FRAKTIONEN
Forschung soll stärker gefördert werden
In Sachen medizinischer Fortschritt befindet sich die Union in einem Spagat: Einerseits, so ihr Berichterstatter für den Ausschuss für Bildung und Forschung, Michael Kretschmer, sei sie stolz auf das Erreichte. Man habe in Deutschland wie in "keinem anderen Land der Welt" ein Sys-tem geschaffen, dass es jedem unabhängig von Einkommen und sozialer Situation gestatte, "Spitzenmedizin in Anspruch zu nehmen. Diesen Wert verteidigt die CDU/CSU-Fraktion." Andererseits schrieb ihr Fraktionsvorsitzender Volker Kauder im Juli in einem Artikel, seine Partei sei "von tiefer Skepsis gegenüber dem Machbarkeitswahn einer Politik geprägt, die Rationalität als Götzen verehrt".
Auf der Agenda der Union stehen derzeit vor allem neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson, die im neu gegründeten Deutschen Demenz-Zentrum erforscht werden sollen. Für Kretschmer sind auch Forschungsanstrengungen auf dem Gebiet der Herz-Keislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes nötig.
Jörg Tauss, der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, hält es für das wichtigste Ziel der Gesundheitsforschung, "dass alle Menschen von den Forschungsergebnissen profitieren können". Dies sei ein Schwerpunkt der von Koalition und Bundesregierung gestarteten Hightech-Strategie.
Tauss betont, dass es Fortschritt um jeden Preis nicht geben dürfe. Wie eng der medizinische Fortschritt mit "ethisch hoch komplexen und moralisch sehr umstrittenen Fragen" verknüpft sei, habe sich in der Debatte um das Stammzellgesetz gezeigt. Der Bundestag habe dabei nach intensiver Beratung eine "behutsame Novellierung" beschlossen und die "Forschungsfreiheit gestärkt, ohne Abstriche bei der Schutzwirkung des Gesetzes für das ungeborene Leben zu machen". Es sei auch vor diesem Hintergrund wichtig gewesen, so Tauss, dass die Große Koalition der Neuauflage des Nationalen Ethikrates eine gesetzliche Grundlage gegeben habe.
Für die Liberalen ist es insbesondere wichtig, die Forschung auf dem Gebiet der regenerativen Medizin zu stärken. Für Cornelia Pieper, die forschungspolitische Sprecherin der Fraktion, lassen die Ergebnisse dieses Forschungsbereichs "einen wichtigen Beitrag für ein gesundes und geistig aktives Leben bis in Alter" erwarten. Sie erhofft sich wichtige Erkenntnisse aus der so genannten "roten Biotechnologie", also der Gewinnung von Arzneimitteln aus gentechnisch veränderten Pflanzen.
Bereits in der Debatte um eine neues Stammzellimportgesetz hatte sich die FDP in einem Gesetzentwurf für mehr Liberalität und eine völlige Aufhebung des Stichtags ausgesprochen. Mit der gefundenen Regelung erweise sich "Deutschland, anders als etwa Großbritannien oder Schweden, unbeweglich", so Pieper.
Die Grünen begrüßen die Gründung eines Deutschen Zentrums für neurodegenerative Krankheiten. Für Priska Hinz, bildungs- und forschungspolitische Sprecherin der Fraktion, ist dies ein gutes Beispiel für die Vernetzung vorhandener Forschungskompetenzen, dem weitere folgen sollten. Weitere Anstrengungen fordert sie im Bereich der Demenzforschung und der Erforschung und Bekämpfung von Depressionen.
Auch wenn den Grünen Nanomedizin und regenerative Medizin als Forschungsfelder mit hohem Potenzial gelten, plädiert Hinz für systematische Untersuchungen der neuen Technologien: So gebe es bislang "erhebliche Erkenntnisdefizite in Bezug auf die Wirkung von Nanopartikeln auf den menschlichen Körper".
Die Verschiebung des Stichtags für den Import embryonaler Stammzellen haben die Grünen abgelehnt. Sie sind der Meinung, dass mit den bisherigen Stammzellen "ausreichend Grundlagenforschung möglich" ist und mit adulten Stammzellen "eine ethisch unbedenkliche und erfolgversprechende Alternative" bereit steht.
Die Linksfraktion kritisiert sowohl Bundesregierung als auch Pharmaindustrie. Petra Sitte, forschungs- und technologiepolitische Sprecherin der Fraktion, bemängelt, dass die Regierung mit ihrer Pharma-Initiative unternehmensgeführten Forschungskonzernen wie Bayer-Schering, BASF und Merck eine "fette Spritze" zukommen lasse, obwohl nur zehn Prozent der Forschungsaufwendungen der Pharmaunternehmen in 90 Prozent der globalen Gesundheitsprobleme fließen würden: "Auf der anderen Seite verdienen Firmen Milliarden an Blockbustern für Wohlstandsleiden wie Haarausfall, Schlaf- oder Erektions- störungen."
Sittes Fraktion fordert eine "gerechte Verteilung knapper Gesundheitsressourcen" und plädiert dafür, die Sozialversicherungen in die Gesundheitsforschung einzubeziehen. Die Bundesregierung wende nur 20 Millionen Euro für nichtkommerzielle klinische Studien auf - diese müssten aber mit 500 Millionen Euro gestärkt werden. Das Demenzforschungszentrum ist für Petra Sitte ein "Vorzeigeprojekt der Bundesregierung". Susanne Kailitz