"Wir sprechen nicht über Alkohol, sondern über Bier", so Peter Hahn, der Geschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes. Er bringt damit eine Sorge der Branche auf den Punkt: Sie will Bier verkaufen und nicht in eine Schmuddelecke als Hersteller von alkoholischen Produkten gestellt werden. Die öffentliche Diskussion über alkoholbedingte Probleme, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, hat in alle Richtungen sensibilisiert. In diesem Beitrag wird versucht, die Hintergründe der aktuellen Auseinandersetzung um Schadensminimierung und Einschränkungen im Umgang mit alkoholischen Getränken zu beschreiben.
Anfang des Jahres 2008 lud der Deutscher Brauer-Bund seine Mitglieder zu einer "Informationsveranstaltung Alkoholpolitik" ein. Der Anlass war, die Mitgliedsfirmen auf eine Suchtpräventionskampagne "Bier bewusst genießen" einzuschwören und sie aufzufordern, der Suchtprävention in ihrem Handeln einen breiten Raum einzuräumen. Eine Reihe von Mitgliedsfirmen berichtete über entsprechende Aktivitäten mit dem Tenor: Es bringt uns Ansehen und schadet uns nicht. "Highlight" der Veranstaltung sollte ein Referat der Drogenbeauftragen der Bundesregierung, Sabine Bätzing, sein: ein Bericht über die Alkoholpolitik der Bundesregierung. (Eigentlich ist man in der Branche nicht der Meinung, etwas mit der Drogenbeauftragten zu tun haben zu müssen, da Alkohol ja keine Droge sei.) Da diese den Termin nicht wahrnehmen konnte, informierte der Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), Rolf Hüllinghorst, die leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Brauer über die Ziele einer Alkoholkontrollpolitik, wie sie auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Europäischen Union (EU) verstanden wird. Im anschließenden Gespräch wurde ein ganz entscheidender Gegensatz deutlich: Die Brauer verstehen unter Alkoholprävention auf der einen Seite eine universelle Prävention, die sich an alle Kinder und Jugendlichen richtet, auf der anderen Seite eine indizierte Prävention, mit der erreicht werden soll, dass "problematische" Konsumenten genau diese auffälligen Verhaltensweisen aufgeben. Aufgrund des politischen Drucks akzeptieren sie, dass Bier nicht an unter 16-Jährige verkauft werden soll. Die Brauer haben aber überhaupt kein Verständnis für Maßnahmen, die zu einem Rückgang des Konsums und damit auch des Umsatzes führen könnten. "Wasch mich, aber mach mich nicht nass" so könnte man die Position der Brauer beschreiben, denn sie sehen grundsätzlich keine Notwendigkeit, den Pro-Kopf-Konsum der Bevölkerung zu senken. Im Gegensatz dazu steht das Ziel der Gesundheitsorganisationen, den Pro-Kopf-Konsum an reinem Alkohol in Deutschland um mindestens zwei Liter, von zehn auf acht Liter, zu senken. Nur als Nebenbemerkung: Diese Konsumreduzierung wird in der Branche erwartet. In einem Zeitungsinterview berichtete eine Vertreterin der Radeberger-Gruppe, dass man davon ausgehe, dass der Pro-Kopf-Umsatz an Bier in den nächsten Jahren bis auf 100 Liter sinken werde (aktueller Stand 2006: 116). Und eine weitere Feststellung: Der Umsatzverlust beim Bier wird durch Zuwächse im alkoholfreien Bereich mehr als ausgeglichen.
Die schonungslose Darstellung einer wirkungsvollen Alkoholkontrollpolitik in der oben beschriebenen Veranstaltung zeigte Wirkung. "Wir müssen etwas tun..." lautete das Fazit der Funktionäre. Damit waren allerdings nicht die Zielsetzungen der Konsumreduzierung gemeint, sondern Bemühungen, staatlichen Eingriffen zuvor zu kommen. So widmete die "Getränke Zeitung" (GZ) in ihrer Ausgabe vom 7. Februar 2008 diesem Thema mehrere Seiten. In einem "Bier-Round-Table" der GZ wurde die aktuelle Situation ausführlich beleuchtet, und auf dem Titel erschien: "Wir müssen aufwachen". Das "Wir" deutete darauf hin, dass es die gesamte Getränke-Branche betreffen würde, und das "Aufwachen" stand dafür, sich verstärkt in die laufenden Diskussionen einzumischen. Konkret: Es sei an der Zeit, den Bemühungen der WHO, der EU und den entsprechenden Verbänden in Deutschland und Europa einen Riegel vorzuschieben, wenn es um ihre Forderungen nach einer Senkung des Pro-Kopf-Konsums geht.
