VERTRÄGE
Fragen nach Recht und Besitz im Universum sind oft noch ungeklärt
Überall da, wo Menschen sind, gründen sie einen Verein - oder bekommen Streit. Oder beides. Auch im All sind Streitigkeiten vorprogrammiert, die rechtlich gelöst werden wollen. Streitigkeiten, die im Weltraum innerhalb einer Astronauten-Crew auftreten können, aber auch zwischen zwei Nationen, die an einem Projekt zusammenarbeiten. Beispiel: Die Internationale Raumstation ISS, an der neben den einzelnen Mitgliedstaaten und der europäischen Weltraumagentur ESA auch die USA, Russland, Kanada und Japan beteiligt sind. Beim ersten Verstoß gegen allgemein anerkannte Rechtsnormen an Bord der Station wird die Frage auftauchen: Wer ist schuld, wer haftet? "Es ist die Grundlage jedes Gemeinwesens, dass es Gesetze geben muss, die zwischen richtig und falsch unterscheiden", meint dazu Astronaut Hans Schlegel, der im Januar mit der amerikanischen Raumfähre Atlantis ins All starten und dort Europas Weltraumlabor Columbus in Betrieb nehmen soll.
Amerika war in den Anfangsjahren der bemannten Raumfahrt Vorreiter bei der rechtlichen Erfassung des Alls. Schon bevor 1969 die ersten Menschen ihren Fuß auf den Mond gesetzt hatten, hatten sich die Juristen aller Länder darüber Gedanken gemacht, wie der Grund und Boden auf dem Erd-Trabanten zu verteilen sei. Der Mond gehört schließlich keinem, und das ist trotz der dort aufgespießten Stars-and-Stripes-Flagge bis heute so geblieben - was nicht heißen muss, dass dies für alle Zeiten gilt.
Alles begann in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, mitten im Kalten Krieg und dem Wettlauf zwischen USA und UdSSR zum Mond. Eine bange Sorge beschlich damals beide Seiten: Was wird derjenige, der zuerst seinen Fuß auf den Mond setzt, mit ihm machen? Ihn für sich beanspruchen? Ihn seinem Staatsgebiet einverleiben, als außer-irdische Enklave? 1967 haben die Sowjets und die Amerikaner den Weltraum-Vertrag unterzeichnet, der eigentlich das Wettrennen im All beenden sollte. In ihm kamen die beiden Supermächte unter anderem darin überein, dass niemals ein Staat Souveränität über einen Himmelskörper beanspruchen dürfe. Der Journalist und Präsident des Space Settlement Instituts, Alan Wasser, hat jedoch eine rechtliche Lücke entdeckt: "Zwar dürfen die USA den Mond nicht als 51. Bundesstaat für sich reklamieren, wohl aber können Privatleute Grund und Boden erwerben." In den 1960er-Jahren habe noch niemand an Privatbesitz im All gedacht oder an die Möglichkeit, dass eines Tages Geschäftsleute oder Weltraumtouristen ins All fliegen könnten. Und so findet sich diese Möglichkeit im Vertrag nicht wieder. "Es gibt Präzedenzfälle in der Geschichte der Besiedelung des nordamerikanischen Kontinents, in denen sich Privatpersonen Land angeeignet haben, ohne dass es einen Staat gegeben hätte, der Souveränität über das Gebiet ausgeübt hätte", erläutert der Jurist. Somit könne ein Geschäftsmann Besitz auf dem Mond erwerben, darauf ein Hotel bauen oder den Boden gewinnbringend wieder verkaufen - und schon liefe das Geschäft mit Mondimmobilien.
Gleiches gilt für die wirtschaftliche Nutzung und den Abbau möglicher Bodenschätze auf dem Mond. "Der Akt der Besitzergreifung alleine würde denjenigen legitimieren, das Land für sich zu beanspruchen oder es gewinnbringend an andere zu verkaufen", sagt Alan Wasser. Doch: "Würde dies auch weltweit in diesem Sinne anerkannt? Lohnen sich die Anstrengungen wirklich, und gehört einem dann wirklich das, was man beansprucht?", fragt Professor Haym Benaroya vom Raumfahrt-Department der Universität von New Jersey. Und auch am Kölner Institut für Luft- und Weltraumrecht wird bezweifelt, ob die Mondpioniere mit ihren Besitzansprüchen wirklich durchkämen. Also fliegt derzeit kein privates Unternehmen zum Mond, weil es sich über die weltweite Anerkennung seines dort beanspruchten Besitzes nicht sicher sein kann. Verträge werden aber auch nicht konkretisiert - eben weil keine Firma zum Mond fliegt und damit kein Handlungsbedarf besteht. Das Problem wird sich möglicherweise dann von selbst erledigen, wenn die Amerikaner bald zurückkehren auf den Mond und mit dem Bau einer permanent bemannten Basis beginnen.
