PHARMAINDUSTRIE
Erforscht wird nicht was gebraucht wird, sondern was Profit verspricht
Cathrin Hübener kämpft mit einer schweren Krankheit: "Ich habe Rheuma. Aber mit den richtigen Medikamenten kann ich trotzdem Tänzerin werden." Seit drei Jahren schaltet der "Verband forschender Arzneimittelhersteller" Werbespots mit Patienten, die erzählen, dass sie dank neuer Arzneimittel ein besseres Leben führen können. Die Frauen und Männer tragen darin ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift "Forschung ist die beste Medizin!" Neben ihren Zitaten prangt der Spruch: "Millionen Menschen können wir schon helfen. Aber noch nicht allen. Darum forschen wir weiter."
Entscheidend für die Frage, wie innovativ die Pharmaindustrie tatsächlich ist, ist allerdings nicht die Zahl der neuen Medikamente, die jedes Jahr auf den Markt kommen, sondern ob es sich dabei um eine neue chemische Wirksubstanz (New Molecular Entity) handelt.
Legt man dieses Kriterium zugrunde, wurden im Jahr 2005 in Deutschland 21 neue Medikamente zugelassen. Auch damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass es sich bei diesen Medikamenten um einen echten Fortschritt für die Patienten handelt. Denn "neu" bedeutet bei Arzneimitteln zunächst nur, dass der Wirkstoff in genau dieser Zusammensetzung bisher nicht erhältlich war. Es bedeutet nicht, dass die neue Substanz "besser" wirkt als bereits Bekanntes. Bei vielen vermeintlichen Neuheiten handelt es sich zum Beispiel nur um leichte Abwandlungen bereits bestehender Arzneimittel, die gegenüber eingeführten und bewährten Medikamenten gar keinen Fortschritt zeigen, so genannten Scheininnovationen.
Bei anderen wird erst im Laufe der Jahre klar, dass die Risiken höher sind als der Nutzen, dass sie also sogar schlechter sind als bisherige Arzneimittel: Jüngste Beispiele sind das Schmerzmittel Vioxx oder der Cholesterinsenker Lipobay. So kommen Pharmakologen nach kritischer Bewertung der 21 Neuheiten aus dem Jahr 2005 zu dem Ergebnis, dass nur zehn dieser Innovationen auch einen therapeutischen Fortschrift für Patienten bedeuten. Zehn neue Medikamente pro Jahr - das ist, allem Werbebrimborium zum Trotz, die innovative Leistung einer Riesenbranche weltweit.
Grundsätzlich ist es für Arzneimittelhersteller nur interessant, Medikamente für solche Krankheiten zu entwickeln, an denen möglichst viele Patienten in den Industrieländern leiden. Und am lukrativsten ist es für die Unternehmen, wenn die Krankheiten prinzipiell nicht heilbar, sondern nur behandelbar sind. Deshalb werden viele ähnliche Medikamente gegen hohe Cholesterinwerte, gegen Bluthochdruck oder Asthma entwickelt, selbst dann, wenn es bereits gut wirksame Medikamente gibt. So wurden in den letzten 25 Jahren 179 neue Mittel gegen Herz-Beschwerden und 111 Krebsmedikamente entwickelt. "Gegen Tuberkulose, eine typische Armutskrankheit, an der weltweit jedes Jahr über 1,7 Millionen Menschen sterben, wurden im gleichen Zeitraum nur drei Medikamente entwickelt", wie der "Buko-Pharmabrief" anprangert.
Die klassischen Tropenkrankheiten wie Malaria oder die Schlafkrankheit verursachen auch heute noch fast zehn Prozent der globalen Krankheitslast, dennoch dienten unter den 1.400 neu entwickelten Medikamenten in den letzten 25 Jahren weniger als ein Prozent der Bekämpfung dieser Krankheiten. Die Konzerne entwickeln also nicht jene Medikamente, die global gesehen am dringendsten gebraucht werden, sondern schlicht Präparate für die es die zahlungskräftigsten Kunden gibt. Das unterscheidet sie zwar nicht von einem Autokonzern. Allerdings behaupten Autokonzerne auch nicht ständig, dass es sich bei ihnen um besonders menschenfreundliche Unternehmen handelt.