Was war geschehen?
Im Herbst 2006 hatte die EU-Kommission eine Mitteilung lanciert, die überschrieben war: "Eine EU-Strategie zur Unterstützung der Mitgliedsstaaten bei der Verringerung alkoholbedingter Schäden". Dieses Papier 1 zeigte deutlich die Problemlage übermäßigen Alkoholkonsums auf, obwohl die Strategie in den letzten Tagen vor der Veröffentlichung noch deutlich entschärft wurde. Alle Industrieverbände gemeinsam schafften es, die angedachten Konsequenzen in Empfehlungen über die jeweils für sie zuständigen EU-Kommissare (Finanzen, Wirtschaft, Landwirtschaft) zu verwandeln. Die Zielsetzung der Mitteilung besteht nun darin, dass die Mitgliedsstaaten von einander gute Beispiele übernehmen sollten, wenn es darum gehe, den Alkoholkonsum in einem Land zu reduzieren.
Ein Werkzeug dieser EU-Strategie ist die Implementierung des Europäischen Forums "Alkohol und Gesundheit" 2 und auch die Besetzung dieses Forums war ein Lehrbeispiel für Lobbyarbeit. Der Kommission geht es darum, mit Hilfe des Forums Argumente für ihre restriktive Politik zu finden. Diese Politik ist ja nicht deshalb restriktiv, weil irgendjemand irgendetwas gegen alkoholische Getränke hat, sondern, weil die durch Alkohol verursachten Schäden den wirtschaftlichen Nutzen in der EU bei weitem übersteigen und Alkohol insgesamt dazu beiträgt, die Lebensqualität zu reduzieren und das durchschnittliche Lebensalter zu verringern. Die Konsequenz wäre, nur Vertreterinnen und Vertreter von Gesundheitsorganisationen zu berufen. Jetzt ist das Forum etabliert und es treffen sich dort auf der einen Seite Vertreterinnen und Vertreter von Nicht-Regierungsorganisationen des Gesundheitsbereiches, aber auch von den Zusammenschlüssen der Brauer, Brenner und Winzer sowie der multinationalen Konzerne.
Wenngleich es der Alkoholindustrie gelungen ist, ihre Mitarbeiter in diesem Forum zu platzieren, so können sie nicht mehr verhindern, dass über Alkohol mit der Zielsetzung gesprochen wird, dessen Konsum in Europa insgesamt zu reduzieren. (Die Lobbyarbeit aller Organisationen bei der Besetzung der Unterausschüsse (für Jugend und für Marketing) und des wissenschaftlichen Beraterkreises zu beschreiben - das wäre Stoff für einen weiteren Artikel. Das wäre aber vermutlich nicht "alkoholspezifisch", sondern beschriebe lediglich den Lobbyismus generell.)
Im EU-Forum Alkohol und Gesundheit sind natürlich auch die Europäischen Agenturen der Werbewirtschaft Mitglieder; in der Arbeitsgruppe Marketing ist der Deutsche Zentralausschusses der Werbewirtschaft (ZAW) vertreten. Auch hier: Frust, dass man sich mit der Rolle des Alkohols beschäftigen muss, ständiges freundliches Arrangieren, um Schlimmeres zu verhindern und - auch das ein übliches Spielchen im Lobby-Betrieb - das Anzweifeln von Methoden der Untersuchungen, deren Ergebnisse nicht so sind, wie man sie gerne hätte.
