Zwölf Uhr mittags - irgendwo in Zentralkambodscha an der Landstraße Nummer6, welche die Hauptstadt Phnom Penh mit Siem Reap am Rande der Tempelanlagen von Angkor verbindet. Mühsam rattert der Überlandbus über die Schlaglochpiste. Das Thermometer ist auf fast 40 Grad geklettert, als er endlich zum Mittagshalt in das Provinzstädtchen Kompong Thom einfährt. Mit steifen Gliedern quälen sich die Fahrgäste aus den engen Sitzen hinaus in eine Welt, in der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Öl zieht trübe Schlieren in dampfenden Pfützen, eine hölzerne Markthalle liegt wenig einladend in der schwülen Hitze, kurz hinter der Straße erstrecken sich leuchtend grüne Reisfelder bis zum Horizont. Es riecht nach Gebratenem und altem Öl. Ein Straßenhändler bietet frittierte Heuschrecken an, daneben auch schwarze Käfer in einer undefinierbaren Teigkruste.
Hier in Kompong Thom scheint die Zeit in der tropischen Hitze stehen geblieben zu sein wie eine verrostete Uhr. Wäre da nicht - direkt neben den Heuschrecken - ein schmuckes Lädchen, anders als die anderen kein Bastmattenverschlag, sondern ein Laden mit Schaufenstern aus Glas. Zahllose Nasen haben an diesen Scheiben feucht-fettige Abdrücke hinterlassen, um das Objekt dahinter besser in Augenschein nehmen zu können. Es ist ein Handy, das neueste seiner Art, für das vor kurzem noch die Menschen in den USA Schlange gestanden haben. Es Telefon zu nennen, wäre Understatement: Das Gerät ist ein veritabler Mini-Computer, ein Multimediawunder mit Internet, Fernsehen, Radio und allem, was die bunte Multimediawelt an Spielmöglichkeiten zu bieten hat. Der Wunsch, es zu besitzen, eint Jugendliche in Kompong Thom und Nairobi, in Washington und Moskau, in Berlin und Karatschi. Für viele von ihnen ist das Gerät das Tor zu einer neuen, verheißungsvollen Welt. Willkommen im globalen Dorf!
Schauplatzwechsel. Peking rüstet sich für die Olympischen Spiele. Die Stadt ist eine einzige Baustelle. Höher, größer, weiter - auch die Architektur scheint nach Rekorden und Medaillen zu streben. Dabei könnte der Neubau von China Central Television (CCTV) allen anderen den Rang ablaufen. Auf einer Fläche von zehn Hektar recken sich zwei Türme gen Himmel - nicht steil nach oben, sondern um Schwindel erregende 60 Grad geneigt und mit einem Querriegel verbunden. Ein futuristisches Bauwerk, das weltweit seinesgleichen sucht. Das Gebäude steht, und doch melden sich noch immer besorgte Anwohner bei den Sicherheitsbehörden, um vor seinem Einsturz zu warnen.
Hinter der hypermodernen Fassade entstehen künftig Programme der Gegensätze: Wie seit Jahrzehnten sind die "Nachrichten" in erster Linie Botschaften der Partei an das Volk, monoton vorgetragen nach einem der ältesten Strickmuster des Mediums: Sprecher und Sprecherin wechseln sich ab im Lobgesang auf die Staatsspitze. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Unterhaltungssendungen: Auch China sucht Superstars, und Millionen von Zuschauern suchen mit. Schrill und bunt - Mitmachshows aller Art, wie sie weltweit zur Genüge bekannt sind, haben auch in China ein Massenpublikum erobert. Die Überwachungsbehörde hat aus Angst vor Kontrollverlust das Plebiszit auf das Studiopublikum beschränkt. Massenabstimmungen per SMS haben den Ruch der Demokratie und sind seit Ende 2007 verboten. Zwischen der Unterhaltung flimmern Reklamespots über die Bildschirme - die astronomische Summe von 30 Milliarden US-Dollar wurde bereits 2005 für Werbung ausgegeben. China rückte damit zur Weltspitze auf. Dem Kommerz sind kaum Grenzen gesetzt - gleichzeitig wacht die Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei darüber, dass jede politische Berichterstattung die Welt aus kommunistischer und marxistischer Sicht erklärt - ein Anachronismus, der auch für den boomenden Internetmarkt gilt. Zehntausende staatlich bestallter Zensoren sorgen im Rahmen der technischen Möglichkeiten dafür, dass kritische Inhalte möglichst nicht an die User gelangen. Es ist ein Wettlauf gegen die Technik.
