RAUMFAHRTPOLITIK
Deutschland hat große Pläne
Die rund 80-jährige Geschichte der deutschen Raumfahrtforschung ist eine wechselvolle: ebenso wie die der staatlichen Raumfahrtpolitik: In der Weimarer Republik lösten Raketen-Pioniere wie Herrman Oberth und Maximilian Valier mit ihren Experimenten eine regelrechte Raumfahrteuphorie aus - die Politik betrachtete dies jedoch mit Skepsis. Als Valier 1930 bei einem Raketenexperiment ums Leben kam, wurde im Reichstag gar ein Gesetzentwurf vorgelegt, der solche Versuche verbieten sollte - jedoch ohne Erfolg.
Das Heereswaffenamt erkannte Potenzial darin und initiierte 1932 ein erstes deutsches Raketenforschungsprogramm. Unter den Nationalsozialisten wurden solche Forschungen zum gut gehüteten Staatsgeheimnis. Wernher von Braun gelang es schließlich 1942 vom Forschungszentrum Peenemünde aus die erste Rakete in den Weltraum zu schießen. Doch wissenschaftliche Glanzleistungen und menschliches Leid lagen nah beieinander: Während von Braun an "Vergeltungswaffen" tüftelte, starben rund 30.000 Zwangsarbeiter, die die Raketen unter unmenschlichen Bedingungen produzieren mussten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg litt die deutsche Raumfahrtforschung an einem Totalverlust an Wissen, Einrichtungen und Industriekapazitäten. Nur mühsam kam sie Mitte der 1950er-Jahre wieder in Gang, fast drohte sie international den Anschluss zu verpassen. Erst 1967 verabschiedete die Regierung Adenauer ein erstes bundesdeutsches Weltraumprogramm. Seitdem lag der Schwerpunkt der Raumfahrtpolitik auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, weniger auf deren technisch-wirtschaftlicher Umsetzung. Auch Prestige oder militärische Interessen spielten keine Rolle.
Deutschland orientierte sich in den vergangenen 50 Jahren vor allem an den USA und an Frankreich, leider ohne "klaren Kompass" für eine nationale Industriepolitik, wie Walter Döllinger findet. Er ist Programmdirektor für Raumfahrt am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der wichtigsten deutschen Forschungsinstitution in diesem Bereich. Hervorgegangen aus seinen Vorgänger-Institutionen, der 1907 gegründeten Göttinger "Modellversuchsanstalt" für Luftfahrt und der 1967 geschaffenen "Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt", blickt das DLR mittlerweile auf eine 100-jährige Geschichte zurück. Seit der 1997 vollzogenen Fusion mit der Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten ist das DLR gleichzeitig auch Raumfahrtagentur der Bundesregierung - und damit für Konzeption und Umsetzung ihrer Raumfahrtprogramme zuständig.
"Die deutsche Raumfahrt hat unter dem Spagat gelitten, einerseits beim eigenständigen Zugang zum All mit Frankreich zu kooperieren und andererseits bei der bemannten Raumfahrt den USA zu zeigen, dass man ein verlässlicher Bündnispartner ist", sagt Döllinger. "Das hat dazu geführt, dass Deutschland auf beiden Gebieten nur Juniorpartner geblieben ist." In den 1990er-Jahren nahm unter der rot-grünen Regierung die Zurückhaltung gegenüber visionären Raumfahrtprojekten zu: "Die Diskussion wurde ideologisch geführt: Bafög oder Raumfahrt?", erinnert sich Döllinger. Infolge dieser zögerlichen Haltung beteiligte sich Deutschland auch nach dem Regierungswechsel im Jahr 2005 an der europäischen Mars-Mission "ExoMars" nur mit 14 Prozent und überließ die Führung in dieser Explorationsinitiative Italien.
Heute sieht der Programmdirektor die deutsche Raumfahrtforschung im Aufwind: Der Forschungs- und Entwicklungsetat des DLR ist inzwischen auf rund 540 Millionen Euro angewachsen, etwa 750 Millionen Euro erhält die Raumfahrtagentur für das nationale- und ESA-Programm. Mit 5.600 Mitarbeitern ist das DLR das größte der 16 deutschen Forschungszentren. In den vier Schwerpunkten des Raumfahrtbereichs, Erdbeobachtung, Robotik, bemannte Raumfahrt und Navigation, sei das DLR inzwischen "führend in Europa", so Döllinger. Erklärtes Ziel des DLR ist eine rein deutsche Mondmission. Der Erdtrabant sei bis heute zu wenig erforscht worden, findet der Raumfahrtdirektor. "Dabei ist er eine Art Archiv der Erde", sagt Döllinger, "wir könnten viel erfahren über die Entstehung unseres Planeten, der auch auf die Stabilität des Wetters hier auf der Erde Einfluss nimmt". Zudem werde der Mond nach den Vorstellungen der Amerikaner der erste Himmelskörper sein, auf dem eine bemannte Station gebaut werden kann - auch als Basiscamp für zukünftige bemannte Missionen zum Mars. Viele gute Gründe, den Mond nicht nur den USA, China oder Japan zu überlassen. Aber natürlich geht es diesmal auch um Prestige, gibt Döllinger zu: "Es wäre für den Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschland sehr reizvoll, wenn unsere Raumfahrt zeigen könnte, dass sie eine solche wissenschaftlich und technologisch herausragende Mission entwerfen und umsetzen kann."
Auch hier zeigt sich, dass sich die Raumfahrtpolitik der Bundesrepublik unter der Großen Koalition verändert hat: Stand die Forschung zuvor unter dem "überzogenen Druck", anwendungsorientiert zu arbeiten, darf heute aus Sicht des DLR-Raumfahrtdirektors "wieder etwas freier" gedacht werden: "Dass wir sogar bemannte Missionen ins Auge fassen können, davon hätten wir noch vor einigen Jahren nicht zu träumen gewagt."
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.