ENERGIE
Der Vorrat an fossilen Brennstoffen ist endlich. Es drohen Konflikte um die letzten Öl- und Gasreserven. Auch die Nato kann sich dem Thema Energiesicherheit nicht mehr verschließen
Der Blickwinkel auf unsere Energieversorgung hat sich gewandelt. Im Spannungsfeld von Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit gewinnt der ökologische Aspekt, insbesondere in Europa, zunehmend an Bedeutung. Aber auch die Sicherheit der Energieversorgung wird immer wieder kritisch betrachtet. Der Blick richtet sich dabei schnell auf die neue Energiesupermacht Russland, die für einen Großteil der Öl- und Gasimporte nach Europa verantwortlich ist. Trotz aller Bedenken war Moskau bislang aber ein zuverlässiger Energiepartner für Deutschland.
Zwei Hauptgefahren hingegen stellen in wachsendem Maße eine Bedrohung für die gegenwärtige Energieversorgung dar: Zum einen ist dies die bekannte Endlichkeit fossiler Energieträger, die durch den explosionsartig gestiegenen Bedarf der Schwellenländer noch verschärft wird. Eskalierende Verteilungskonflikte um die immer knapperen Rohstoffe sind daher nicht mehr auszuschließen. Vor allem der Ausbau alternativer Energiequellen und Maßnahmen zur Effizienzsteigerung bezierhungsweise zum rationelleren Energieeinsatz bieten hierfür jedoch ein hohes Potenzial zur Risikovermeidung. Zum anderen wird aber immer deutlicher, dass die für die Weltenergieversorgung so wichtigen Reserven häufig in fragilen oder autoritär regierten Staaten zu finden sind. Mehr als drei Viertel der nachgewiesenen Ölreserven und etwa die Hälfte der bekannten Gasvorkommen liegen im Nahen Osten und in Afrika. In diesen Regionen kommt es immer wieder zu terroristischen Anschlägen, bewaffneten Konflikten und Übergriffen auf sensible Energieinfrastrukturen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welcher Beitrag über politische und wirtschaftliche Maßnahmen hinaus zur Wahrung der Energieversorgung notwendig ist. Dieser sicherheitspolitische Aspekt der Versorgungssicherheit hat auch die Nato auf den Plan gerufen. Bei seinem Treffen im November 2006 erkannte der Nordatlantikrat zwei mögliche Aufgabenfelder für die Allianz: Risikobewertung und Infrastruktursicherheit. Gemeint ist damit keinesfalls eine Vernachlässigung der zuvor genannten Maßnahmen oder eine Militarisierung der internationalen Energiepolitik, sondern vielmehr die Nutzung bestehender Strukturen als zusätzliche Komponenten der Versorgungssicherheit. Zunächst ist dabei an verschiedene Nato-Initiativen wie "Partnership for Peace" oder die "Istanbul Cooperation Initiative" zu denken. Die Kooperation zwischen der Allianz und relevanten Liefer- oder Transitländern kann einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung dieser Staaten leisten. Neben der Stabilisierung durch politischen Dialog kann die Nato auch zur Ausbildung lokaler beziehungsweise regionaler Kräfte beitragen. Die gestiegene weltweite Nachfrage nach Energieträgern und der deswegen notwendige Transport über große Strecken macht diese Routen extrem anfällig für Überfälle, Sabotage oder technische Pannen.
Gerade in den Staaten, die in besonderem Maße vom islamistischen Fundamentalismus und regionalen Konflikten betroffen sind, ist der Schutz kritischer Infrastrukturen daher eine wichtige Aufgabe. Aufgrund ihres breiten Einsatzspektrums kann die Nato ihre Erfahrungen auf den Gebieten der Überwachung, des Zusammenwirkens militärischer, paramilitärischer und ziviler Kräfte sowie der Gefahrenabwehr an Drittstaaten vermitteln.