Erste Zusammenfassung
Das Alkohol produzierende Gewerbe und die Werbewirtschaft sind hoch sensibilisiert, wenn es um das Thema Alkohol geht. Sie haben dabei alle Erfahrungen im Kopf, welche die Tabakindustrie machen musste. Erinnert sei hier an die Verteuerung der Zigaretten, an die Einschränkungen in der Verfügbarkeit und das Verbot bestimmter Werbung. So ist es das eindeutige Ziel der Industrie, auf der einen Seite den bisherigen Umsatz zu halten, keine Einschränkungen wie die Tabakindustrie hinnehmen zu müssen, aber auf der anderen Seite der Politik zu signalisieren: "Wir sind bereit etwas zu tun, wir sind auf ihrer Seite."
Alkohol ist ein gefährliches Produkt. Wenn Alkohol heute das übliche Verfahren zur Zulassung als Medikament durchlaufen müsste, würde es sicher wegen seiner vielen Wirkungen zugelassen werden - sich dann aber im Betäubungsmittelgesetz wiederfinden, wahrscheinlich in Anlage 3: Verschreibungsfähig unter allen Restriktionen des Betäubungsmittelgesetzes und der Betäubungsmittel Verschreibungs-Verordnung. Nur die lange Geschichte des Umgangs mit alkoholischen Getränken in unserer Gesellschaft ist der Grund für die aktuelle Zuordnung zum Lebensmittelrecht. Gründe, welche die Gefährlichkeit des Suchtmittels Alkohol beschreiben: 1. Alkohol ist eine toxische Substanz, die nahezu alle menschlichen Organe schädigen kann und mehr als 60 verschiedene akute und chronische Krankheiten verursacht. 2. Alkohol ist ein Stoff, der das Potential für Abhängigkeit in sich birgt wie jede andere Droge auch. Es gibt bisher keine Möglichkeit festzustellen, ob jemand ein biologisch erhöhtes Risiko hat, alkoholabhängig zu werden oder nicht. 3. Alkohol ist eine wichtige gesundheitliche Determinante. Nach Bluthochdruck und Tabakkonsum bietet Alkoholkonsum das dritthöchste Risiko für Krankheit und vorzeitigen Tod. 4. Alkohol schädigt Menschen, die selbst keinen Alkohol trinken. In Deutschland werden jährlich ca. 3 000 Kinder mit fetalem Alkoholsyndrom, auch Alkoholembryopathie genannt, geboren. Jährlich geschehen über 50 000 Verkehrsunfälle, bei denen Alkohol im Spiel ist. Bei über 20 000 davon kommt es zu Personenschäden. Fast jede dritte Gewalttat in Deutschland wird unter Alkoholeinfluss begangen. Ca. 2,65 Millionen Kinder von Alkholabhängigen bzw. missbrauchenden Eltern werden durch den Alkoholkonsum ihrer Eltern für ihr zukünftiges Leben negativ geprägt und in ihren gesellschaftlichen Chancen beeinträchtigt. 5. Alkohol ist eine Ursache für gesundheitliche Ungleichheit. Obwohl ärmere Menschen häufiger abstinent leben als reichere, haben sie insgesamt gesehen ein höheres Risiko, eine Alkoholabhängigkeit zu entwickeln oder Alkohol zu missbrauchen. 6. Alkohol verursacht ökonomische Kosten, die höher sind als der mögliche ökonomische Nutzen. Allein die Kosten, die durch alkoholbezogene Krankheiten verursacht werden, werden in Deutschland pro Jahr auf ca. 20 Milliarden Euro geschätzt. Hinzu kommen Kosten von alkoholassoziierten Delikten, die etwa der Polizei, Gerichten, Gefängnissen und Versicherungen entstehen, sowie Kosten durch Produktivitätsverluste aufgrund alkoholassoziierter Fehlzeiten und Arbeitslosigkeit.
Am 23. April 1975 beschlossen die für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren des Bundes und der Länder, ein "Aktionsprogramm zur Verhütung und Eindämmung des Alkoholmissbrauchs". Das war vor dem Hintergrund des ständigen Anstiegs des Alkoholkonsums (1960: 7,8 l, 1970: 11,2 l) auch dringend erforderlich. Dennoch verschwanden die Pläne nach nur wenigen eingeleiteten Maßnahmen im Bereich der Primärprävention in den Schubladen und der Alkoholkonsum stieg 1980 auf den höchsten Stand in der Deutschen Geschichte: 12,9 Liter trank der Bundesbürger im Schnitt, alle Kinder und Greise mitgerechnet.
