PSYCHE
Depressionen und ähnliche Krankheiten können mit einer Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie gut behandelt werden
Psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angsterkrankungen und Schizophrenie sind eine der großen Herausforderungen für die Gesundheitssysteme der Zukunft. Krankmeldungen durch psychische Erkrankungen nehmen stetig zu, wie Daten der Techniker Krankenkasse und der Schwäbisch-Gmünder Ersatzkasse bestätigen. Bei mehr als 20 Prozent der Versicherten wurde 2006 eine psychische Störung diagnostiziert. Diese Zahlen drücken dabei nur die Spitze des Eisbergs aus, da viele psychische und psychosomatische Erkrankungen unter körperlichen Diagnosen verdeckt sind. Eine erfolgreiche Behandlung hat deshalb nicht nur für das Wohlbefinden der Patienten höchste Priorität, sondern auch unter ökonomischen Aspekten. Hier ist sind die Politiker gefordert, Anreizsysteme zu schaffen, die erfolgreiche und kostensparende Psychotherapien zu fördern.
Wissenschaftliche Studien belegen, dass psychische Erkrankungen gut behandelbar sind. Sowohl durch medikamentöse Behandlung als auch durch Psychotherapie wurde in qualitativ hochwertigen Studien wiederholt belegt, dass Erfolgsraten von 60 bis 80 Prozent möglich sind. Allerdings zeigen versorgungsnahe Studien, dass diese Erfolgsraten im Alltag kaum erreicht werden - ein Grund, nicht nur die Erfolge, sondern auch die Probleme bei der Versorgung zu diskutieren.
Psychische Erkrankungen lassen sich in vielen Fällen durch Psychopharmaka erfolgreich behandeln. Die großen Erfolge der letzten Jahre in der Pharmakotherapie psychischer Erkrankungen liegen dabei weniger in einer Effektivitätssteigerung als viel mehr darin, dass nebenwirkungsärmere Medikamente entwickelt wurden und es bessere Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Präparaten gibt. Dabei gibt es allerdings zwei Probleme: Auch wenn Patienten in den ersten Wochen erfolgreich auf die Behandlung durch Psychopharmaka ansprechen, kommt es im weiteren Verlauf oft zu Rückfällen. Das zweite Problem bei der Pharmakotherapie ist die so genannte Medikamenten-Compliance. Selbst bei schweren Erkrankungsbildern wie der Schizophrenie setzen drei Viertel der Patienten im Zwei-Jahresverlauf die Medikamente ab. Auch wenn die neuen Präparate besser verträglich sind: Viele Menschen wollen bei psychischer Erkrankungen nicht auf Medikamente angewiesen sein.
Auch die Ergebnisse der Psychotherapie- forschung sind beeindruckend. Bei Erkrankungsbildern wie etwa Panikstörung werden stabile Erfolgsraten von 80 Prozent erzielt, bei Depression immer noch bei zwei Drittel der behandelten Patienten. Ein besonderer Vorteil der Psychotherapie im Vergleich zur Pharmakotherapie ist, dass es nach dem Ende der Behandlung seltener zu Rückfällen kommt. Eine vor wenigen Monaten erschienene Studie aus dem Medizinjournal Jama verglich verschiedene Behandlungsmöglichkeiten bei Personen, bei denen die medikamentöse Depressionsbehandlung nicht erfolgreich gewesen war. Während ein Präparatewechsel danach allein wenig bringt, zeigte sich, dass die Behandlung wesentlich effizienter ist, wenn die Patienten zusätzlich Psychotherapie erhalten.
Allerdings: In kaum einer Behandlungsstudie aus dem klinischen Alltag werden die hohen Erfolgsraten der wissenschaftlichen Studien erreicht. Nur ein Bruchteil der Personen mit psychischen Erkrankungen erhält überhaupt die Möglichkeit, eine psychotherapeutische oder psychologische Behandlung zu absolvieren. Die in der deutschen Versorgungspraxis angebotenen Psychotherapien dauern deutlich länger und sind auch inhaltlich weit entfernt von dem, was in Psychotherapiestudien erfolgreich eingesetzt wurde.
Da in England eine ähnliche Situation herrschte, hat dort das Gesundheitsministerium durch ein massives Programm zur Verbesserung der Versorgung psychisch Kranker reagiert. Innerhalb von sechs Jahren werden insgesamt 450 Millionen Euro investiert, um neue Psychotherapeuten auszubilden, die speziell in der Umsetzung hoch effektiver Kurzzeit-Psychotherapien geschult sind. Es wird angestrebt, 8.000 solcher neu ausgebildeter Psychotherapeuten im Gesundheitssystem aufzunehmen. Das Erstaunliche dabei ist: Die ersten Pilotstudien belegen, dass dieser Ansatz kosteneffektiv ist, da die Kosten durch Fehlbehandlungen, Arbeitsunfähigkeit und vorzeitige Berentungen deutlich reduziert werden konnten. Zusätzlich führt ein erleichterter Zugang - etwa der Direktzugang zum Psychotherapeuten - dazu, dass die psychisch kranken Personen sich früher zur Behandlung melden und komplizierte Krankheitsverläufe verhindert werden können.
Es zeigt sich: Psychische und psychosomatische Erkrankungen können erfolgreich behandelt werden - und müssen es auch, dem Patienten zuliebe und aus gesundheitsökonomischen Aspekten. Bisher fehlen Belege, dass dies über eine rein hausärztliche Versorgung möglich ist, so dass hier weiterer Entwicklungsbedarf besteht.
Eine medikamentöse Behandlung ist bei bestimmten Erkrankungen und in bestimmten Behandlungsphasen eine wichtige Option, erscheint aber bei den meisten psychischen Erkrankungen als alleinige Behandlung nicht ausreichend, um langfristige Erfolge zu erreichen. Für die Psychotherapie gibt es gute wissenschaftliche Wirksamkeitsstudien, jedoch werden die dort eingesetzten Interventionen in der hiesigen Versorgungspraxis zu wenig umgesetzt.
Der Autor ist Leiter der Psychotherapie- Ambulanz der Universität Marburg.