Für mehr als zehn Millionen Menschen in Deutschland wird ein Behandlungs- oder zumindest ein Beratungsbedarf zu alkoholbezogenen Störungen veranschlagt. Die bekannten Prävalenzraten 1 von ca. 1,6 Millionen akut Alkoholabhängigen sind eher konservative Schätzungen, welche die "unterste Grenze" der Prävalenzen angeben. Methodisch bedingt, sind in der zu Grunde liegenden "Bundesstudie" sehr schwer Kranke mit schlechtem sozialem Funktionsniveau unterrepräsentiert. Daher wird bei Analysen des Versorgungsbedarfs meist von zwei Millionen Alkoholabhängigen in Deutschland ausgegangen. Der Anteil der tatsächlich einer spezifischen suchtmedizinischen Behandlung zugeführten Alkoholabhängigen liegt bislang unter zehn Prozent. Die überwiegende Mehrheit der Alkoholabhängigen in Behandlung findet sich in den Allgemeinkrankenhäusern (30-35 %) und in den Praxen niedergelassener Ärzte (70-80 %), wo in der Regel die alkoholbedingten Folgererkrankungen und nicht die zugrunde liegende Suchterkrankung behandelt werden.
Alkoholkonsum führt zu akuten gesundheitlichen Störungen (Intoxikation, Alkoholentzugssyndrom, Delir, Krampfanfall etc.) und zu chronisch degenerativen Alkoholfolgekrankheiten (äthyltoxische Leberzirrhose, Polyneuropathie, Hirnatrophie etc.). Die Stadien im Verlauf der Abhängigkeit und die körperlichen Folgen von Alkohol entwickeln sich dabei offensichtlich geschlechtsspezifisch unterschiedlich schnell (Teleskop-Effekt). Bildgebende Untersuchungen zu der neurotoxischen Alkoholwirkung sprechen für eine erhöhte Vulnerabilität 2von Frauen.
Die Betrachtung der medizinischen Folgen wird zunehmend um den Blick auf die öffentliche Gesundheit mit epidemiologischen und ökonomischen Aspekten erweitert. Benutzt man die von der Weltgesundheeitsorganisation WHO propagierte Zusammenfassung aller Krankheitslast in das Maß der "DALYs" (Disability adjusted life years), welches Mortalität und Morbidität berücksichtigt und die durch Behinderung oder Tod verlorenen Lebensjahre beschreibt, so nehmen der Tabakkonsum mit 12,2 Prozent und der Alkoholkonsum mit 9,2 Prozent in den Industrienationen die Plätze 1 und 3 der Ursachen für die Krankheitslast ein.
Vom Bundesministerium für Gesundheit wurden einmalig für das Jahr 1995 die Kosten alkoholbezogener Störungen erhoben. Auf der Basis dieser Daten ergeben sich 8,1 Milliarden Euro direkte Kosten (Behandlung, unterstützende Maßnahmen) für die Versorgung Alkoholkranker inklusive der Alkoholfolgekrankheiten - und damit annähernd so viel wie für die Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen und Neoplasien 3 zusammengenommen. Zusammen mit den indirekten Krankheitskosten (Produktionsausfälle durch Arbeitsunfähigkeit, Rehabilitation, Frühberentung, Mortalität) von 11,9 Milliarden Euro betragen die Gesamtkosten damit rund 20 Milliarden Euro pro Jahr.
Das ideale suchtmedizinische Konzept sollte mit niedriger Zugangsschwelle möglichst viele Betroffene und diese möglichst früh erreichen bzw. sollte aktiv auf diese zugegangen werden, noch bevor sie gesundheitlich und sozial "am Boden angekommen" sind. Das Konzept muss an die Schwere der Suchterkrankung, an das Krankheitsbewusstsein und an die Veränderungsmotivation angepasst sein sowie wirksam und wirtschaftlich funktionieren. Um spätere Folgen zu vermeiden und die Dauer der Erkrankung zu verkürzen, ist es wichtig, dass Gefährdete und Betroffene über Früherkennung und Frühintervention zahlreicher und früher erreicht werden. Die Maßnahmen der traditionellen suchtmedizinischen Versorgung schwer kranker Alkoholabhängiger sind für das Klientel, welches einer sekundären Prävention bedarf, zumeist ungeeignet, da dies bereits Problembewusstsein und Motivation zur Behandlung voraussetzt. Davon abgesehen kann das traditionelle suchtmedizinische Versorgungssystem aufgrund des hohen Aufwandes nicht einmal den Versorgungsbedarf der schwer Abhängigen decken.