Ein weiterer Anlauf wurde 1997 gemacht - wieder waren es die Gesundheitsminister und -senatoren, die diesen starteten. In ihrer 70. Konferenz in Saarbrücken - Horst Seehofer war Bundesminister für Gesundheit - verabschiedeten sie eine Entschließung zu einem vorab erstellten Aktionsplan Alkohol. Diese Papiere bzw. Hinweise, die vor allem auf den Bemühungen des Regionalbüros Europa der WHO beruhten, wurden schon wesentlich ernster genommen. Die Bedeutung dieses Aktionsplans bestand im in erster Linie darin, dass das Thema auf die politische Agenda gesetzt worden war, ungeachtet erheblicher Bedenken, wonach man "das Alkoholproblem doch nicht so hoch hängen solle".
Jetzt plant die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, einen neuen Anlauf, um insbesondere den Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen einzudämmen und die alkoholbedingten Risiken, Probleme und Störungen zu reduzieren. Die Drogenbeauftragte wird durch einen Drogen- und Suchtrat beraten, 3 dem Vertreter aller relevanten Ministerien, die entsprechenden Länderkonferenzen und Fachleute aus dem Bereich der Sozialleistungsträger, der Wissenschaft, der Suchthilfe und der Selbsthilfe angehören. Dieser wiederum gab seinem Unterausschuss Prävention den Auftrag, alle Fakten darüber zusammenzutragen, wie der Alkoholkonsum in Deutschland reduziert werden könnte. Daraus ist ein umfassendes Papier entstanden: "Empfehlungen für ein Nationales Aktionsprogramm zur Alkoholprävention".
Alle Vorlagen des Drogen- und Suchtrates werden in den entsprechenden Gremien auf der Ebene der Bundesländer vorberaten. Spätestens dann gibt es in den Beratungen keine Vertraulichkeit mehr. Die Wege zu den Industrieverbänden sind kurz. Und es begann eine öffentliche Diskussion, ohne dass die interne bereits stattgefunden hatte. Der Zentralausschuss der Werbewirtschaft reagierte mit einem eigenen Positionspapier. Dabei ging es ihm natürlich in erster Linie um die Rolle der Alkoholwerbung. Der Entwurf für ein Aktionsprogramm sieht unter Punkt 4.6 eine "Senkung des Alkoholkonsums durch gesetzliche Maßnahmen" vor. Erläuternd wird ein "Alkohol-Werbe-Kontrollgesetz" vorgeschlagen, mit dem zum Beispiel auf dem Verordnungswege Alkoholwerbung in den Medien untersagt werden kann, die über Produktinformationen hinausgeht. Wie bedrohlich allein die Formulierung in einem noch nicht beratenen Arbeitspapier für die Werbewirtschaft - vielleicht aber auch nur für einige in langen Dienstjahren dünnhäutig gewordene Funktionäre - ist, bewiesen die Reaktionen. "Werbung der Wirtschaft: Nach dem Tabak nun der Alkohol", so lautete die markige Überschrift der Pressemeldung des ZAW am 11. März. Als Dreingabe gab es ein umfangreiches Argumentationspapier, in dem interpretiert und häufig haarscharf daneben argumentiert wurde. Wie bedroht sich der ZAW fühlte, zeigt sich daran, dass die Werbewirtschaft Mitglieder des Drogen- und Suchtrates zu diffamieren versuchte und der Drogenbeauftragten unterstellte, sich auf "Einflüsterer" zu verlassen. Eine im Lobbygeschäft eher selten genutzte Variante - man muss schon sehr mit dem Rücken zur Wand stehen.
Das war erst der Anfang
Außenstehenden werden die Zusammenhänge in der Wirtschaft erst dann deutlich, wenn sie selbst betroffen sind. Erst dann wird transparent, wie weit das Zusammenspiel in der Wirtschaft geht und wie stark die Interessen miteinander verflochten sind. So dauerte es nicht lange, bis sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zu Wort meldete. Hier ging es dann nicht mehr allein um die Werbung für alkoholhaltige Getränke, sondern hier wurde nun die freie Marktwirtschaft generell ins Feld geführt. In das gleiche Horn bliesen dann die weiteren Verbände, wie der Hauptverband des deutschen Einzelhandels oder der Bundesverband der Deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverleger.
