ENERGIEMARKT
BGH-Urteil bewahrt Selbstständigkeit kleiner Stromanbieter - Diskussion um Netz AG
Die Thüga, als Eon-Tochter an etwa 120 Regionalversorgern und Stadtwerken beteiligt, hat mit rund 15 Milliarden Euro Jahresumsatz ein beachtliches Gewicht. Gleichwohl hätte die vom Mutterkonzern erwogene Thüga-Veräußerung, die keineswegs definitiv beschlossen ist, noch vor kurzem kaum Wellen geschlagen. Derzeit elektrisieren jedoch solche Pläne die Öffentlichkeit. Zu den Kaufinteressenten gehört auch ein Konsortium mehrerer Stadtwerke und Regionalversorger.
Ob kommunale oder private Erwerber: Joachim Pfeiffer lässt keine Präferenzen erkennen. Entscheidend für den CDU-Bundestagsabgeordneten ist vielmehr, dass im Sinne von mehr Wettbewerb aus der Thüga-Veräußerung "ein fünfter potenter Player auf dem Energiemarkt erwächst" - neben Eon, RWE, Vattenfall und EnBW. Zudem setzt der Energiefachmann darauf, dass Stadtwerke verstärkt kooperieren, um bei der Stromerzeugung den Konzernen Konkurrenz zu machen.
Die Debatte über die Zukunft der Thüga ist die Konsequenz eines Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH), das der gewaltigen Marktmacht von Eon und RWE Schranken setzt: Die beiden Riesen dürfen keine neuen Beteiligungen an Stadtwerken erwerben. Der BGH gibt damit dem Kartellamt Rückendeckung, das der Wettbewerbsbeschränkung im Zuge einer fortschreitenden Integration im Elektrizitätssektor von der Erzeugung bis zum Kunden Einhalt gebieten will.
Im Bundestag gewinnt nicht nur Pfeiffer dem BGH-Spruch "etwas Positives" ab. Aus Sicht von Rolf Hempelmann stützt die Entscheidung die Kartellbehörde beim Kampf für mehr Wettbewerb im Energiesektor. Der SPD-Energiepolitiker appelliert an die Stadtwerke, das Urteil als "Signal" zu begreifen und sich vermehrt auf dem Strommarkt zu engagieren. "Sehr froh" über das BGH-Verdikt äußert sich Ulla Lötzer von der Linksfraktion: "Nun könnte sich der Trend zur Rekommunalisierung der Energieversorgung beschleunigen."
Die FDP-Parlamentarierin Gudrun Kopp erhofft sich zusätzliche Impulse für den Wettbewerb: "Die Gerichtsentscheidung kann das Kartellamt stärken beim Bemühen, bestehende Beteiligungen der Konzerne an Stadtwerken rückabzuwickeln, auch wenn dies rechtlich schwierig ist", sagt sie. Das BGH-Urteil dürfte die Diskussion über die von der EU vorangetriebene Entflechtung der Stromfernleitungen beflügeln. Die Richter betonen, dass ausländische Konkurrenten wegen der geringen Durchleitungskapazität der Kuppelstellen an den Grenzen nur wenig Elektrizität einspeisen und deshalb nur einen geringen Wettbewerbsdruck entfalten könnten. Die vier Großen haben 80 Prozent der Stromerzeugung in der Hand. Die unzureichende Leistungsfähigkeit der Kuppelstellen zählt schon lange zu den Wettbewerbshindernissen.
Die EU wird den Mitgliedstaaten bei den Modalitäten der Entflechtung Spielraum lassen. Hierzulande kreist die zähe Debatte vor allem um die Idee einer nationalen Netz AG, in der die Ferntrassen gebündelt sind. Um Brüsseler Geldbußen wegen kartellrechtlicher Verstöße zu entgehen, wollen Eon und Vattenfall ohnehin ihre "Elektrizitäts-Autobahnen" verkaufen.
"Uns rennt die Zeit davon", kritisiert Ulla Lötzer, die sich für eine Netzgesellschaft allein in staatlicher Hand stark macht, die schleppende Debatte. Offenbar wolle sich CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos nicht mit den Konzernen anlegen. Auch Gudrun Kopp ist verärgert: "Es vergeht viel zu viel Zeit bei der Neuordnung der Stromnetze und der Bildung einer nationalen Netz AG. Das behindert die Entwicklung hin zu mehr Wettbewerb." Die Liberale lehnt eine Staatsbeteiligung an einer solchen Einrichtung strikt ab und plädiert dafür, dass die Eigentümer der Fernleitungen Anteile erwerben - ohne allerdings bei Investitionsentscheidungen mitbestimmen zu dürfen. Eventuelle Erwerber der Eon- und Vattenfall-Leitungen könnten ebenfalls in die Netz AG integriert werden.
Auch Rolf Hempelmann sagt, man solle "zügig" eine Regelung für eine solche Gesellschaft als "beste Lösung" einer Entflechtung finden. Allerdings betont der SPD-Abgeordnete, dass die Regulierungsbehörde durch Eingriffe in die Netzgeschäfte bereits wesentliche Wettbewerbshindernisse abgebaut habe. Ein staatliches Engagement an einer Netz AG hält Hempelmann "nicht für zwangsläufig", das müsse man näher prüfen: "Ich bin da offen", sagt sie.
Eine Netzgesellschaft, bei der aus CDU-Sicht nur private Investoren mitmachen sollten, ist für Joachim Pfeiffer erst ein möglicher zweiter Schritt bei einer Neuordnung der Ferntrassen. Zunächst einmal müsse eine einheitliche Regelzone geschaffen werden, um für mehr Effizienz zu sorgen. Bislang betreiben die Konzerne ihre Netze aber geographisch getrennt.