Nach dem Bildungsgipfel
Nicht nur der Opposition reichen die vereinbarten Ziele nicht aus
Es kann doch nicht sein, dass einer Volkswirtschaft wie der unseren Bildung und Forschung so wenig wert sind." Noch Tage nach dem Bildungsgipfel ist der Präsident des Deutschen Hochschulverbands, Bernhard Kempen, schockiert über die mageren Ergebnisse vom 22. Oktober. Ein gemeinsamer Gipfel von Angela Merkel und den Ministerpräsidenten der Länder in Dresden hatte dem Land klarmachen wollen, wie es künftig zur "Bildungsrepublik" werden soll.
Herausgekommen ist die Zusage, die Ausgaben für Bildung und Forschung bis zum Jahr 2015 auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu steigern, Rätsel um deren Finanzierung - und ein Arbeitskreis.
Für Kempen, Juraprofessor in Köln, ist dies enttäuschend: "Die angekündigte Aufstockung der Ausgaben bedeutet doch nur, dass wir im Vergleich der OECD-Staaten noch immer hoffnungslos hinterherhinken. Andere Länder wie die USA oder Japan investieren um die 15 Prozent. Und dann soll uns auch noch zugemutet werden, sieben Jahre lang auf diesen Stand warten zu müssen?"
Auf der Pressekonferenz nach dem Gipfel hatte sich die Kanzlerin bemüht, Optimismus zu versprühen: Die vereinbarte Ausgabensteigerung sei ein "Riesenschritt", aber wer das Geld zu welchen Anteilen aufbringen soll, konnte sie nicht verraten. Das soll nun eine Strategiegruppe bis Herbst 2009 klären. Nach Berechnungen des Bildungsministeriums würde das angepeilte Zehn-Prozent-Ziel Mehrausgaben von insgesamt 25 bis 60 Milliarden Euro bedeuten. Außerdem soll der Hochschulpakt, der eigentlich 2012 ausläuft, bis 2020 verlängert, die Zahl der Schulabbrecher halbiert und die der Studienanfänger gesteigert werden.
Dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), kam in Dresden die Rolle des Spielverderbers zu. Als Wortführer der Länder betonte er, worauf man sich nicht einigen konnte: auf kostenloses Mittagessen für Kinder von Hartz-IV-Empfängern, den Verzicht auf Studiengebühren und den Einsatz von Sozialarbeitern an Schulen. "Der Bund sah sich leider noch nicht in der Lage, konkreten Maßnahmen zuzustimmen und die Kosten gemeinsam mit den Ländern zu tragen", bemerkte er gallig.
Dazu, mehr Bildung für alle zu wollen, bekennen sich zwar Bund als auch Länder gebetsmühlenartig, allerdings ohne sich dabei allzu nahe zu kommen. Schon im Vorfeld des Gipfels haben die Länder klargemacht, dass sie eine höhere Beteiligung am Umsatzsteueraufkommen oder alternativ eine höhere Beteiligung des Bundes an den Bildungsaufwendungen als bisher erwarten. Das aber lehnt der Bund ab. Für Kempen ist klar: "Die Trennung der Aufgaben im Bildungsbereich im Zug der Föderalismusreform ist fatal." Die Pläne der Regierung greifen ihm viel zu kurz: "Wir wissen doch schon jetzt, dass wir ab 2013 eine Steigerung der Studierendenzahlen von derzeit zwei auf 2,7 Millionen haben werden. Und schon heute sind die Studienbedingungen außerordentlich schlecht - in überfüllten Hörsälen, baufälligen Gebäuden und mit einer schlechten Betreuungsquote."
Während die Vorsitzende der Unions-Arbeitsgruppe Bildung und Forschung Ilse Aigner den Gipfel als "Erfolg für unser Land" wertet, weil Merkel als erste Regierungschefin "Bildung zur Chefsache erklärt" habe, hagelt es von der Opposition Häme. Als "Bildungshügel" wird die Dresdner Veranstaltung von diesen Seiten bezeichnet. Der FDP-Bildungsexperte Patrick Meinhardt hält es für "unverantwortlich", die Entscheidung über die Finanzierung auf einen Termin nach der Bundestagswahl zu verlegen. Die grüne Bildungspolitikerin Priska Hinz sagt: "Ich finde das Gipfelergebnis peinlich und hätte nicht gedacht, dass sich Kanzlerin und Ministerpräsidenten so ineinander verhaken." Die Grünen wollen einen Bildungssoli, denn "wir wissen, dass die Ausgaben aus dem Solidaritätszuschlag nicht mehr in voller Höhe für den Aufbau Ost gebraucht werden", so Hinz weiter. Auch die Linksfraktion will, dass Bund und Länder gemeinsam Geld in einem Bildungspakt bereit stellen - jährlich mehr als 18 Milliarden Euro. Das deutsche Bildungssystem sehen sie geprägt von Kleinstaaterei, sozialer Selektion und schlechter Bildungs-Infrastruktur.
Die Sozialdemokraten versuchen sich bei ihrer Bewertung des Gipfels in einem Spagat zwischen Mitverantwortung und Vorwahlkampf-Getöse. Sie betonen, dass mit dem Zehn-Prozent-Ziel eine "zentrale bildungspolitische Beschlusslage der SPD übernommen" worden sei und die "bildungspolitischen Bremser in den Landesregierungen von München über Stuttgart bis Düsseldorf zähneknirschend anerkennen müssen", dass Bildungsinvestitionen Zukunftsinvestitionen seien, so die SPD-Bildungspolitikerin Christel Humme. Die Partei nutzt die offene Finanzierungsfrage zum direkten Angriff: Es wäre "geradezu grotesk", wenn die Unions-Länder ihre Finanzspielräume "weiter durch ihre Blockade bei der Erbschaftsteuer einengen würden".
Hochschullehrer Kempen hofft auf eine Einigung. "Gerade jetzt, wo unsere Wirtschaft kurz vor einer Rezession steht, müssen wir Geld für die Bildung zur Verfügung stellen, damit uns in fünf oder sechs Jahren gute Innovationen wieder nach vorn bringen können."