Natürlich ist es auch nicht im Interesse der Gesundheitsorganisationen, dass sich die Bundesrepublik vom Prinzip der sozialen Marktwirtschaft entfernt. Dies geschieht dann, wenn der mündige Bürger keine Möglichkeiten der Auswahl und der Information mehr hat. Deshalb kommt man bei einer Diskussion um die Freiheit der Marktwirtschaft immer wieder zu dem Ergebnis, dass mit Einschränkungen sehr sorgsam umzugehen ist. Doch die Diskussion muss auf die einfache Frage zurückgeführt werden: Sind alkoholhaltige Getränke gefährliche Produkte? Diese Frage mit "Ja" zu beantworten, dafür gibt es gute Gründe.
Das bestreiten die Verbände der Alkoholwirtschaft vehement. Sie bestehen darauf, dass es sich bei den von ihnen hergestellten alkoholischen Getränken um normale Konsumgüter, ja Kulturgüter handelt. Dazu nur ein Beispiel: Brauer, Brenner und Winzer sind sich einig, dass "Alkohol ein ungefährliches Produkt" sei. "Bier bewusst genießen", so lautet eine Aussage im Kodex der Deutschen Brauer. Aber genau hier fängt es an. Alkoholabhängige Menschen können Bier nicht bewusst genießen, sie sind abhängig von einem Zellgift, das schwerwiegende Folgen physischer und psychischer Art hat. Hier führt der Weg zum Kern der Diskussion über die gesellschaftliche Bewertung: Die Brauer publizieren es immer wieder: "Alkohol ist gesund". Doch dafür gibt es keinerlei Belege. Die Brauer sprechen immer wieder davon, dass "mehr als 95 Prozent der Bevölkerung ´verantwortlich` trinken, mit Alkohol umgehen könnten". Das ist falsch, denn auf der einen Seite gibt es mehr als vier Millionen Menschen in Deutschland, die keinen Alkohol trinken - zu einem großen Teil deshalb, weil sie ehemals abhängig waren, und darüber hinaus gibt es weitere zehn Millionen Menschen, die einen riskanten Konsum pflegen. Das bedeutet, dass sie täglich mehr Alkohol trinken als gesundheitlich unbedenklich ist.
Das Robert Koch Institut hat im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung des Bundes gerade Heft 40, Alkoholkonsum und alkoholbezogene Störungen, vorgelegt. Ein Fazit dieses interessanten Berichtes lautet: "Etwa 22 % der 18 bis 59 Jahre alten Erwachsenen trinken Alkohol in einem Ausmaß, in dem auf Dauer physische, psychische und soziale Schäden zu erwarten sind. 4 5 oder 22 Prozent - dazwischen liegen Welten. Aber geht es überhaupt um diese Relation? Geht es nicht um die Verantwortung für all die Menschen, die Problem im Umgang mit dem Alkohol haben? Und geht es nicht vor allen Dingen auch um die Kinder und Jugendlichen, die sich trinkende Erwachsene zum Vorbild nehmen und damit in eine Trinkkultur hineinwachsen, welche die Gesellschaft bedroht?
Sowohl in der Diskussion als auch in der Bewertung geht es immer wieder um die gleiche Frage: Steht die Senkung des Pro-Kopf-Konsums im Mittelpunkt der politischen Bemühungen, weil dadurch sichergestellt werden kann, dass die alkoholbedingten Schäden insgesamt reduziert werden können, oder geht es darum, den Einzelnen zu einem möglichst vernünftigen Trinkverhalten zu bringen? Abgesehen einmal von dem generell hohen Risikopotential alkoholischer Getränke muss man zur Kenntnis nehmen, dass 10 Prozent der Bevölkerung - und das sind die 10 Prozent, die nicht oder nur schlecht mit dem Alkohol umgehen können - 50 Prozent der alkoholischen Getränke konsumieren. Das bedeutet: Wenn die Brauer, Brenner und Winzer ihre Produkte nur an diejenigen verkaufen würden, die vernünftig damit umgehen, so würde das einen Umsatzrückgang von 50 Prozent bedeuten. Fünf Liter Alkohol pro Kopf der Bevölkerung - das wäre für Menschen im Gesundheitsbereich ein Traum. Damit wären die Risiken, Probleme und Störungen drastisch reduziert. Aber genau dies ist für Hersteller, Verteiler und Werbewirtschaft ein Alptraum. Diese (Umsatz-)Zahlen erklären am deutlichsten, warum aktuell so massiv gestritten wird.
