SCHMERZTHERAPIE
Moderne Technik kann kurz vor dem Tod Leiden lindern
In den vergangenen Jahrhunderten war es für viele Menschen eine bezeichnende Angst, nicht gänzlich tot zu sein und dennoch begraben zu werden. Heute fürchten viele Menschen aufgrund der umfangreichen medizinisch-technischen Möglichkeiten, nicht sterben zu dürfen, auch wenn für sie die Zeit dazu gekommen wäre.
Diese neue Angst richtet sich dorthin, wo technische Möglichkeiten es Maschinen erlauben, Leben um jeden Preis aufrecht zu erhalten, auch wenn dieses für den Betroffenen unerträglich oder nicht mehr lebenswert erscheint. Dahin also, wo technische Ausstattung und Nutzung von Geräten für lebensrettende und später vielleicht nur noch unerwünschte lebenserhaltende Maßnahmen als Routine ablaufen könnten, zum Beispiel auf Intensivstationen. Wer aber könnte sich von außen anmaßen, einen Lebenswert zu messen?
Trotz ihrer Furcht, unwürdig oder verlängert zu sterben, kümmern sich viele Menschen in gesunden Zeiten zwar um ihre materielle Habe, indem sie ein Testament aufsetzen. Für die Umstände ihres Sterbens jedoch, zum Beispiel mittels einer Patientenverfügung, treffen die wenigsten eine verbindliche Vorsorge. So lassen viele eine Chance ungenutzt, selbstbestimmt Behandlung am Lebensende einzufordern oder zu begrenzen.
In der letzten Phase eines Lebens, am Ende einer oft mit allen Mitteln der Hightech-Medizin letztendlich doch vergeblich bekämpften Erkrankung, muss sich das Behandlungskonzept ändern. Weg von dem Ziel, das Leben zu erhalten oder zu verlängern, hin zu einer palliativen Versorgung. Diese wird - wenn sie denn umfassend für den Patienten erreichbar ist - seine physischen, psychischen und spirituellen Leiden zu lindern suchen und ihn nach seinen ganz eigenen Bedürfnissen in seinem Sterben und in seinen Tod begleiten.
Falsch wäre es da anzunehmen, palliative Versorgung wäre damit gleichzusetzen, jetzt alles moderne medizinische Wissen wegzulassen. Die wichtigen palliativmedizinischen Maßnahmen wie bedürfnisadaptierte Schmerztherapie und eine bestmögliche Linderung von quälenden Symptomen wie Atemnot, Übelkeit und Erbrechen sowie Angst und Unruhe erfordern ebenso wie die klassische Kurativ- oder die Intensivmedizin fundierte Kenntnisse von physiologischen Vorgängen und Wirkweisen moderner pharmazeutischer Produkte. Palliative Versorgung heißt, weiterhin alles für den Patienten zu tun. Unter Umständen auch mit modernen "apparativen" Maßnahmen, nur mit einer anderen Zielsetzung.
Bei einer individuell adaptierten Schmerztherapie zum Beispiel kommen im Rahmen palliativer Maßnahmen die gleichen modernen Pumpen oder Medikamente zum Einsatz, wie bei den lebenserhaltenden Maßnahmen auf der Intensivstation. Hier werden Geräte nicht genutzt, weil sie vorhanden sind oder es Routine ist. Moderne technische Möglichkeiten werden hier so eingesetzt, dass der grundlegende Anspruch an eine gute palliative Versorgung beziehungsweise Sterbebegleitung erfüllt wird, wie ihn Dame Cicely Saunders, die Begründerin des modernen Hospizgedankens formuliert hat: "Nicht dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben geben."
Die Autorin ist Ärztin und Chefredakteurin der Zeitschrift "Der niedergelassene Arzt".