "Weggefährte" - so heißt die wörtliche Übersetzung von "Sputnik", jenes kleinen Satelliten, der am 4. Oktober 1957 als erster überhaupt ins All geschossen wurde. Und "Weggefährten" sind sie heute, 50 Jahre später, mehr denn je: Rund 800 Satelliten umkreisen Schätzungen zufolge heute die Erde. Ihre alles überblickenden Augen helfen bei Katastrophen, beobachten die Umwelt, leisten humanitäre Hilfe oder überwachen internationale Abkommen. Vor allem die Europäische Union treibt mit ihrer Raumfahrtpolitik die vereinte Himmelsnutzung voran.
Bislang tritt die EU im All nicht als Gemeinschaft auf, doch das soll sich ändern. Nach einem Treffen in Göteborg im Juni 2001 läutete der Europäische Rat eine neue Phase der europäischen Raumfahrtpolitik ein: Das GMES-Projekt war geboren. Hinter der Abkürzung verbirgt sich das "Global Monitoring for Environment and Security", eine Gemeinschaftsinitiative der EU und der europäischen Raumfahrtagentur ESA. Satelliten im Orbit funken ihre Daten dabei zusammen mit Beobachtungsstationen auf der Erde - wie Flugzeuge, Schiffe oder Bojen - in ein gemeinsames System. Davon erhofft sich die EU verlässliche Informationen, vor allem in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz, Verkehr, humanitäre Hilfe und Sicherheit. Zunächst wird GMES in drei Kernbereichen Informationen liefern: Landnutzung und Meere werden überwacht sowie ein Notfallsystem bei Naturkatastrophen und Krisen eingerichtet, wie Helmut Staudenrausch vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) erklärt.
Als Ökowächter geben die Satelliten Aufschluss über schmelzende Polkappen, Verformungen der Küsten oder noch unbekannte Rohstoffquellen. So erfährt der Klimaschutz Unterstützung aus dem All. Gase lassen sich in der Atmosphäre verfolgen. Die Einhaltung des Kyoto-Protokolls kann kontrolliert werden. Und mittels der gebündelten Daten lassen sich Fischschwärme oder Tierherden beobachten, um so Informationen über die Artenvielfalt zu gewinnen. Ganz neu für die Staatengemeinschaft ist ein Frühwarnsystem für Naturkatastrophen: Die Satelliten sind in der Lage, kleinste Veränderungen zeitig wahrzunehmen - künftig blicken Rettungskräfte nach Erdbeben oder Ölteppichen aus dem Weltraum auf die Krisenherde. Bis zum Jahr 2013 soll GMES voll funktionsfähig sein. Deutschland hat auf dem Weg dorthin vor zwei Jahren die Führungsrolle in Europa für die Weltraumkomponente übernommen. Momentan liegt die Betreuung in den Händen des Wirtschaftsministeriums, demnächst wird sie auf das Verkehrsministerium übergehen. "Das GMES-Projekt befindet sich noch in der Übergangsphase. Management und Finanzierung sind vorläufig. Hier müssen langfristige EU-Budgets erst geschaffen werden", erläutert Staudenrausch die Herausforderungen für die Zukunft. Der ökologische Aspekt und der humanitäre Hilfsdienst von GMES werden auch in einen größeren Kontext eingehen: In die G8-Initiative GEOSS ("Global Earth Observation System of Systems"). Deren Ziel ist es, die Erdbeobachtung verstärkt zu nutzen, um eine verbesserte weltweite Koordination zu gewährleisten, so ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums, das mit der Umsetzung betraut ist. GEOSS unterstützt damit sowohl die Erfüllung der Millennium-Entwicklungsziele als auch den Katastrophenschutz.
Die Bereiche Sicherheit und Verteidigung im Rahmen des GMES-Projekts sind von der Kommission in ihrem Weißbuch zur Raumfahrt ebenfalls ins Auge gefasst: Beispielsweise könnte die Einhaltung des Schengen-Abkommens durch das System kontrolliert und illegale Migration eingedämmt werden. Auch fallen im Zusammenhang mit der Satellitenüberwachung immer wieder die Stichworte Terrorabwehr und Strafverfolgung. Quasi als Weltraumpolizei könnten Satelliten etwa Schmuggelrouten aufdecken. Im Innenministerium nimmt man diese Entwicklung gegenwärtig noch gelassen. "Mit der Satellitenüberwachung selbst können weder Straftaten verhindert noch Anschläge abgewehrt werden", erklärt ein Sprecher. Chancen sehe man derzeit hauptsächlich in der Unterstützung laufender Maßnahmen. So könnten die Satelliten zur Tatortvermessung beitragen, unzugängliche Objekte identifizieren oder Voraufklärungsarbeit leisten. Standardmäßig werde die Satellitenüberwachung jedoch nicht angewandt, so das Ministerium weiter. Über zukünftige technische Entwicklungen und ihre Folgen für die Strafverfolgung möchte man noch keine Prognose wagen.
Klar ist aber auch, dass die sensiblen Daten aus dem All, einmal in falsche Hände gelangt, auch die Sicherheit der Bundesrepublik gefährden könnten. Der Bundestag berät daher gerade über ein Satellitendatensicherheitsgesetz. Das soll künftig dafür sorgen, dass die Verbreitung der Daten klaren Beschränkungen unterliegt.