TECHNIKFOLGENABSCHÄTZUNG
Das TAB in Karlsruhe analysiert für die Gesetzgebung Trends und Entwicklungen aus Wissenschaft und Technik
Bis der medizinische Fortschritt aus den Labors der Unternehmen und Forschungseinrichtungen einmal im Alltag ankommt, vergehen meist viele Jahre. Vieles von dem, was auf dem Papier gut funktioniert hat, wird niemals umgesetzt. Und das, was irgendwann einmal zur Krankenhausausrüstung oder zur ärztlich verordneten Therapie für jedermann gehört, musste zunächst einmal beweisen, dass es den hohen gesetzlichen Standards des Arznei- und des Medizinproduktegesetzes genügt, dass es finanzierbar und in der Masse praktisch anwendbar ist.
Auch wenn im Parlament nur wenige Naturwissenschaftler und Ärzte sitzen, müssen sich die Bundestagsabgeordneten immer wieder mit ethischen, technischen und ökonomischen Fragen des medizinischen Fortschritts beschäftigen. Sie müssen entscheiden, was in Deutschland mit staatlichen Geldern und in öffentlichen Einrichtungen erforscht werden kann, an welche Grenzen die Wissenschaftler dabei stoßen, was von Unternehmen vermarktet werden darf und wovon Patienten einmal profitieren werden. Das wohl wichtigste Beispiel der jüngeren Zeit ist die Diskussion um die Novellierung des Stammzellgesetzes, über das der Bundestag in diesem Sommer abgestimmt hat.
Doch damit ist der medizinische Fortschritt für diese Legislatur nicht abgeschlossen. Andreas Meyer, Sekretär des Ausschusses für Bildung und Forschung, weiß schon jetzt, welche Themen er für die Abgeordneten in Zukunft vorbereiten wird. "Ganz intensiv wird uns die Nanotechnologie beschäftigen, dazu liegen schon mehrere Anträge und eine Unterrichtung der Bundesregierung vor." Auch der Gesundheitsausschuss wird sich in den kommenden Monaten mit dem medizinischen Fortschritt beschäftigen - und es dabei wieder mit schwierigen ethischen Fragestellungen zu tun haben. "Auf unserem Tisch liegt das Gendiagnostikgesetz", so Auschusssekretär Randolph Krüger. "Und letztlich begleiten wir ja politisch immer alle Themen vom Gesundheitsfonds bis zur Krankenhausfinanzierung mit."
Eine Grundlage für die Entscheidung der Abgeordneten bieten die Berichte des Büros für Technikfolgenabschätzung (TAB). Die selbständige wissenschaftliche Einrichtung berät den Bundestag in Fragen des wissenschaftlich-technischen Wandels und ist dem Ausschuss für Bildung und Forschung zugeordnet. In großangelegten Projekten wie aktuell etwa "Transgenes Saatgut in Entwicklungsländern" oder "Chancen und Herausforderungen neuer Energiepflanzen" werden wissenschaftliche und technische Trends analysiert und Entscheidungsoptionen für die Abgeordneten entwickelt.
Im Juni 2008 veröffentlichte das TAB einen Bericht, in dem es sich unter dem Schwerpunkt "Den Menschen ,weiser und geschickter' machen?" mit den gesellschaftlichen Auswirkungen des Dopings auseinandersetzte. Dabei hat es das so genannte "Human Enhancement", also die Leistungs- steigerung des Menschen, in den Blick genommen und die Frage gestellt, wie sich diese Debatte "bereits heute auf den Diskurs über Wissenschaft und Technik" auswirkt. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass "bisher weithin akzeptierte Grenzziehungen infrage gestellt werden", etwa "zwischen erwünschten Verbesserungen und problematischen Manipulationen menschlicher Leistungsfähigkeit".
Weil dies kritisch gesehen werde, gebe es bereits einen Verhaltenskodex der Europäischen Kommission für die Nanoforschung: Danach sollen Forschungsorganisationen keine Nanoforschungen durchführen, die auf die nichttherapeutische Verbesserung von Menschen abzielen oder allein der unerlaubten Leistungssteigerung des menschlichen Körpers dienen. Aktuell erstellt das TAB den Zukunftsreport "Individualisierte Medizin und Gesundheitssystem". In dem Bericht heißt es, nach Experteneinschätzung sei es in den kommenden 20 Jahren möglich, "die Wissensbasis für eine individualisierte Medizin zu erarbeiten". Man verspreche sich davon eine größere Genauigkeit von Krankheitsdiagnosen und Prognosen und eine gezieltere Auswahl von Therapieoptionen. Der klinische Nutzen sei jedoch in den nächsten zehn Jahren "noch gering einzuschätzen".
Langfristig werde sie jedoch zu neuen Anforderungen in der Medizin - etwa grundlegenden Kenntnissen in Genetik und molekularer Medizin und biomarkerbasierten Test- und Diagnoseverfahren - führen, die sowohl das medizinische Personal als auch die Krankenkassen und Patienten selbst für Veränderungen stellen werde. Noch ist die individualisierte Medizin vorwiegend in Laboren zu finden - doch bis sie auch in den Bundestag kommt, ist es nur eine Frage der Zeit.