DRITTE WELT
Arme Länder müssen um bezahlbare Medizin kämpfen. Größte Hürde ist der Patentschutz
Ob Bluthochdruck, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Zur Bekämpfung von Volkskrankheiten wird in den westlichen Industrienationen intensiv geforscht. Anders sieht es dagegen in den Entwicklungsländern aus. Jedes Jahr sterben dort Millionen von Menschen an Krankheiten, die behandelbar sind, darunter Tuberkulose und zahlreiche Tropenkrankheiten. Allein an Malaria sterben jährlich eine dreiviertel Million Kleinkinder, weil sie nicht medizinisch versorgt werden.
Für manche Krankheiten gibt es kaum noch wirksame Arzneien, weil jahrzehntelang zu wenig geforscht wurde. Wie groß der Forschungsbedarf ist, zeigt das Beispiel Tuberkulose: Jährlich sterben zwei Millionen Menschen an dieser Infektionskrankheit. Sie ist unter den AIDS-Patienten in Afrika die häufigste Todesursache. "Weil wir keine neuen Therapien haben, die den zunehmenden Resistenzen etwas entgegen zu setzen haben, werden wir in unserer Arbeit massiv behindert", sagt Oliver Moldenhauer, Koordinator der Medikamentenkampagne bei Ärzte ohne Grenzen.
Zudem haben viele Menschen in der Dritten Welt keinen Zugang zu den lebensrettenden Arzneien. Als einen der Hauptgründe dafür sehen Hilfsorganisationen den Patentschutz an, durch den die Hersteller den Preis ihrer Präparate weltweit selbst festlegen können. Zugleich hat das so genannte TRIPS-Abkommen von 1994 die internationale Produktion von Generika erschwert, so dass die neueste Medizin auch in armen Ländern oft nur als teureres Original zu haben ist.
Das Abkommen zum Schutz "geistigen Eigentums", zu dem auch Patente zählen, hat insbesondere bei AIDS-/HIV-Medikamenten für Afrika zu großen Konflikten geführt. Zur Abmilderung wurde 2001 die "Doha Declaration" ausgerufen, die besagt, dass durch das TRIPS-Abkommen Staaten nicht gehindert werden dürfen, Probleme in der medizinischen Versorgung zu lösen.
Thailand hat beispielsweise davon Gebrauch gemacht und im vergangenen Jahr für neue HIV-Medikamente Zwangslizenzen erlassen, um die Versorgung der rund 600 000 HIV-Infizierten im Land langfristig sicherstellen zu können. "Das TRIPS-System als weltweiter Patentrechtsstandard ist seitdem in Frage gestellt", ist der Politikwissenschaftler Wolfram Schaffar überzeugt. Andere Schwellenländer wie Brasilien hätten bereits nachgezogen und Zwangslizenzen erlassen.
Unterdessen unternimmt die Weltgesundheitsorganisation WHO große Anstrengungen, die Medikamentenforschung stärker zur öffentlichen Aufgabe zu machen. Gemeinsam mit wissenschaftlichen Instituten aus fünf Nationen gründete sie die "Drugs for Neglected Diseases initiative". Das DNDi-Institut erforscht Wirkstoffe gegen die Schlafkrankheit, Leishmaniose, Malaria und gegen das Chagas-Fieber und stellt die Ergebnisse der Allgemeinheit zur Verfügung. Die WHO macht auch Pharmafirmen Druck: Sie sollen ihre Wirkstoffbibliotheken für die Erforschung dieser Erkrankungen öffnen.
Auch die Industrienationen hat die WHO ermahnt, ihre globale Verantwortung für die Gesundheitsversorgung stärker wahrzu-nehmen. Der Bundestag hat daraufhin im Frühjahr die Bundesregierung aufgefordert, Pharmaunternehmen zu "alternativen Preisgestaltungen zu ermutigen und sich verstärkt für die Erforschung lebensrettender Arzneimittel und deren Produktion in den Entwicklungsländern" einzusetzen. Dem Dachverband Bundeskoordination Internationalismus (BUKO), in dem sich 150 Dritte-Welt-Gruppen zusammengeschlossen haben , geht das nicht weit genug: "Unser Ziel ist es, Medikamente zur Behandlung so genannter vernachlässigter Krankheiten ohne Patent zu bekommen", sagt der Sprecher der BUKO Pharma-Kampagne, Christian Wagner-Ahlfs. Neue Arzneien sollten generell nicht mehr patentrechtlich geschützt werden. Die Pharmaindustrie lehnt die Patentfreiheit dagegen absolut ab. Die Unternehmen verweisen auf die mangelnde Infrastruktur und die weit verbreitete Korruption in vielen Ländern der Dritten Welt. Sie seien die zentralen Hürden der Versorgung mit Medikamenten.
Die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller e.V., Cornelia Yzer, hebt zudem zahlreiche Aktivitäten von Pharmafirmen hervor, die neue Medikamente für vernachlässigte Krankheiten inzwischen entwickeln würden: "Dank etlicher Public-Private Partnerships rechnen wir in den nächsten Jahren mit einer zweistelligen Zahl neuer Medikamenten-Kandidaten, die reif zur Erprobung gegen Malaria, Tuberkulose und tropische Armutskrankheiten in klinischen Studien mit Patienten sind." Um das finanzielle Risiko der Erforschung neuer Medikamente möglichst gering zu halten, strebt die Pharmaindustrie bei der Vermarktung unter anderem "Advance Market Commitments" an. Dabei sollen vorab für eine Arznei die Mindestabnahmemenge und der Preis festgesetzt werden.
In erster Linie sind es aber private Stiftungen, die sich für die öffentliche Forschung engagieren. Die Bill und Melinda Gates-Stiftung, die inzwischen 64 Milliarden Dollar angehäuft hat, steckt sehr viel Geld in die Entwicklung von Malaria-Medikamenten und -Impfstoffen. Das gigantische Spendenvolumen gilt zwar als Segen für die öffentliche Forschung. Der Einfluss der Stiftung bereite jedoch politischen Akteuren auch Unbehagen, sagt Schaffar. Denn die Spendensummen übersteigen die Länder-Etats für gleiche Zwecke nicht selten um ein Vielfaches, so dass Gates in punkto Malaria-Forschung weltweit eine Monopolstellung einnimmt.