Die überwiegende Mehrheit der Menschen mit Alkoholproblemen findet sich in den Einrichtungen der medizinischen Primärversorgung (Allgemeinkrankenhäuser und niedergelassene Ärzte). Repräsentative Stichprobenuntersuchungen internistischer und chirurgischer Stationen im Allgemeinkrankenhaus haben gezeigt, dass bei 12,7 Prozent der Patienten eine aktuelle und bei 2,6 Prozent eine remittierte Alkoholabhängigkeit, 4 bei 4,8 Prozent ein schädlicher Alkoholgebrauch zu diagnostizieren ist. Damit sind ein Fünftel der Krankenhausbetten auch "Suchtbetten" und potentielles Ziel von Frühinterventionen. Der Aufenthalt in Einrichtungen der primärmedizinischen Versorgung bietet sich für die Initiierung einer weiterführenden suchtmedizinischen Diagnostik und Therapie an. Tatsächlich erfolgen aber nur sehr wenige Zuweisungen von primärmedizinischen an suchtmedizinisch spezialisierte Einrichtungen. Betroffene im Vor- oder im Frühstadium stellen die größte Teilgruppe aus der Gesamtpopulation der Alkoholkranken; ihre Versorgung ist qualitativ und quantitativ am schlechtesten. Daher wird auch von der "vergessenen Mehrheit" gesprochen.
Kurzinterventionen (Brief Interventions) gehen über einen einfachen Ratschlag hinaus und umfassen maximal vier Beratungseinheiten mit einer Gesamtdauer von nicht mehr als 60 Minuten. Hauptzielgruppen sind Betroffene mit riskantem Konsum und schädlichem Gebrauch, Betroffene in der frühen Phase der Abhängigkeitsentwicklung und solche mit meist noch geringer Motivation zu einer Verhaltensänderung. Deswegen wird häufig auch der Begriff Frühintervention benutzt, obwohl die Kurzintervention auch in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium eingesetzt werden kann. Ziele der Kurzintervention variieren; sie reichen von Konsumreduktion bei riskantem Konsum bis zu Überführung in eine Akutbehandlung bei schweren alkoholbezogenen Störungen. Kurzinterventionen zeigen auf Evidenzniveau la ("la" steht für Metaanalyse randomisierter Studien), dass sich der Alkoholkonsum signifikant reduzieren lässt, wobei Frauen eventuell mehr davon profitieren als Männer. Die Kurzintervention hat überwiegend beratenden Charakter und besteht aus folgenden Elementen: 1. Vermittlung von Informationen über die generell möglichen Folgen des Alkoholkonsums; 2. Bestimmung der individuellen,&smiley; schon eingetretenen oder drohenden &smiley;Folgen des Alkoholkonsums. Wichtig ist, dass Betroffene selbst einen Zusammenhang zwischen ihrem Alkoholkonsum und ihren Problemen herstellt. Folgen, welche Betroffene als akut und irreversibel einschätzt, werden in der Regel auch besonders bedrohlich erlebt. 3. Erarbeitung von Diskrepanzen zwischen den langfristigen Zielen (z.B. Abwehr der drohenden Probleme) und dem derzeitigen Verhalten; 4. "Anbindung" an den Arzt oder Berater zur Förderung der Auseinandersetzung mit dem Alkoholproblem und Anbieten von Anlaufstellen suchtspezifischer Hilfe. Die Anbindung ist nicht an eine Entscheidung zur Veränderung des Alkoholkonsums gebunden.
Diese Elemente werden von der "Motivierenden Gesprächsführung" (Motivational Interviewing) aufgegriffen. Die Motivierende Gesprächsführung ist eine für substanzabhängige Menschen entwickelte standardisierte Intervention, die besonders für nicht oder wenig Motivierte geeignet ist. Eine aktuelle Metaanalyse zu randomisierten Studien über Motivierende Gesprächsführung konnte deren hohe Effektivität erneut bestätigen.
Wesentliche Merkmale sind eine empathische Grundhaltung mit Verzicht auf Konfrontation, Förderung der Veränderungsbereitschaft, Aufbau von Vertrauen in die Selbstwirksamkeit und die Vereinbarung von gemeinsam festgelegten Behandlungszielen. Die Motivierende Gesprächsführung integriert mehrere komplexe therapeutische Techniken mit offenen, nicht wertenden Fragen, reflektierendem Zuhören, positiver Rückmeldung und regelmäßiger Zusammenfassung, deren Beherrschung eine Schulung voraussetzt. Für die Kurzintervention im Rahmen der medizinischen Primärversorgung ist deswegen das "Behavior Change Counseling", eine weniger aufwändige Abwandlung des Motivational Interviewing, leichter zu implementieren.
