ZUKUNFTSRAUM WELTALL
Das Sonnensystem wird zur zentralen Forschungsplattform des Jahrtausends
Manche Ideen benötigen etwas Zeit, bevor sie ihr Publikum erreichen. Wie jene des 1935 verstorbenen russischen Raumfahrttheoretikers Konstantin Ziolkowski, mit "Raketenzügen", mehrstufigen Raketen, das Weltall zu erobern. "Die Erde ist die Wiege der Menschheit", begründete er seinen Vorschlag, "aber niemand kann sein ganzes Leben in der Wiege verbringen."
Es vergingen Jahrzehnte, bis sein Landsmann Juri Gagarin 1961 den ersten Blick über den Wiegenrand wagen konnte. Und weitere elf Jahre, bis die Amerikaner Neil Armstrong und Edwin "Buzz" Aldrin den ersten wirklichen Schritt hinaustaten: den Schritt auf den Mond. Und genau dort wird der Mensch in den kommenden Jahrzehnten endlich sein Lager aufschlagen. Denn anders als vor 30 Jahren haben Wissenschaftler, Raumfahrtingenieure und - neu in der Runde - Unternehmer heute ziemlich genaue Vorstellungen darüber, was sie dort wollen: Mond und Weltall, soweit es das solare System umfasst, werden zur zentralen Forschungs- und Technologieplattform dieses Jahrtausends - und zum Wirtschaftsraum.
Die Zielvorgaben für die Wissenschaft sind eindeutig: "Wer das Weltall erforscht, erforscht auch die Erde, die ein Teil davon ist; wer dafür Hochtechnologien entwickelt und einsetzt, wird sie auch für eine sich nachhaltig entwickelnde Gesellschaft einsetzen", sagt Johann-Dietrich Wörner, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Wissenschaft und Wirtschaft werden sich dabei gegenseitig befeuern. Ludger Fröbel von der Programmdirektion Weltraum des DLR etwa sieht "einen absolut positiven Einfluss des künftigen Weltraumtourismus auf die Forschung": bei der Entwicklung neuer Startsysteme, der Konfiguration kommerzieller Raumstationen und nicht zuletzt bei der Imageförderung.
Noch in diesem Jahr wird die NASA ihren Lunar Reconnaisance Orbiter (LRO) als Kundschafter zum Mond schicken. Sein Auftrag: die Vermessung der Oberfläche zur Vorbereitung einer bemannten Mission. Und das ist nur der Auftakt. In den nächsten Dekaden, soviel ist sicher, wird in der Umgebung unseres Heimatplaneten ziemlich viel Betrieb herrschen.
Künftig werden Kleinstsatelliten auf niedrigen Umlaufbahnen in Schwärmen für Kommunikationsdienste, für die Forschung und wohl auch für militärische Zwecke eingesetzt. Oder Energiekollektoren mit quadratkilometergroßen Solarsegeln auf stationären Orbits das Sonnenlicht sammeln und "beamen" es in Form von Mikrowellen zur Erde - wo der Strahl dann in nutzbare Energie umgewandelt wird.
Den spektakulären ersten Schritt in die bemannte Zukunft aber wird schon bald ein aufstrebender Zweig der Tourismusindustrie unternehmen: In Schottland, den Arabischen Emiraten und in Singapur wurden bereits Pläne für touristisch nutzbare Raumflughäfen präsentiert. Am weitesten gediehen sind jene von Virgin Galactic, der laut Website "ersten Raumfluglinie der Welt" des britischen Unternehmers Sir Richard Branson. Sein futuristisches Terminal, der "Spaceport America", soll samt Hangar im US-Bundesstaat New Mexico entstehen, entworfen unter anderem vom britischen Star-Architekten Lord Norman Foster. Für den Raumschiffbau hat er sich mit dem amerikanischen Raumfahrtingenieur Burt Rutan zusammengetan, dessen "SpaceShipOne" bereits mehrere erfolgreiche Flüge hinter sich brachte und in wenigen Jahren sechs zahlende Passagiere pro Flug auf einen suborbitalen Kurs in rund 125 Kilometer Höhe schicken will.
So wird der Trip ins All zur Kreuzfahrt des 21. Jahrhunderts. Und irgendwann auch für Durchschnittsverdiener erschwinglich sein.