Lobbying bedeutet, Positionen zu vertreten im Wissen darum, dass Dritte - meist die Politik - entscheiden. Daher geht es letztendlich immer um Kompromisse. Der Kompromiss in Deutschland muss darauf hinauslaufen, dass - der Gesamtkonsum alkoholischer Getränke in den nächsten Jahren um zwei Liter reduziert wird; - Kinder später mit dem Alkoholkonsum beginnen und - die Zahl der Abhängigen und insbesondere der durch Abhängigkeit mitbetroffenen Familienmitglieder massiv reduziert wird.
Hier soll nicht ganze Palette der politisch sinnvollen und wirksamen Maßnahmen aufgeführt werden, sondern es sollen nur zwei Aspekte herausgestellt werden.
Werbung: Bereits jetzt gibt es "Verhaltensregeln des Deutschen Werberates über die kommerzielle Kommunikation für alkoholhaltige Getränke". Darin ist festgelegt, auf welche Werbeformen und Werbearten bei der Werbung für alkoholische Getränke verzichtet werden soll. Bei Nichtbefolgung dieser Regel können Wettbewerber oder Bürger intervenieren und sich beschweren. Über Beschwerden allerdings entscheidet der Zentralausschuss der Werbewirtschaft selbst und allein. Hier werden sich drei Dinge ändern müssen: Es gilt 1. die Regeln massiv zu verschärfen; 2. die Überprüfung zu demokratisieren, das heißt auch, dass Außenstehende in das Kontrollgremium aufgenommen werden müssen, und 3. eine Sanktionierung zu ermöglichen.
Die Werbewirtschaft hat aktuell zwei Möglichkeiten: Sie hat die Chance, diese Änderungen selbst freiwillig vorzunehmen oder sie kann auf weitergehende gesetzliche Vorschriften warten.
Alkoholverkauf: Wenngleich es Unterschiede in der Bewertung alkoholischer Getränke gibt, so könnte man sich darauf einigen, dass es sich um ein "besonderes" Konsumgut handelt. Das bedeutet, dass beim Verkauf bedeutend mehr Sorgfalt an den Tag gelegt werden müsste. Es gilt sicherzustellen, dass nicht an unter 16- bzw. 18-Jährige verkauft wird und dass Wirte erkennbar alkoholisierten Gästen nicht nachschenken. Gleichzeitig muss aber auch akzeptiert werden, dass es Situationen gibt, bei denen für alkoholhaltige Getränke eine Null-Toleranz gilt. Das betrifft zum Beispiel den Straßenverkehr, und das muss auch für Tankstellen und Raststätten gelten. Kein Alkoholverkauf an Tankstellen muss das Ziel sein - der Kompromiss wird darin liegen, dass der Verkauf zeitlich limitiert wird.
Die Liste der notwendigen Maßnahmen und der zu erreichenden Kompromisse kann beliebig verlängert werden. Vor der Einigung steht jedes Mal der Kampf um "Gut" und "Böse".
1 Vgl.
http://ec.europa.eu/health/ph_determinants/life_style/alcohol/documents/alcohol_com625_de.pdf
2 Vgl.
http://ec.europa.eu/health/ph_determinants/life_style/alco
hol/Forum/alcohol_forum_en.htm
3 Vgl. http://www.bmg.
bund.de/cln_040/nn_604820/DE/Presse/Pressemitteilungen/Archiv/Presse-Drogenbeauftragte-2006/pm-7
- 3-06.html
4 Vgl.
http://www.rki.de/cln_049/nn_199850/DE/Content/GBE/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsT/alkoholkonsum.html