Gegen alle Zweifel haben sich die Wirksamkeit und das günstige Kosten-Nutzen-Verhältnis von Kurzinterventionen im Rahmen der medizinischen Primärversorgung bestätigt. Eine Metaanalyse zeigt, dass bereits eine hausärztliche Maßnahme wie Information, Aufklärung und Ratschlag von maximal 30-minütiger Dauer bis zu 50 Prozent der Patienten veranlasst, den Alkoholkonsum zu reduzieren. Effekte einer Kurzintervention lassen sich bis zu 48 Monate nach Durchführung nachweisen.
Die Qualifizierte Entzugsbehandlung
Die Versorgung von Alkoholkranken kann durch eine therapeutische Nutzung der Phase der körperlichen Entgiftung entscheidend verbessert werden. Anstatt den Entzug im Rahmen einer ausschließlichen körperlichen Entgiftung passiv zu erleiden, kann er aktiv genutzt und gestaltet werden. Unter dem Titel "Keine Entgiftung ohne psychotherapeutische Begleitung" wurde die Konzeptualisierung dieser Ideen vorgestellt . Für diese erweiterte Entgiftung als moderne Akuttherapie hat sich der Begriff "qualifizierte Entzugsbehandlung" durchgesetzt.
Neben einer differenzierten, somatisch gut fundierten Diagnostik sowie Behandlung der Entzugssymptome, der körperlichen Begleiterkrankungen und der Folgeerkrankungen wird über gezielte psychoedukative und psychotherapeutische Ansätze Motivationsarbeit geleistet. Merkmale dieser Maßnahmen sind das Fehlen abwehrender Aufnahmeprozeduren, prüfender Schwellen oder abwertender Konfrontationen. Die körperliche Entzugssituation wird als Chance aufgefasst, hinreichende Krankheitseinsicht zu erreichen. Diese wird über verschiedene Motivationsstrategien verstärkt und soll zur Bereitschaft und Fähigkeit des Patienten führen, eine weiterführende Behandlung anzutreten. Die Behandlungsdauer für diesen therapeutischen Prozess ist auf ca. drei Wochen anzusetzen. Innerhalb dieser erweiterten akuten Behandlung kann auch das protrahierte, also verzögerte Entzugssyndrom mit seiner erhöhten Rückfall- und Suizidgefährdung besser beherrscht werden.
Der Erfolg der Qualifizierten Entzugsbehandlung zeigte sich nicht nur über die günstige Veränderung des Trinkverhaltens, sondern auch über eine Senkung der Kosten aufgrund signifikant geringerer Inanspruchnahme von Krankenbehandlungen in der Folgezeit. Eine zusammenfassende Darstellung findet sich in dem Manual "Qualifizierte Entzugsbehandlung von Alkoholabhängigen: ein Manual zur Pharmako- und Psychotherapie".
Die Rehabilitation von Alkoholabhängigen
Diese Form der Behandlung wird von rund 25 000 Betroffenen pro Jahr stationär in Anspruch genommen. Ambulant werden rund 7000 Menschen behandelt. Der Behandlungserfolg ist wiederholt überprüft und nachgewiesen worden. Letztlich kommt es aber trotz dieser intensiven Interventionen bei ca. 40 bis 60 Prozent der Patienten innerhalb von ein bis zwei Jahren zu einem Rückfall. Zudem kommt bislang pro Jahr nur ca. ein Prozent aller Alkoholabhängigen überhaupt zu einer stationären Entwöhnungsbehandlung. Dies verdeutlicht die Bedeutung von zusätzlichen Behandlungsmöglichkeiten in der Postentzugs- und Entwöhnungsphase.
