FRANKREICH
Abschied von de Gaulles Sonderrolle
Am 7. März 1966 schrieb der französische Staatspräsident Charles de Gaulle seinem damaligen Kollegen im Weißen Haus, Lyndon B. Johnson, dass "die seit 1949 eingetretenen Veränderungen sowie die Entwicklung der Situation Frankreichs und seiner Streitkräfte nicht mehr die Maßnahmen militärischer Natur rechtfertigen, welche nach Abschluss der Allianz getroffen wurden". Franreich beabsichtige daher, auf seinem Gebiet die volle Ausübung seiner Souveränität wieder zurückzugewinnen, seine Teilnahme an den integrierten Kommandos zu beenden und der Nato keine Streitkräfte mehr zur Verfügung zu stellen.
Bis zum 1. April 1967 mussten alle Nato-Truppen und das Nato-Hauptquartier von französischem Boden abziehen. Die militärische Teilnahme an der Verteidigung Europas fand ab August 1967 durch das Lemnitzer-Ailleret Abkommen und Folgeabkommen eine Regelung.
Was vier Jahrzehnte Gültigkeit hatte, wurde im September 2007, vier Monate nach seinem Amtsantritt, durch Präsident Nicolas Sarkozy in Zeitungsinterviews als revisionsbedürftig eingeschätzt. Bei dem Gipfeltreffen der Nato Anfang April 2008 in Bukarest bekräftigte er offiziell seine Entschlossenheit, Frankreich schon im Jahr 2009 wieder in die integrierte Militärstruktur zurückzuführen. Hierfür nannte er zwei Bedingungen: Die EU solle sicherheitspolitisch gestärkt werden und mehr Verantwortung übernehmen können, und zudem müßte Frankreich dann auf der höchsten Führungsebene der Nato vertreten sein.
Ein Kernstück der französischen Sicherheitspolitik seit 1966, welche immer die unabhängige Entscheidungsfähigkeit Frankreich betont hatte, war die eigenständige nukleare Abschreckungsfähigkeit durch die "Force de Dissuassion" (Force de Frappe). Diese soll jedoch auch in Zukunft erhalten bleiben. Zugleich bot er eine Aufstockung des in Afghanistan an der ISAF-Mission beteiligten französischen Kontingents um 700 bis 1.000 Mann an, was inzwischen realisiert wurde. Damit sind knapp 6.000 französische Soldaten an den friedenserhaltenden Einsätzen des Bündnisses beteiligt.
Die Absicht, in die integrierte Kommandostruktur der Nato zurückkehren zu wollen, muss in dem Gesamtkontext der Neuorientierung der französischen Verteidigungspolitik gesehen werden. Am 17. Juni 2008 legte eine vom Präsidenten eingesetzte Expertenkommission das neue französische Weißbuch "Verteidigung und nationale Sicherheit" vor. Hierbei wurden tiefgreifende Änderungen der französischen Sicherheitspolitik beschlossen.
Das Weißbuch geht von der Grundannahme aus, dass der internationale Terrorismus die größte Gefahr für Frankreichs Sicherheit darstelle und folglich innere und äußere Sicherheit nicht mehr getrennt werden könnten. Die Kooperation mit den USA bei der Eindämmung der Machtspiele des Iran und der Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen sowie einer verbesserten Interventionsfähigkeit der Nato "out of area" soll verstärkt werden. Das Beharren auf einer Sonderstellung in der Nato sei angesichts der Veränderungen des internationalen Umfeldes, der Weiterentwicklung der Allianz und des französischen Engagements in Nato-Operationen weder kohärent noch vermittelbar. Es müsse aber die volle nationale Entscheidungsfreiheit und die nukleare Unabhängigkeit gewahrt bleiben, heißt es. Eine Unterstellung von Truppen an die Nato in Friedenszeiten wird es nicht geben. Durch die Neuinterpretation des französischen Souveränitätsbegriffes wird auch die Nato als Pfeiler der europäisch-atlantischen Brücke gestärkt. Damit dürften die ideologischen Schaukämpfe der Gaullisten gegen die Atlantiker Geschichte sein.
Die Autoren sind freie Journalisten.