HERZINFARKT
Neue Verfahren und Therapien erhöhen die Überlebenschancen beträchtlich. Dennoch sterben jedes Jahr 70.000 Menschen
In den vergangenen vier Jahrzehnten hat sich bei der Behandlung des akuten Herzinfarkts viel Positives getan. Und es steht außer Zweifel, dass die Kardiologie und auch die Kardio-Chirurgie heute zu jenen Fachgebieten der Medizin zu zählen sind, die sich durch nachhaltigen Fortschritt auszeichnen. Gleichwohl ist der Herzinfarkt in Deutschland noch immer die häufigste Todesursache. 70.000 Menschen sterben jedes Jahr daran.
An der Spitze aller Leitlinien der Infarkt-Therapie steht seit jeher die lapidare Merkformel: "Zeit ist Muskel". Je schneller und früher ein Patient nach Infarktbeginn in ärztliche Behandlung kommt, desto größer sind die Chancen des Überlebens. In den 60er- und 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts war die Lyse-Therapie, also die medikamentöse Auflösung des Blutpfropfens, der das Herzkranzgefäß verschlossen und dadurch Gewebe des Herzmuskels zum Absterben gebracht hatte, das A und O der ärztlichen Maßnahmen. Das Lyse-Medikament - Streptokinase oder Urokinase - konnte damals jedoch erst im Krankenhaus mit einer Infusion zugeführt werden. Dadurch ging Zeit verloren, in der mehr und mehr Gewebe des minderdurchbluteten Herzmuskels zugrunde zu gehen drohte.
Eine Großtat der Medizin vollbrachte dann im Jahr 1977 der im Züricher Kantonsspital arbeitende deutsche Arzt Andreas Grüntzig. Ihm gelang es erstmals, mit einem kleinen aufblasbaren Ballon, der an der Spitze eines zum Herzen hochgeführten Katheters saß, das verschlossene Koronargefäß mechanisch aufzudehnen, zu dilatieren, wie es in der Fachsprache heißt. Diese so gegannte Percutane Transluminale Coronare Angioplastie (PTCA) veränderte schlagartig und weltweit die Behandlung des akuten Infarkts. Doch die Enttäuschung folgte bald hinterher, denn die Arterie blieb, wie schnell zu erkennen war, nach der Dilatation nicht so lange offen, wie gewünscht. Der nächste Fortschritt bot sich dann mit dem Stent an, einem winzigen röhrenförmigen Gittergerüst, das nach der Dilatation in das Herzkranzgefäß eingeführt wurde und die Engstelle nun dauerhaft offen halten sollte. Aber auch jetzt ging, ausgelöst von arteriosklerotischen Ablagerungen an den Innenwänden der Blutgefäße, die Einengung der Koronarien weiter, überwucherte nach und nach den Stent und verengte wieder das Lumen der Arterie. Letzte Neuerung sind nunmehr mit Medikamenten beschichtete Stents. Sie geben kontinuierlich einen pharmakologischen Wirkstoff an das Gewebe ab, der nunmehr verhindern soll, dass sich weiterhin Ablagerungen bilden, die den Stent überwuchern und das Koronargefäß wieder einengen.
Inzwischen ist das Verfahren so weit entwickelt, dass bei einer großen Anzahl von Infarkt-Patienten sofort nach Ankunft in der Klinik ein Katheter geschoben, die Engstelle dilatiert und gleich auch ein Stent eingesetzt wird. Der große Gewinn dieser Neuerung besteht darin, dass sich die Patienten nach dem Stent-Einbau sehr schnell von den akuten Infarkt-Symptomen erholen und insbesondere schmerzfrei werden. Unter den Ärzten war dann mit einem Mal, weil alle davon schwärmten, von der "Stentomanie" die Rede. Leider sind in Deutschland noch lange nicht alle Kliniken mit Instrumenten und Geräten so ausgestattet, dass sie diese Hilfe ihren Patienten zukommen lassen können. Für sie bleibt es bei der Lyse-Therapie, die sich allerdings ebenfalls weiterentwickelt hat. Es stehen jetzt gentechnisch hergestellte Lyse-Präparate zur Verfügung, die nicht mehr langwierig per Infusion zu geben sind, sondern nunmehr gespritzt werden können. Der Hausarzt kann damit schon in der Wohnung des Patienten oder der Notarzt im Rettungswagen die Auflösung des Blutpfropfens einleiten - sofern die klinischen Symptome eindeutig auf einen Infarkt hinweisen.
Mehr Sicherheit in der Infarkt-Diagnostik, insbesondere wieder für Hausarzt und Notarzt, lässt ein neues Testverfahren erwarten, das derzeit in einer Studie auf seine Wirksamkeit und Praktikabilität geprüft wird. Drei bis vier Tropfen Blut von den Patienten, aufgebracht auf einen Scheckkarten-großen Datenträger, sollen über eine chemische Reaktion die sichere Infarkt-Diagnostik, die bisher noch sehr lange dauert, innerhalb weniger Minuten möglich machen. Viele Verbesserungen in der Therapie also und somit bessere Aussichten für die Patienten - und der Blick in die Zukunft ist nicht minder verheißungsvoll. Ein neues Zauberwort lautet Stammzelltherapie. Das bedeutet, dass dem Patienten embryonale oder auch adulte Stammzellen in den Herzmuskel injiziert werden, wo sie das dort mit dem Infarkt zugrunde gegangene Herzmuskelgewebe ersetzen.
Das Verfahren wurde bereits in Einzelfällen erprobt und endete noch überwiegend enttäuschend. Dennoch dürfte es eines Tages spektakulär Furore machen wie jüngst die "Stentomanie".
Eine Erholung von der Zellschädigung, die der Infarkt hinterlassen hat, kann aber auch noch auf andere Art möglich werden. Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie im Frühjahr in Mannheim verwies Tagungspräsident Professor Hans Michael Piper der Universität Gießen auf das körpereigene, vor etwa zehn Jahren entdeckte Herz-Hormon ANP (Atriales Natriuretisches Peptid). Es scheint geeignet, die Wiederherstellung der Blutversorgung in der Herzmuskulatur (Reperfusion) zu begünstigen und eine Erholung der Gewebeschädigung einzuleiten. Das Verfahren ist fürs erste schon einmal klinisch mit Erfolg getestet worden. Weitere Tests stehen noch aus. Max Conradt