Wir zappen weiter zu Metro TV - Indonesiens populärstem Fernsehanbieter. Gerade ist bei tropischen Regenfällen ein Flugzeug von der Landebahn abgekommen. Schon sind die ersten Kameraleute vor Ort und live auf Sendung. Das Objektiv zoomt auf Verletzte, aufgerissene Gepäckstücke, verstörte, schreckverzerrte Gesichter. Aus dem Off kommt der Bericht über das Geschehen, als nächstes die Direktschaltung ins nahe gelegene Krankenhaus - am Telefon eine Schwester: "Wie viele Tote gibt es schon? Wer ist der Mann, der da gerade auf der Bahre eingeliefert wird? Schauen Sie doch mal in die Brieftasche!" Wenig später läuft der Name des Unglücklichen als Spruchband über den Sender.
In Indonesien sind die Zeiten der Staatszensur vorbei. Tausende von Radiostationen sind seit dem Ende der Diktatur vor zehn Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen und bieten zum Teil ambitionierte Informationsprogramme - freilich überwiegt auch hier die Unterhaltung. Die Zahl der Fernsehkanäle wächst. Nicht überall hat die Professionalisierung der Medienmacher mit der technischen Entwicklung Schritt gehalten. Naturkatastrophen, schwere Unfälle, Terroranschläge - immer sind die Kameras der Sender dabei. Journalistische Ethik - Fehlanzeige.
Schlaglichter aus Asien. Drei Medienmärkte - drei unterschiedliche Welten, die auf den ersten Blick außer der geografischen Zuordnung kaum etwas miteinander zu tun haben. Auf den zweiten Blick zeigen sich Parallelen. In den armen Regionen Asiens, also in Kambodscha, Laos, Bangladesch, auch auf dem Land jenseits der Megametropolen, scheint das Leben seit Jahrhunderten dem gleichen Rhythmus zu folgen. Wasserbüffel trotten durch schlammige Reisfelder, Bauern verkaufen ihre Waren auf den lokalen Märkten. Und doch sind die Ausläufer des neuen Medienzeitalters omnipräsent. Mag das Multimedia-Handy in Kompong Thom wie ein Artefakt einer fremden Zivilisation wirken - es ist dennoch das Statussymbol Nummer 1, nicht nur in Asien.
Das Medium ist die Botschaft, postulierte schon vor fast fünfzig Jahren der Visionär Marshall McLuhan, und sah die Welt angesichts der Entwicklung der audiovisuellen Medien in ein globales Dorf verwandelt. Scheinbar vollzieht sich diese Entwicklung gerade in Asien mit Riesenschritten. Doch von einer grenzüberschreitenden Dorfstruktur sind die Länder Asiens weit entfernt. Nirgendwo bleiben die Gegensätze trotz sich einander schnell annähernder Medienstandards so krass wie in dieser Region: Bettelmönche in roten Kutten leben wie ihre Brüder seit Jahrhunderten in den buddhistischen Klöstern Birmas in absoluter Armut, und doch gelingt es ihnen, Bilder ihres gewaltlosen Aufstands gegen die Diktatur per Internet um die Welt zu schicken. Während in den Slums des indischen Bangalore Menschen ohne Wasser und Strom in provisorischen Unterkünften vegetieren, wird wenige hundert Meter weiter Multimedia-Software für die Welt entwickelt. Morgens quäken wie seit Jahrzehnten in Hanoi im Norden Vietnams die Lautsprecher Volkserziehungsparolen durch die Straßen, während in den Büros nebenan smarte Angestellte ihre Computer hochfahren, um weltweit Waren an den Mann zu bringen.
Das sind nur einige Beispiele für die Widersprüche einer Region, die sich anschickt, mit ihrem stürmischen Wirtschaftswachstum zum Zentrum der Welt zu werden. Entwicklungen, für die das alte Europa Jahrzehnte gebraucht hat, laufen in Asien ab wie im Zeitraffer, und doch nach einem ganz eigenen Muster. Nirgendwo auf der Welt wachsen die Medienmärkte so schnell. Das gilt nicht nur für die dreistelligen Zuwachsraten des Internet. Auch das Radio behauptet sich - es könnte sogar durch die allgegenwärtigen multifunktionalen Mobiltelefone eine Renaissance erleben. Das eigentliche Massenmedium ist und bleibt vorerst jedoch das Fernsehen. Die Macht der Bilder hat die Region verändert: Zwei Drittel aller Muslime weltweit leben in Asien. Wer hätte sich für die Karikaturen einer dänischen Tageszeitung interessiert, wären sie nicht via TV bis in die hintersten Winkel der Welt verbreitet worden? Wer würde den Tiraden eines Osama Bin Laden zuhören, würden nicht seine Videobotschaften weltweit gesendet? Wenn in Palästina eine israelische Rakete Hamas-Kämpfer tötet, gehen einen Tag später in Jakarta, Islamabad und Dhaka Studenten auf die Straße und verbrennen israelische Fahnen. Kein Zweifel, das Fernsehen ist Motor des weltumspannenden Identifikationsprozesses der islamischen Welt.