Im All gibt es eine solche Basis schon: Die Internationale Raumstation ISS. Hier halten sich derzeit drei Astronauten und Kosmonauten auf, in zwei Jahren soll deren Zahl verdoppelt werden. Sechs Raumfahrer sind dann für mehrere Monate auf engstem Raum zusammen, ohne wirkliche Privatsphäre. "Unsere Astronauten haben einen festgeschriebenen Verhaltenskodex, nach dem sie sich richten müssen, weil sie mit einem Gerät der öffentlichen Hand fliegen, nämlich dem Space Shuttle", erklärt Jesco von Puttkamer, Langzeitplaner bei der US-Raumfahrtbehörde NASA. Die Russen hätten ihren eigenen Kodex, sie dürften zum Beispiel an Bord der ISS Werbefilme drehen. "Alle Partner haben ihre Verhaltensregeln eingebracht, und nun müssen wir gemeinsam entscheiden, wie wir daraus ein allgemein gültiges Verhaltensschema für Astronauten aufstellen", so der NASA-Planer.
Was mit einer Hausordnung in der Umlaufbahn beginnt, könnte unter Umständen auch strafrechtliche Konsequenzen haben. Genaues regelt das multinationale Raumstations-Übereinkommen: Bei mutwilliger Sachbeschädigung im All, die von einem deutschen Astronauten verursacht wurde, übernehmen deutsche Gerichte die Strafverfolgung. Aber wie reagieren, wenn ein deutscher Astronaut einem russischen Kosmonauten die Sauerstoff-Zufuhr abdreht? Das Übereinkommen sieht vor, wenn das Mutterland des Astronauten oder Kosmonauten auf Strafverfolgung des außerirdischen Übeltäters verzichtet, können auch die anderen Betreiberstaaten die Strafgerichtsbarkeit ausüben.
Doch nicht allein um die kriminelle Energie künftiger Astronauten und Kosmonauten sorgen sich die Juristen. Insbesondere deren tägliche Arbeit, die wissenschaftliche Forschung, ist noch nicht abschließend geregelt. "Es gibt Unklarheiten bei der Abgrenzung von kommerziellen und wissenschaftlichen Aktivitäten", warnt Wilhelm Stoffel vom Institut für Luft- und Weltraumrecht der Universität Köln. Dies gelte beispielsweise für Patente, also Schutzrechte für im All hergestellte "Ware" wie Medikamente. "Gerade patentrechtliche Fragen sind sehr kompliziert an Bord einer Weltraumstation, weil man immer darauf achten muss, in welchem nationalen Labor die jeweilige Erfindung erfolgt ist." Generell könne der Staat, in dessen ISS-Segment etwas erfunden oder hergestellt wurde, Patentrechte dafür eingeräumt bekommen.
Die größte außerirdische Herausforderung, glaubt Kai-Uwe Schrogl vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), wird jedoch die künftige Nutzung von Frequenzen im Bereich der Telekommunikation sein. Denn, so Schrogl: "Die werden immer knapper." Es sei Aufgabe der Internationalen Fernmeldeunion, neue Verfahren zu entwickeln, die eine effektivere Frequenzverteilung im All ermöglichen.
"Es wird in der Tat an bestimmten Stellen eng", weiß auch Karl-Heinz Böckstiegel, emeritierter Direktor des Kölner Instituts für Luft- und Weltraumrecht. Dies gelte besonders für die geostationäre Umlaufbahn in 36.000 km Höhe.
Was deutsche Touristen mit Handtüchern auf Liegestühlen machen, leisten sich Amerikaner mit den Frequenzplätzen im All: Sie "reservieren" und blockieren sie. Und selbst der König von Tonga stellte jüngst sechs Anträge für die Nutzung von Satellitenfrequenzen, in der Hoffnung, sie an amerikanische Unternehmen weiterzuverkaufen. Juristen sprechen von Papier-Satelliten, die nur Platz und damit Frequenzen fressen.
Ein weiteres allgegenwärtiges Problem ist die Möglichkeit des so genannten Remote Sensing, der Erdbeobachtung. Ein Satellit, der fast die komplette Erdoberfläche überfliegt, kann zur Kartographierung genutzt, aber von bösen Geistern auch zweckentfremdet werden.
Die UNO hat zwar beschlossen, dass es sich jeder Staat gefallen lassen muss, dass ein anderer in der Lage ist, Daten über das eigene Territorium aufzuzeichnen und zu sammeln. Wulf von Kries vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gibt aber zu bedenken, dass dies bisweilen hoch aufgelöste und damit sehr präzise Daten seien, die manche Regierung nur sehr ungern veröffentlicht sehe. Eine beliebige Firma könnte einen Himmelsspäher ins All schießen, der dann im Auftrag und gegen Bezahlung eines "Schurkenstaates" à la Nordkorea oder Iran Bilder von militärischen Sperrgebieten anderer Länder schießt.
In den USA gilt daher: Jeder privatwirtschaftliche Remote-Sensing-Dienstleister muss von der amerikanischen Regierung eine Genehmigung erhalten und dulden, dass der Staat seinen Betrieb, die Datenaufnahme und deren Verbreitung zeitweilig unterbrechen oder einstellen kann, wenn nationale Sicherheitsinteressen tangiert erscheinen. In der "Alten Welt" gibt es derartige Regulierungen (noch) nicht.
Vielleicht aber wird die weitere internationale Kooperation bei der Raumstation oder einem bemannten Flug zum Mars auch dafür Regeln schaffen. Bei allem, was im All noch fehlt, sind die Beteiligten somit wenigstens schon mal auf die erste Hausbesetzung im Orbit oder andere kriminelle Ernstfälle vorbereitet.
Der Autor arbeitet als Wissenschafts- journalist mit Schwerpunkt Weltall/Raumfahrt in Bonn und Florida.