Die psychotherapeutische Suchtbehandlung erfährt erst in den letzten Jahren eine zunehmende Evidenzbasierung. Nach einer Zusammenfassung von aktuellen Übersichtsarbeiten, die Evidenzen für die Wirksamkeit unter Berücksichtigung der methodischen Qualität beurteilen, erreichen Motivationssteigerungsansätze, kognitiv verhaltenstherapeutische Bewältigungsstrategien, soziales Kompetenztraining, Paar- und Familientherapie, Reizexposition und gemeindenahes Verstärkermodell das Evidenzniveau Ia. Eindeutige Unterschiede in der Effektstärke fanden sich allerdings nicht. Passend dazu sind die Ergebnisse der "MATCH"-Studie, der weltweit größten Psychotherapiestudie mit Alkoholabhängigen. Sie vergleicht eine an das 12-Stufen-Programm der Anonymen Alkoholiker angelehnte Therapie mit einer kognitiven Verhaltenstherapie und einer Motivationstherapie. Alle drei Ansätze zeigten den gleichen guten Erfolg.
Selbstverständlich sollte auch eine Psychotherapie soweit wie möglich auf die individuelle Situation des jeweiligen Patienten abgestimmt werden. Sie wurde in der neu formulierten Alkohol-Spezifischen-Psychotherapie ASP aufgeführt. - Der persönliche therapeutische Kontakt sollte noch in der Krisensituation so früh wie möglich hergestellt werden. - Die psychotherapeutischen Interventionen sollten auf die Abhängigkeitserkrankung fokussieren. - Überschaubaren konkreten Zielen ist der Vorzug gegenüber weit entfernten, abstrakten und überhöhten Ansprüchen zu geben. - Therapeuten haben die Aufgabe, aktive Hilfestellung zur Bewältigung der unmittelbar anliegenden, konkreten Probleme zu leisten. Die "zufriedene Abstinenz" ist zwar das übergeordnete Ziel, gerade aber bei schwer abhängigen Patienten ist diese erst über einen monate-, oder sogar jahrelangen Prozess erreichbar, der therapeutisch unterstützt werden muss. Die Förderung der Bereitschaft, weitere Hilfe anzunehmen ist deswegen zentrales Therapieziel der "Motivationstherapie". - Generelle Informationen über die Krankheit werden mit der persönlichen Betroffenheit des Patienten verbunden. Konkrete pathologische Befunde, &smiley; aber auch deren Rückbildung unter Abstinenzbedingungen &smiley; werden erörtert. - Informationen über weitere Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere ambulante oder stationäre Entwöhnungsbehandlungen werden vermittelt und die nächsten Schritte vereinbart, die solche Maßnahmen einleiten.
Zur Pharmakotherapie bei Alkoholabhängigkeit können in Kombination mit psychotherapeutischen/psychosozialen Maßnahmen so genannte "Anticraving-Substanzen", auch im Rahmen der medizinischen Primärversorgung, eingesetzt werden.
Disulfiram (z.B. Antabus®), welches nicht zur generellen Anwendung empfohlen wird, hat allerdings unter strenger Indikationsstellung, Abwägung der potenziellen Risiken und kontrollierten Rahmenbedingungen einen Platz in der medikamentösen Unterstützung der Abstinenz, insbesondere wenn andere Möglichkeiten der Rückfallprophylaxe bereits ausgeschöpft sind. Neben der bekannten aversiven Wirkung wird aktuell ein Einfluss auch auf das Craving, also das Verlangen oder die Begierde, diskutiert. Geprüfte und etablierte so genannte Anti-Cravingsubstanzen stehen inzwischen zur Verfügung. In der Schweiz und Deutschland zugelassen in dieser Indikation ist das Acamprosat (z.B. Campral®), in anderen EU-Staaten und den USA ist daneben auch Naltrexon in dieser Indikation zugelassen.
Acamprosat ist ein Kalzium-Bis-Acetyl-Homotaurinat. Die Effekte auf die NMDA-Rezeptoren im Zentralnervensystem scheinen für die rückfallprophylaktische Wirkung von Bedeutung zu sein. Bei chronischem Alkoholkonsum kommt es im Sinne einer Gegenregulation gegen die akute hemmende Wirkung des Alkohols auf die exzitatorische glutamaterge Neurotransmission zu einer generell erhöhten Aktivität des glutamatergen Systems. Acamprosat bindet an den NMDA-Rezeptor und hemmt so die gesteigerte Exzitabilität, also Erregbarkeit, der Nervenzellen. Nach tierexperimenteller Bestätigung wurde der Acamprosat-Effekt bei der Alkoholabhängigkeit auch in zahlreichen kontrollierten klinischen Studien überprüft. Evidenzbasierte Übersichtsarbeiten bestätigen die Wirksamkeit von Acamprosat auf Abstinenzrate und Anzahl trinkfreier Tage und empfehlen deshalb den klinischen Einsatz.