Der asiatisch-pazifische Raum ist die Wachstumsregion der Zukunft. Vom zunehmenden Wohlstand profitieren Satellitenschüssel- und Fernsehhändler, Medienkonzerne und Rundfunkanbieter genauso wie die allgegenwärtigen Internetcafes. Das babylonische Stimmenkonzert, die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Informationen im Internet hat die Medien nicht freier und die Gesellschaften nicht demokratischer gemacht.
Ausgerechnet westliche Konzerne wie Yahoo und Microsoft haben mit maßgeschneiderter Software dazu beigetragen, dass die unendliche Freiheit des World Wide Web den Bedürfnissen der chinesischen Staatspartei angepasst wurde. Weniger "moderne" Machthaber - wie die in Birma - legten einfach den Schalter um, als Berichte über ihr brutales Vorgehen gegen friedliche Demonstranten um die Welt gingen und schalteten das lästige Netz ab. In Pakistan wurden während des jüngst verhängten Kriegsrechts unabhängige Sender per Regierungsorder mundtot gemacht. In Ländern wie Afghanistan und anderen zentralasiatischen Staaten stecken Medienfreiheit wie -technik noch in den Kinderschuhen.
Zwei Drittel der Menschheit haben nach wie vor keinen Zugang zu freien Medien - ein großer Teil davon lebt in Asien. Die Demokratie ist weltweit eher auf dem Rückzug. Auch im Äther über Asien ist dieser Trend spürbar. In den bevölkerungsreichen muslimischen Ländern wie Indonesien, Pakistan, Afghanistan oder Malaysia sind längst nicht mehr nur die westlichen Auslandssender präsent. Auch Anbieter aus konservativ-religiösen oder totalitären Staaten senden mehrsprachig nach Asien. Radio Teheran, Radio Riad und China Radio International gehören zu den großen Anbietern, auch Al-Jazeera hat mit einem englischsprachigen Fernsehprogramm und regional bezogenen Inhalten Asien entdeckt. Die meisten dieser Sender operieren von einer anderen Werteplattform aus als beispielsweise die BBC oder die Deutsche Welle.
Bleibt im babylonischen Stimmengewirr der boomenden asiatischen Medienwelt noch ein Platz für internationale Sender? Die Frage ist falsch gestellt. Kann es sich ein Kontinent wie Europa leisten, inmitten all der unterschiedlichen meinungsbildenden Stimmen und Bilder keine eigene Stimme zu haben, kein eigenes Bild von sich zu verbreiten? Muss nicht ein Land wie Deutschland, das seine Rolle als Exportweltmeister behaupten will und das sich bemüht, einen Sitz im Weltsicherheitsrat zu erobern, auch Platz und Stimme in den Medien weltweit haben? Kann man einen Dialog der Kulturen führen, ohne die großen Kommunikationssystem zu nutzen?
Kann der internationale Rundfunk in Asien diesen Anforderungen gerecht werden? Die Antwort darauf lautet - Ja... aber. Die Zeiten, in denen sich Menschen bereitwillig den akustischen Härten des Kurzwellenrundfunks aussetzten, nur um einen der westlichen Auslandssender zu hören, sind Vergangenheit. Wer mitspielen will im multimedialen Konzert, muss sich anpassen und die ortsüblichen Instrumente nutzen, ob sie nun Internet, Radio, Fernseher oder Mobiltelefon heißen. Lediglich in zensierten Märkten hat die traditionelle Kurzwelle eine Überlebenschance, und das auch nur, wenn die Botschaft so interessant und einzigartig ist, dass Rauschen und Fading billigend in Kauf genommen werden.
Aufgaben und Chancen des Auslandsrundfunks liegen dicht beieinander. Programme westlicher Auslandssender bieten als glaubwürdige Quelle für ungefilterte Informationen Orientierung im Dickicht des multimedialen Informationsdschungels, dienen als Werteplattform für Demokratie, Menschenrechte und Meinungsfreiheit im Dialog der Kulturen. Im Idealfall spielen Medien in westlichen Demokratien die Rolle der vierten Gewalt. Unabhängig von staatlichen Einflüssen nehmen sie gegenüber Regierung und den ausführenden Organen des Staates eine Kontrollfunktion wahr. Von diesem Selbstverständnis sind viele Anbieter in Asien noch weit entfernt. Solange das so ist, kann Auslandsrundfunk die Rolle eines Exportartikels mit Modellcharakter spielen, an dem andere Medienprodukte gemessen werden.