Der nächste Schritt ist die Erschließung des Alls für ein zahlendes Publikum: Die Einrichtung von orbitalen Hotels - aufblasbar. Sie werden wie riesige Luftschiffe um die Erde kreisen und aus leicht zu transportierenden Hightech-Materialien bestehen, die selbst einem Meteoriten standhalten können. Ein kleiner Prototyp namens Genesis I befindet sich bereits auf der Umlaufbahn. Um 2025 herum will der amerikanische Hotel-Tycoon Robert Bigelow im Orbit 60 Gäste pro Jahr bewirten - für einen Übernachtungspreis von einer Million Dollar, An- und Abreise inklusive.
Etwa zeitgleich mit dem Start von Bigelows Orbitalhotellerie werden Wissenschaftler und Ingenieure die Rückkehr des Menschen zum Mond und die Errichtung von permanenten Forschungsstationen in Angriff nehmen. Die NASA hat das Projekt für die Zeit nach 2020 terminiert und kalkuliert für die Realisierung 217 Milliarden Dollar. Das russische Gegenstück der NASA, Roskosmos, verfolgt einen ähnlichen Fahrplan.
Und diesmal wird man bleiben und forschen. Schließlich liefert das Mondgestein Erkenntnisse über die Frühgeschichte unseres Sonnensystems quasi aus erster Hand. Die kalte und dunkle Rückseite ist ideal für ein großes Observatorium: Ungestört von atmosphärischen Störungen, jedoch gut erreichbar für die Astronomen erlaubt es den Blick in unbekannte Tiefen des Universums - bis zu seinem Ursprung.
Selbst unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wird die Einrichtung von Mondkolonien in einigen Jahrzehnten bedeutsam werden, lagert dort doch, neben anderen seltenen Rohstoffen, in großer Menge das Edelgas Helium-3, dass sich in künftigen Fusionsreaktoren zur Erzeugung von sauberer, weil strahlungsfreier Energie einsetzen lässt und auf diese Weise zur Lösung der irdischen Energieprobleme beitragen könnte.
So wird also in nicht allzu ferner Zukunft ein Patchwork aus Forschungsstationen und automatischen Industrieanlagen den Mond überziehen; für Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen wird dann ein Forschungsaufenthalt dort so selbstverständlich sein wie heute eine Reise in die Polargebiete. Der Mond wird zum "siebten Kontinent". Und schließlich wird die Menschheit auch den nächsten Schritt tun: hin zum Mars - und darüber hinaus. Um allerdings den Roten Planeten zu erkunden, ihn gar in einem Jahrhunderte währenden Umformungsprozess zu einer bewohnbaren Kolonie zu machen, bedarf es mehr als nur viel Geldes und einer großen Portion Glücks.
Zwar ließen sich die knapp 80 Millionen Kilometer Leerraum zwischen Erde und Mars noch mit herkömmlichen Treibstoffen und Technologien überwinden, nicht jedoch der Rückweg. Gefunden werden müssen völlig neue Antriebssysteme - oder aber ein Weg, um Treibstoffe direkt auf dem Mars von Robotern herstellen zu lassen: etwa Methan, das aus Kohlendioxid und Wasser gewonnen werden könnte. Ungeklärt ist ferner, wie die Besatzung eines Marsschiffes während des Fluges und auf der Planetenoberfläche wirksam gegen Sonnenwind und kosmische Strahlung zu schützen wäre. Und schließlich: Ein solches Raumgefährt kann man auf der Erde zwar konstruieren, aber nicht bauen. Eine Studie der ESA zeigt ein Ungetüm von 102 Metern Länge und 1.355 Tonnen Gewicht, eine Skizze der NASA eine gewaltige, mit Stacheln besetzte Kugel. Solch ein Vehikel müsste entweder in einer erdnahen Umlaufbahn montiert werden oder aber an jenem gut 300.000 Kilometer entfernten Punkt zwischen Erde und Mond, wo sich die Gravitationskräfte der beiden Himmelskörper aufheben. So werden auf dem Mars in den kommenden Jahrzehnten wohl noch Roboter den Menschen vertreten und dort nach Wasser bohren, nach Lebensspuren suchen, Bodenproben ziehen und zur Erde bringen. Und schließlich werden sie auf dem Roten Planeten einen geeigneten Landeplatz suchen. Für den Besuch von der blauen Schwester.
Jürgen Bischoff arbeitet als Wissenschafts- autor für GEO und GEOkompakt.