Der Begriff "Gender Medizin" klingt stark nach reiner Frauenmedizin. Werden Männer hier benachteiligt?
Das ist ein riesengroßes Missverständnis. Gender Medizin bedeutet weder Frauenmedizin noch eine feministische Medizin. Gendermedizin heißt, dass sich durch biologische und soziale Faktoren geschlechtsspezifische Auswirkungen auf Krankheit und Gesundheit nachweisen lassen. Es wird die spannende Frage gestellt, wo Unterschiede zwischen Männern und Frauen, etwa bei den Krankheitssymptomen, in der Diagnose und Therapie bestehen und wo nicht.
Wie kam es überhaupt zu der Erkenntnis, dass Unterschiede bestehen?
Das ist schon ein Verdienst der Frauenbewegung. Frauen haben festgestellt, dass sie auch im Gesundheitssystem anders behandelt werden als Männer. Es stellte sich etwa heraus, dass Frauen seltener mit den neusten Therapien behandelt werden und häufiger beim ersten Herzinfarkt sterben als Männer. Epidemiologen durchforsteten die klassischen Statistiken, zum Beispiel von Sterberaten, und untersuchten sie nach Geschlechterdifferenzen. Daraus entwickelte sich eine allgemeine Forschung über die geschlechtsspezifischen Unterschiede.
Gibt es Bereiche, in denen die Datenlage für Frauen besser ist als für Männer?
Psychische Probleme werden eher Frauen zugeschrieben. Deswegen werden sie hier eher überbehandelt, während Männer tendenziell benachteiligt sind. Für Psychopharmaka-Studien wurden meist Frauen als Probandinnen genutzt. Prinzipiell werden aber Männer zwischen 35 und 42 Jahren für Medikamentenstudien bevorzugt. Das hängt auch damit zusammen, dass bei Frauen unter anderem der mit dem Zyklus schwankende Hormonspiegel berücksichtigt werden muss. Das macht solche Studien aufwendiger und teurer.
Müssen Frauen sich denn über die von ihrem Arzt verschriebenen Medikamente und Dosierungen Sorgen machen?
Nein, es gibt mittlerweile viele Bereiche, die geschlechtsspezifisch untersucht worden sind. Jeder Patient, auch ein männlicher, sollte allerdings darauf achten, ob er seine Medikamente in der vorgeschriebenen Dosis verträgt und Probleme dem Arzt mitteilen.
Gibt es Tendenzen, dass Ärzte in Zukunft mehr auf die Geschlechterdifferenzen eingehen werden?
Zurzeit ist das ein ganz großes Thema, sowohl unter Forschern als auch in der Politik. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass die österreichischen Ministerien offener sind als die deutschen. Die Ärzte stellen sich inzwischen eher auf Gender Medizin ein, da dieses Thema das Stigma überwunden hat, dass es dabei lediglich um Feminismus geht und nicht um eine medizinische Fragestellung.
Die Fragen stellte
Sandra Ketterer.