Für die Beurteilung von Acamprosat im Versorgungssystem von Deutschland empfiehlt sich der Blick auf die Daten der methodisch anspruchsvollen Acamprosat-Studie von Sass. 5 In dieser placebokontrollierten Untersuchung von 272 Patienten mit einer Behandlungsdauer von 48 Wochen nach stationärem Entzug und einem Follow-up über 48 Wochen zeigte sich eine Verdoppelung der Abstinenzrate unter Acamprosat gegenüber Placebo (43 vs. 21 Prozent), die auch in der anschließenden Nachbeobachtungsphase fortbestand (39 vs. 17 Prozent). Darüber hinaus blieben die mit Acamprosat behandelten Patienten unabhängig vom Verlauf (Rückfall oder Abstinenz) signifikant länger in der Studie. Acamprosat wirkt bei der Alkoholabhängigkeit besonders dann, wenn begleitend psychotherapeutische bzw. psychosoziale Maßnahmen stattfinden, wobei sich bislang keine der verschiedenen Methoden der anderen überlegen zeigen konnte. Das Medikament wurde auch in Österreich mit Erfolg geprüft.
Eine aktuelle Metaanalyse fasst die vorhandenen Daten zusammen und kommt zu einem "relativen Risiko" von etwa 1,5 bzw. einer number needed to treat von 7,5. Weitere Forschungsanstrengungen sind darauf gerichtet, die Subgruppen von Patienten zu identifizieren, für die spezifische medikamentöse Behandlungsansätze besonders geeignet sind. Da Acamprosat und Naltrexon an verschiedenen Neurotransmittern wirken, könnten neurobiologische Eingangsuntersuchungen Hinweise auf spezifische Prädiktoren für das Ansprechen auf diese Medikamente geben. Die Kombination der Substanzen Naltrexon und Acamprosat stellt eine weitere potentielle Möglichkeit zur Verbesserung der bislang unter Monotherapie erzielten Resultate dar. Mit dieser Kombination konnte eine signifikante weitere Steigerung der Abstinenzrate um 10- bis 20 Prozent gegenüber den Einzelsubstanzen nachgewiesen werden .
Naltrexon ist ein -Opiat-Rezeptor-Antagonist, der dem Alkohol-Craving entgegenwirken soll. Man geht davon aus, dass die endorphinvermittelten subjektiv angenehmen und positiv verstärkenden Effekte von Alkohol gehemmt werden.
Tierexperimentell konnte der alkoholantagonistische Effekt von Naltrexon nachgewiesen werden. Mehrere placebokontrollierte Studien bestätigen diesen Effekt auch beim Menschen, wobei sich Naltrexon als Rückfallprophylaxe besonders in Kombination mit begleitenden psychotherapeutischen Maßnahmen wirksam zeigte. Andere große Studien fanden keine Überlegenheit von Naltrexon gegenüber Placebo, was bei Gastpar 6 eventuell auf eine hohe Placeboresponse, bei anderen auf ein spezielles Patientenkollektiv mit Komorbiditäten zurückgeführt werden kann. Eine Cochrane-Meta-Analyse kann aber die Reduktion von schweren Rückfällen und Trinkhäufigkeit unter Naltrexon bestätigen, auch wenn die Zeit bis zum ersten Alkoholkonsum nicht immer verlängert war.
1 Anmerkung der
Redaktion: Die Prävalenzrate ist eine medizinische Kennzahl,
die Aussagen über die Häufigkeit bestimmer Erkrankungen
erlaubt.
2 Anmerkung der Redaktion:
Vulnerabilität = Verwundbarkeit.
3 Anmerkung der Redaktion: Neoplasien =
Tumorerkrankungen.
4 Anmerkung der Redaktion: Remission
bedeutet in der Medizin das temporäre oder dauerhafte
Nachlassen von Krankheitssymptomen körperlicher bzw.
psychischer Natur, jedoch ohne Erreichen der Genesung.
5 Vgl. Henning Sass/Michael Soyka/Karl
Mann/Walter Zieglgansberger, Relapse prevention by acamprosate.
Results from a placebo-controlled study on alcohol dependence, Arch
Gen Psychiatry, 53 (1996), S. 673-680.
6 Vgl. Markus Gastpar et al, Lack of
efficacy of naltrexone in the prevention of alcohol relapse:
results from a German multicenter study, J Clin Psychopharmacol, 22
(2002), S. 592-598.