Einwurf
Kinder zu haben, scheint hierzulande etwas Gefährliches zu sein. Es ist das Normalste der Welt
Machen Kinder glücklich? Was für eine seltsame Frage! Eine Mutter fragen, ob Kinder glücklich machen - da könnte man doch genauso gut von einem über beide Ohren Verliebten eine detaillierte Beschreibung der Gefühle fordern, die ihn in den siebten Himmel katapultieren, sobald er sich in die Arme der Geliebten stürzt. Oder man würde einen Sommelier zwingen, die chemischen Bestandteile seines Saint Emilion Grand Cru in dem Moment aufzuzählen, wo er das Glas an die Lippen setzt. Es gibt Dinge, denen mit rationalen Argumenten nicht beizukommen ist. Es gibt Antworten, die so selbstverständlich sind, dass eine vernünftige Beweisführung zur Überzeugung der Widerstrebenden nur schwer konstruiert werden kann.
Aber vor allem ist das eine durch und durch deutsche Frage. Einem Franzosen käme es nie in den Sinn, sich derart das Hirn zu zermartern. Fragen Sie einen Italiener, ob Kinder glücklich machen, er wird Ihnen einen Vogel zeigen. Und nur in Deutschland wurde eine groß angelegte Kampagne gestartet, um die Bürger zum Kindermachen zu bewegen: "Du schreist die ganze Nacht. Du machst ins Bett. Du bekommst Zähne. Und dann die Windpocken. Du machst uns wahnsinnig vor Glück. Du bist Deutschland." In diesem Land mit seiner kränkelnden Demografie versucht man, den Menschen Kinder zu verkaufen, wie man die Qualitäten von Pampers anpreist.
Es ist schon wahr: Wenn man die Zeitung liest und die Talkshows sieht, die sich seit einigen Jahren dem Thema widmen, dann drängt sich der Gedanke auf, dass das Kinderkriegen hierzulande ein Fehler ist, eine Riesendummheit, eine Nerverei ohne Ende, ein gefährliches Hindernisrennen, der sichere Ruin. So etwas will gut überlegt sein, das Für und Wider ist abzuwägen, der Taschenrechner muss befragt werden, und dann sind auch noch die Dutzenden von Ratgebern zum Thema zu lesen. In Deutschland scheint die Fortpflanzung weder etwas Natürliches noch eine Bereicherung des eigenen Lebens und auf gar keinen Fall ein spontanes Vergnügen zu sein.
Von morgens bis abends wird uns die Liste mit den unzähligen Gründen vor die Nase gehalten, die gegen den Nachwuchs sprechen.
Da wären erst einmal die Kosten: "Aber braucht ihr nicht ein neues Auto, um die ganze Bagage zu transportieren?", fragen die entsetzten Freunde ein verwegenes junges Paar, das es doch tatsächlich wagt, ein drittes Kind zu bekommen. Zwischen den Zeilen: ein Kombi und dazu ein weiterer Kindersitz, das wird ganz schön teuer! Die verwöhnten Bälger verlangen Markenklamotten, Sprachkurse im Ausland, alle drei Monate neue Schuhe und Strandurlaub. Man muss ihnen das Studium finanzieren, bis sie 30 Jahre alt sind. Kinder, so wird unablässig wiederholt, senken den Lebensstandard. Je mehr man hat, desto ärmer wird man.
Nächstes großes Klagelied auf deutschen Spielplätzen: das mangelhafte Betreuungssystem. Praktisch keine Krippenplätze für die Kinder unter drei Jahren, nicht genug Kindergartenplätze, Halbtagsschule ohne Kantine und ohne Nachmittagsaufsicht. Und dabei ist man in Berlin noch gut dran. Suchen Sie mal in Bayern einen Krippenplatz! Sobald man ein Kind in die Welt setzt, wird man zur Sklavin, von früh bis spät ist man an einen kleinen Tyrannen gekettet. Frauen können Karriere und Selbstverwirklichung abschreiben. Sehen Sie es mir nach, wenn ich das Thema nicht weiter vertiefe. In den vergangenen Jahren habe ich die Diskussion über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Übermaß genossen.
