SCHEIDUNG
Wenn sich binationale Paare trennen, gibt es viele ungelöste Fragen. Die Europäische Union will mehr Rechtssicherheit schaffen - aber nicht alle Staaten wollen mitziehen
Die Situation war ohnehin schon kompliziert: Sie, eine Deutsche, und er, ein Österreicher, hatten in Berlin geheiratet, dort aber keine Arbeit gefunden. Im Zuge des irischen Wirtschaftsbooms zogen sie schließlich nach Dublin. Doch während es beruflich bergauf ging, kriselte es in der Ehe. Die beiden entschieden sich für die Scheidung.
Das Paar suchte also einen Anwalt auf und kehrte erstaunt zurück: Obwohl es nach deutschem Recht geheiratet hatte, gab es keine Möglichkeit mehr, sich "auf deutsch" wieder scheiden zu lassen. Deutsche Gerichte waren nicht mehr zuständig. Statt dessen galten die strengen irischen Regeln: Unter anderem verlängerte sich die Trennungszeit von einem auf vier Jahre.
Fälle wie dieser rufen die EU-Institutionen auf den Plan. "Es gibt ganz bizarre Geschichten bei grenzüberschreitenden Scheidungen", berichtet die Europa-Parlamentarierin Evelyne Gebhardt (SPD). Mal sind die Regeln unlogisch, mal fühlt sich gar keine Behörde zuständig. In anderen Fällen wiederum gleich mehrere - was dazu führen kann, dass der besser informierte Partner große Vorteile etwa bei der Unterhaltspflicht erstreiten kann.
Das Problem wird immer drängender: Mit der Zahl der EU-Staaten wächst auch die Zahl der binationalen Ehen. Von über zwei Millionen Paaren, die derzeit jährlich in der EU heiraten, sind etwa 350.000 unterschiedlicher Nationalität oder leben im Ausland. Fast jedes zweite Paar lässt sich statistisch wieder scheiden.
Auch wenn das Scheidungsrecht Kompetenz der Nationalstaaten bleibt, hat die EU-Kommission einen Verordnungsvorschlag vorgelegt, um die Zuständigkeiten bei Scheidungsfragen zu klären und die Verfahren zu vereinfachen. Schon seit zwei Jahren wird das Papier heftig debattiert. Am 21. Oktober hat nun das EU-Parlament über den Entwurf abgestimmt, das in der Frage ein Konsultativ-, also ein Mitberatungsrecht hat.
In Anlehnung an den Kommissionsvorschlag will das Europaparlament, dass die Paare selbst entscheiden können, vor welchem Gericht und nach welchem Recht sie sich scheiden lassen. Voraussetzung ist, dass sie eine enge Beziehung zu dem jeweiligen Land haben, also etwa einen früheren gemeinsamen Wohnsitz. Das EU-Parlament möchte auch den "Ort der Eheschließung" als Kriterium aufnehmen, was die Kommission nur in Ausnahmefällen gelten lassen will.
Befindet sich das Paar schon im Rosenkrieg und kann sich nicht einigen, soll ein eindeutiger Kriterienkatalog angewandt werden. Dieser soll nach den Vorstellungen der Kommission auf dem Prinzip des "engsten Bezugs" basieren. Auch hier steht der gemeinsame oder frühere gemeinsame Wohnsitz an erster Stelle.
Die Verordnung ist dabei nicht auf Angehörige von EU-Staaten beschränkt. Allerdings dürfe kein Recht zur Anwendung kommen, das nach den Grundsätzen der Europäischen Union nicht akzeptabel sei, betont Gebhardt, die das Dossier im Parlament als Berichterstatterin betreut: "Ich denke da an die Scharia oder das chinesische Recht", so Gebhardt.
Tut Scheiden also künftig weniger weh? Das bleibt abzuwarten, denn der Knackpunkt liegt, wie so oft, bei den EU-Regierungen. Diese müssen in der Frage einstimmig entscheiden. Sie sträuben sich teilweise heftig gegen gemeinsame Regeln, auch wenn eine vollständige Vereinheitlichung der nationalen Gesetze gar nicht vorgesehen ist.
Die größte Skepsis legt nach wie vor Schweden an den Tag. Das skandinavische Land hat das liberalste Scheidungsrecht der EU. Paare können dort schon nach wenigen Monaten getrennte Wege gehen. Schweden möchte deshalb nicht in einem Boot mit Ländern wie etwa Malta sitzen: Der Inselstaat im Mittelmeer verbietet die Scheidung. Der EU-Streit hat deshalb noch eine völlig andere Dimension: Das Wort vom "Europa der zwei Geschwindigkeiten" macht auf einmal wieder die Runde. Ein brenzliges Thema, auf das Brüsseler Politiker seit dem "Nein" der Iren zum EU-Reformvertrag im Juni 2008 besonders sensibel reagieren. Denn es bedeutet de facto, dass die EU sich in bestimmten Politikbereichen spaltet und eine Avantgarde voranmarschiert.
Neun Länder wollen eine solche Spaltung beim Scheidungsrecht in Kauf nehmen. Sie haben bei der EU-Kommission einen Antrag auf "verstärkte Zusammenarbeit" eingereicht. Frankreich, Spanien, Österreich, Italien, Griechenland, Ungarn, Luxemburg, Slowenien und Rumänien wollen den Sonderweg gehen - und dürfen dies auch, sofern die Kommission und die übrigen Länder zustimmen.
Auch Deutschland hält die Einführung gemeinsamer Regeln für sinnvoll. "Das ist ein hohes Bedürfnis in Europa", hatte Staatssekretär Lutz Diwell vom Bundesjustizministerium nach Beratungen im Juli erklärt. Sich an der Avantgarde-Gruppe zu beteiligen, schließt Berlin ebenfalls nicht aus. Allerdings: Dazu müsste diese Gruppe noch deutlich größer sein, heißt es aus Regierungskreisen.
Die EU-Kommission, die die Spaltungs-Frage naturgemäß für heikel hält, spielt derzeit noch auf Zeit. "Die möglichen Konsequenzen werden weiter geprüft", so die Brüsseler Behörde. Es gebe Beratungen mit den Mitgliedsländern. Das EU-Parlament macht weiter Druck: Der Entschluss des Plenums, so der CDU-Abgeordnete Kurt Lechner sei "als politisches Signal an den Rat zu sehen". Isabel Guzman