Darüber hinaus zählt aber auch der aktive Schutz strategischer Punkte oder Regionen zum möglichen Aufgabengebiet der Nato-Partner. Die Allianz jedoch als schwer bewaffnete Polizeitruppe zur Bewachung von Pipelines oder wichtigen Häfen einzusetzen wäre hingegen verfehlt. Allerdings leistet das Bündnis bereits heute durch Patrouillenfahrten auf den Weltmeeren - etwa im Rahmen der "Operation Enduring Freedom" - einen erheblichen Beitrag zur Sicherheit auf der Seewege, insbesondere an wichtigen "choke points". Neben Erdöl - das zum Großteil mit großen Tankschiffen transportiert wird - gewinnt die Verschiffung von verflüssigtem Erdgas (LNG) zunehmend an Bedeutung.
Die Transportrouten nach Europa und in die USA passieren dabei einige maritime Brennpunkte wie das Horn von Afrika oder die Straße von Hormuz, wo sie ein leichtes Ziel für Terroristen oder Piraten sind. Allein durch die iranische Meerenge werden täglich circa 25 Prozent des weltweiten Erdölbedarfs verschifft. Solange fossile Energieträger die Achillesferse der Weltwirtschaft sind, muss eine unterbrechungsfreie Versorgung mit Öl und Gas gewährleistet sein. Schon durch regelmäßige Patrouillenfahrten entlang wichtiger Handelsrouten kann das Risiko terroristischer Attacken und anderer Überfälle reduziert werden.
Auf dem Land stellen Erdölförderanlagen oder Raffinerien einfache Ziele dar. Eine direkte Beteiligung der Nordatlantischen Allianz ist in diesem Zusammenhang jedoch kaum denkbar. Nato-Truppen, die Ölfelder oder Pipelines im Nahen und Mittleren Osten oder in Zentralasien bewachen, würden ihren Zweck wohl verfehlen. Antiwestliche Strömungen und russische Ressentiments würden dadurch befördert, was zwangsläufig zu einer Destabilisierung und verschärften Spannungen in der jeweiligen Region führen könnte. Sinnvoller ist hingegen der Ausbau der diplomatischen Beziehungen mit anderen Akteuren in den für die Energieversorgung relevanten Regionen. Der Krieg in Georgien und das rapide gesunkene Ansehen der USA in der arabischen Welt machen diese Form des politischen Dialogs aber zunehmend schwieriger. Die dringlichste Aufgabe für die Nato als energiepolitischer Akteur ist es daher die Beziehungen zu den Staaten in der "strategischen Ellipse" von der Golf-Region bis nach Sibirien zu vertiefen und sich aktiv an einer kooperativen Lösung zum Nutzen aller "Stakeholder" zu beteiligen.
Die Nato kann sich dem Thema Energiesicherheit heute nicht mehr verschließen. Welche Rolle sie dabei künftig einnehmen will, hängt stark von der weiteren Entwicklung ihrer strategischen Ausrichtung ab.
Die Hauptaufgabe der nordatlantischen Allianz liegt jedoch in der sicherheitspolitischen Ergänzung zu politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen anderer nationaler und internationaler Akteure und Organisationen. Aus deutscher und europäischer Perspektive sind dies zunächst die Europäische Union sowie die Internationale Energieagentur. Die Rolle der Nato-Partner wird vorrangig in einer engen Kooperation mit verbündeten Produzenten- und Transitländern liegen, um die eigene Expertise hinsichtlich Risikoabschätzung und Konfliktmanagement weiter zu geben, sowie auf die Sicherheit der Seewege ausgerichtet sein.
Im Vordergrund dürften jedoch zwei andere Aspekte stehen: zum einen die Schaffung transparenter und stabiler internationaler Strukturen, die sowohl die Interessen der Verbraucherstaaten als auch der Förder- und Transitländer widerspiegeln. Und zum anderen Maßnahmen auf der Nachfrageseite um mittels Ressourcenproduktivität, Anreizen zum Energiesparen und der Nutzung erneuerbarer Energieträger die Abhängigkeit von den fossilen Energiequellen zu reduzieren.
Florian Baumann ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Centrum für angewandte
Politikforschung (CAP) München.