Es geht auch nicht an, dass man einfach ein Kind in die Welt setzt und danach schaut, wie man zurecht kommt. Es geht nicht an, dass man, wie der englische Psychoanalytiker Winnicott es ausdrückt, "gut genug" ist. In Deutschland muss man perfekt sein. Mission impossible, für die Mütter selbstverständlich noch mehr als für die Väter. Immer droht das Gespenst der Rabenmutter. In keinem anderen europäischen Land sind die Mütter einem so starken moralischen Druck ausgesetzt. Denn von Anfang an muss man alles richtig machen. Mindestens sechs Monate stillen, Stoffwindeln benutzen, das Baby zu frühkindlichen Förderkursen anmelden. Seit dem Pisaschock ist die Suche nach einer guten Schule und nach einer "engagierten" Lehrerin zu einer belastenden Vollzeitbeschäftigung geworden. Die Kleinen müssen mindestens zweisprachig sein, sie müssen ein Instrument spielen, Sport treiben und gesund ernährt werden. Denn Vorsicht! Die Gefahren lauern überall! Frühkindliches Übergewicht, Magersucht, ADS, Allergien, Schulversagen. Von der Geburt bis zur Pubertät ist alles kompliziert. Und an Oberlehrern herrscht kein Mangel. Ob Bischof Mixa oder Moderatorin Eva Herman, ob Oskar Lafontaines oder Gerhard Schröders Ehefrau, jeder ist im Besitz seiner eigenen unbestreitbaren Wahrheit. Jeder verabreicht seine Ratschläge, um die man nie gebeten hatte.
Und wo ist bei alldem noch das Glück? "Mir ist noch nie eine Mutter oder ein Vater begegnet, die ihr Kind nach der Geburt zurückgeben wollten", sagte mir einmal eine sehr lebenskluge Hebamme. Sobald das Baby da ist, verblassen die Unsicherheiten angesichts der radikalen Veränderung des eigenen Lebens.
Warum machen Kinder glücklich? In einer bunten Mischung sprudeln tausend und eine Antwort heraus. Es sind ganz alltägliche Momente, kleine Begebenheiten, unbegreifliche Bruchstücke, Anekdoten, fast nichts. Weil die Geburt eines Kindes ein Wunder ist, ein Augenblick im Paradies, wenn man zum ersten Mal das rote und ganz zerknautschte kleine Wesen in den Armen hält. Weil sein erstes Lächeln, sein erster Zahn, sein erster Schultag uns die Kehle zuschnüren. Weil ein Kind uns jung bleiben lässt. Woher soll man wissen, wenn man nicht das Ohr an die abgeschlossene Zimmertür eines Halbwüchsigen presst, wer die üppig-sinnliche Leona Lewis ist? Und wer, wenn nicht ein Junge auf der Suche nach der Männlichkeit, wird Sie am Samstagabend in das vulgäre Wrestling einführen? Weil die Prioritäten sich ändern und alles, was vorher so wesentlich schien, letzten Endes nur noch von relativer Bedeutung ist. Weil man plötzlich die Welt durch ihre Augen sieht, die Ameisenstraße auf dem Gehweg, das Müllauto, die Graffiti auf der Wand gegenüber. Dieses ganze reiche morgendliche Straßenleben, das man nicht einmal mehr wahrnahm.
Weil ihre großen existenziellen Fragen einen zwingen, sich mit dem Sinn von Leben und Tod auseinander zu setzen. "Warum können die Toten sich nicht einfach vom Himmel abseilen und uns besuchen?", fragt einen das Kind, während es beim Frühstück vor seinem Müslischälchen sitzt. "Was sind Steuern?", fragt es zum Tagesabschluss. Manchmal überfordern einen die Fragen. Aber das Kleine schaut einen aus runden Augen eindringlich an, es setzt einem zu und lässt nicht locker, bis wir eine einleuchtende Antwort geliefert haben. Weil die Kinder uns wachsen lassen. Weil sie, wenn man ein paar Tage verreist war, durch den Korridor rasen, um einem in die Arme zu hüpfen. Weil es Spaß macht, Ali Baba und Moby Dick wiederzulesen. Weil man in die eigene Kindheit zurückreist, wenn man an einem verregneten Nachmittag noch einmal Filme von Louis de Funès sieht und sich auf dem Sofa alle aneinander kuscheln. Weil das kleine Mädchen die Augen von seiner Großmutter hat, die Nase von seinem Vater und den Eigensinn von seiner Großtante, und weil die Linie durch es fortgeführt wird. Weil die Kinder ein turbulentes, chaotisches, überraschendes Leben bedeuten. Aus all diesen und noch vielen anderen Gründen muss man hier endlich damit aufhören, absurde Fragen zu stellen.